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Das doppelte Lachen

Eine Rose ist eine Rose, aber ein arabischer Jude ist kein arabischer Jude – Eine Reise in die Verwirrung (Teil 1)

NAVID KERMANI

Ein glucksendes und ein polterndes Lachen bringen mich in den Nahen Osten. Einen Nachmittag zuvor war ich in Tel Aviv angekommen. Nach Jerusalem brachte mich ein Russe aus Usbekistan, der betonte, kein Usbeke zu sein. Was für ein grünes Land!, war das erste, worüber ich staunte, ohne zu vergessen, dass das Grün von Menschen mühsam gemacht ist, von den staunenswerten Eltern derer, die das Land bevölkern. Während im Radio Neil Youngs „Heart of Gold“ die muslimische Sehnsucht nach dem Felsendom zu besingen schien, hieß es an einer Abfahrt „No Turn to Jerusalem“, als seien hier selbst die Autobahnschilder geweiht. Abends saß ich mit David im Café und aß Salat mit Putenbrust. Die hellen Gesichter und Haare der Gäste, die Gesten der Kellnerin, die weißen Baststühle, die Pasta des Tages, mein schnauzbärtiger Freund aus Virginia – wir hätten in Frankfurt oder in Brüssel sein können, ungewöhnlich nur die Konzentration schöner Frauen und dass der Name meines Freundes hier wie mein eigener klingt, mit der Betonung auf der letzten Silbe.

In weiter Ferne so nah: Navid Kermani, Deutsch-Iraner und Longterm-Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin, bereiste eine Woche lang Israel und die besetzten Gebiete. Er bewegte sich entlang der sichtbar brutalen Grenzzäune und Checkpoints, stolperte aber auch über unsichtbare Verwerfungen, wenn er das arabische Leben mitten in Israel fand und jüdische Siedlungen in Palästina besuchte.

Heute morgen fuhr ich im leeren Bus nach Haifa (vom Busfahrer, der Gott sein wollte, handelt eine Erzählung Edgar Kerrets, aber die Leute fürchten sich hier eher vor Fahrgästen, die Gott spielen), trank mittags Caffè Latte an einem Strand, der in Italien hätte liegen können, wenn nicht der Schlager Hebräisch gesungen hätte. Von dort nahm ich den Zug nach Akko, das für seine historische, sprich: original arabische Altstadt bekannt ist. Auf dem Weg zur Altstadt nahm ich wahr, wie die Schilder und Geräusche allmählich arabisch wurden, ohne daraus Schlüsse zu ziehen. Eine breite Brücke führt über den mittelalterlichen Festungsgraben, dann ist man schon unversehens im engen Suq. Ich sah die Gewürzsäcke, das angenehm träge Licht der Dachritzen und Tunnel, die Wände aus preiswerten Damenschuhen im Schaufenster, die Stoiker vor ihren Läden, die erste Wasserpfeife, aber ich begriff nichts, bis ich in die weit geöffneten Augen eines vierjährigen Mädchen blickte.

Den Strom der Passanten teilend, stand es breitbeinig vor mir, an die Knie seines Vaters oder Onkels gelehnt, eines stämmigen, ja feisten Mannes von vielleicht vierzig Jahren. Er hob das Mädchen in die Höhe und weiter hinter die Schulter und wieder nach vorne, schmiss es in die Luft, um es sicher aufzufangen, fuhr es im breitarmigen Riesenrad, von dem aus das Mädchen souverän die Köpfe und Kopftücher der Händler und Kunden überblickte. Und beide lachen, lachen sich mitten im Basar schlapp, ihre Bauchmuskeln müssen wehtun, so sehr lachen das Mädchen und der feiste, unrasierte Vater oder Onkel mit der ledernen Fliegerjacke und der zu weiten schwarzen Hose, glucksend das eine, polternd der andere, eine Minute geht das, zwei, während ich mich erinnere, das doppelte Lachen zu kennen, das glucksende eines Kindes und das polternde des Mannes, der die ausgestellte, etwas schmuddelige Männlichkeit des Orients, die er allen Gesten und Bewegungen nach verkörpert, für Augenblicke in Luft auflöst.

Ich kenne es aus Beirut, aus Damaskus und vor allem aus Kairo, wo wir mitsamt unserer Tochter gelebt haben. Aus Isfahan kenne ich es nicht, dort sind die Männer viel zu steif. Arabische Männer dagegen haben diese spezifische Form der festen, lauthals lachenden Zärtlichkeit, wenn sie mit Kindern spielen (und sie können kaum anders, als mit ihnen zu spielen, sobald sie ihnen begegnen), und die Kinder lieben das, ich kenne es von meiner Tochter, sie lachen sich schlapp, sie wollen niemals aufhören, mag ihnen noch so schwindlig werden. Es ist beides zusammen, das gleichzeitige Glucksen und Poltern, das ich in Kairo gehört habe und in Beirut und Damaskus. Schlagartig geht mir auf, dass ich im Nahen Osten bin, an einem arabischen Ort. Bestimmt will ich nicht nahelegen, dass Araber die einzigen sind, die Kinder liebhaben, aber etwas ist an ihrer clownesk-burschikosen Zärtlichkeit, das ich nur von ihnen kenne, vielleicht weil diese Zärtlichkeit ein Bild der Männlichkeit voraussetzt, das dann aufgehoben, in der Luft herumgewirbelt wird wie das Kind in stämmigen Armen, dabei wage ich es kaum zu denken, weil es selbst auf mich billig romantisierend, geradezu orientalistisch wirkt. Schon von „den“ Arabern zu sprechen, kratzt mein Bewusstsein, doch verbinde ich nun einmal diesen abenteuerlich selbstbewussten, albern männlichen Umgang mit Kindern dank meiner Tochter so direkt mit arabischen Ländern, dass das doppelte Lachen auf mich wie ein Ortsschild wirkt.

Am nächsten Abend werde ich mit David und dem Soziologen Gadi el-Gazi in einer Pizzeria von Tel Aviv sitzen, werde vom zweistimmigen Lachen so relativierend erzählen, dass sie nicht denken, ich wolle das Arabische gegenüber meinen israelischen Freunden verklären, schließlich bin ich Gast und schimpfe schon genug auf die Politik ihres Staates (freilich nicht so viel wie sie selbst, aber das ist etwas anderes, handelt es sich doch um ihr eigenes Land).

Gazi, ein gutaussehender junger Mann mit schwarzen Locken, der vor Jahren als erster Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis kam und seither zu den berühmtesten Friedensaktivisten zählt, befreit mich von meiner Sorge, anmaßend zu sein, indem er ausruft, er wisse genau, wovon ich spreche, ich hätte recht, diese spezifische Zärtlichkeit der Männer gegenüber Kindern habe er selbst als Kind oft erlebt, und ich hätte auch recht damit, dass es Ausländern, Westlern schwer zu erklären sei. Klar kennst du es, entgegne ich ihm, bist als Sohn eines Alexandriners schließlich ein halber Araber, was ich eigentlich nicht sagen darf, denn Juden sind keine Araber, mögen sie oder ihre Vorfahren arabisch geredet, gedichtet, sich als Araber empfunden haben, mögen sie Said oder Mahmud geheißen haben, bevor ihnen in Israel ein hebräischer Name gegeben wurde, Juden sind allenfalls – angesichts des virulenten innerisraelischen Rassismus würde Gazi wohl böse sagen: schlimmstenfalls – orientalische, niemals arabische Juden, wie ich während meiner Reise schnell lerne, weil mir der Fehler ständig unterläuft, als ob meine Zunge mir einen Streich spielen wollte: Wann immer ich von orientalischen Juden sprechen will, nenne ich sie aus Versehen arabische Juden, denn sie haben nun einmal die gleichen Gesichtszüge, die gleichen Farben, und ihr Hebräisch klingt anders als das von David und den Durchsagen im Flughafen, es klingt nicht wie eine slawische oder baltische Sprache, sondern ganz ähnlich wie das Arabische, es hat die Kehllaute und emphatischen Vokale, es hat das ganze Arsenal der Gutturale. Sie sind doch Araber, sagt mir immer wieder mein naives Bewusstsein, so wie die iranischen Juden iranische Juden sind (die wenigstens haben kein Problem damit), so wie eine Rose eine Rose eine Rose ist.

Zwar gehört Gazi zu den Sephardim der zweiten Generation, von denen viele den meist subtilen, unmittelbar nach der Staatsgründung aber häufig genug brutalen Zwang zur Assimilation an das staatstragende europäische Judentum, den Zwang zur systematischen Vernichtung ihrer kulturellen Wurzeln kritisch reflektieren, aber erst jetzt fällt ihm und mir auf, dass nicht nur das Erbe der Dichtung, der Philosophie und der Musik, sondern sogar das doppelte Lachen den Muslimen und Juden dieses Bodens gemeinsam ist.

haGalil onLine 04-03-2002

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