Streit um Gideon Levy:
Nur in HAARETZ
Janiv Sach in M'ariw
Bei der Zeitung HAARETZ geht etwas vor sich. Ein
hoher Redakteur wurde beinahe entlassen, als er einen Artikel
veröffentlichte, in dem das heutige Israel mit Nazideutschland
verglichen wurde.
Die Affäre begann am 6. Mai mit der Veröffentlichung
eines Artikels von Gideon Levy in der Literaturbeilage der Zeitung. Levy
setzte sich hier mit dem autobiographischen Buch von Sebastian Haffner,
„Die Geschichte eines Deutschen 1914-1933“ auseinander. In seiner
Rezension deutete Levy, wenn auch mit Vorbehalten, Parallelen an
zwischen dem heutigen Israel und dem Deutschland vor bzw. zur Zeit der
Machtergreifung der Nazis.
„Kann man die Tage der Machtergreifung der Nazis in
Deutschland in irgendeiner Form mit dem vergleichen, was heute in Israel
passiert?“, eröffnete Levy seinen Artikel. „Sollte man das tun? Darf man
es tun? Ist es nur der israelischen Rechten erlaubt, den Nazismus für
historische Vergleiche heranzuziehen - Saddam=Hitler, Arafat=Hitler,
oder kann ein solcher Vergleich auch für uns legitim sein, solange er in
der Realität Bestand hat? Ein anständiger Israeli kann das Buch Haffners
nicht lesen, ohne sich diese einleitenden Fragen zu stellen.“
Im Folgenden schreibt Levy: „Der Vergleich mit unserer
Zeit, mit unserer Region schreit aus den Seiten heraus, Seite für Seite,
Tag für Tag in einem Tagebuch vom Entstehen jener Gräuel, trotz der
natürlich vorhandenen großen Unterschiede. Man darf und muss also
zwischen Deutschland der 20-er und frühen 30-er Jahre und Israel zu
Beginn des dritten Jahrtausends vergleichen. Um zu verstehen, wie
Monster entstehen, muss man die Unterschiede begreifen - und es gibt
große und viele, auch zu unseren Gunsten. Um zu verstehen muss man aber
auch die Ähnlichkeiten erkennen, Ähnlichkeiten die es durchaus gibt und
die uns den Schlaf rauben sollten.
Bei uns wird niemand wegen seiner Auffassung
hingerichtet, es wird auch niemand deshalb entlassen. Bei uns gibt es
keine Ideologie der Völkervernichtung, und bei der großen Mehrheit auch
nicht des Transfers. Aber bei uns gibt es Verhaftungen ohne Prozess,
Menschen, die sich nichts zu Schulden kommen ließen, werden in riesige
Gefängnisse geschmissen, um nicht zu sagen Konzentrationslager, es
werden Menschen in ihren Städten und Dörfern gefangen gehalten, um nicht
zu sagen in Ghettos, es werden Straßen nur für Juden angelegt, und
Menschen werden ihrer grundlegenden Rechte auf Freiheit beraubt, in den
besetzten Gebieten und auch anderswo. Warum also sollen wir nicht
vergleichen? Kann man denn nicht vergleichen?“
Nach diesem Artikel wurde Michael Hendelsaltz,
Redakteur der Literaturbeilage, zu Chanoch Marmari, Chefredakteur von
haArez, zu einem klärenden Gespräch geladen. Stellen in der Zeitung
sagen, Hendelsaltz sei vom Chefredakteur scharf gerügt und gewarnt
worden, eine ähnliche Veröffentlichung in der Zukunft würde seine
Entlassung zur Folge haben.
Artikel dieser Art werden bei HAARETZ dieser Tage mit
äußerster Vorsicht behandelt. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass viele
Abonnements gekündigt wurden, aufgrund der linksliberalen Linie der
Zeitung. Diese Erscheinung hätte bei Ausbruch der Intifada begonnen und
sich danach ständig verschärft. Angeführt wurde der Trend von der
Schriftstellerin Irith Linor, die vor einem Jahr mit großem öffentlichen
Aufhebens ihr Abonnement kündigte.
Gideon Levy, der in jeder Wochenendbeilage einen
Beitrag über die israelische Besatzung in den Gebieten veröffentlicht,
steht allem Anschein nach im Mittelpunkt zahlreicher Beschwerden, ebenso
wie Amira Hass.
Die jerusalemer Lokalzeitung „Kol ha'Ir“ (ebenfalls
vom Schocken-Netz herausgegeben, dessen Eigentümer, Amos Schocken, auch
Herausgeber von HAARETZ ist) berichtete vor etwa einem Jahr ausführlich
über interne Kontroversen in der Zeitung bezüglich ihrer politischen
Linie. Es wurde berichtet, dass sich eine dieser Kontroversen direkt auf
Levy bezogen habe. Beim jährlichen Treffen der Mitarbeiter der
Wochenendbeilage, an dem auch Chefredakteur Marmari teilnahm, habe sich
ein Streit zwischen einigen von ihnen und Levy entwickelt. Die von Levy
vertretene "linke Linie" wurde scharf attackiert. Marmari habe gesagt,
er befürworte die Einstellung, dass die Zeitung mehr Empathie für die
israelische Seite demonstrieren müsse.
Gegenüber der Tageszeitung M'ariw meinte Marmari: "Mir
ist nichts über empörte Reaktionen auf den Artikel Gideon Levys in der
Literaturbeilage bekannt".
Michael Hendelsaltz meint: „Es sind Leserbriefe eingetroffen, wie auch
zu anderen Beiträgen in der Beilage Leserbriefe eintreffen. Der Großteil
war mit dem Artikel nicht einverstanden. Was die Ereignisse in der
Redaktion anbelangt - dies sind interne Belange.“
Gideon Levy: „Was ich zu sagen hatte, habe ich in meinem Artikel gesagt,
und ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass er im Rahmen völliger
journalistischer Freiheit veröffentlicht wurde.“
hagalil.com
23-05-03 |