Daniel Barenboim zu seiner Reise nach Ramalla:
Hören und gehört werden
Ich komme, um zu hören und gehört
zu werden, nicht jedoch, um über Politik zu diskutieren...
Interview mit Daniel Barenboim von Jakob Leviatam,
03-03-02
Knapp ein Jahr nach seinem letzten
stürmischen Besuch in Israel, als er beim Abschlußkonzert des
Israelfestivals ein Werk Wagners spielte, kommt der israelische Pianist
und Dirigent Daniel Barenboim jetzt wieder zu einem Besuch nach Israel
und die PA. In einem telefonischen Interview aus Berlin erklärt
Barenboim, was ihn dazu veranlasst, in der Stadt zu spielen, in der
Jasser Arafat eingesperrt ist.
Wie wurde das Konzert organisiert?
„Zunächst handelt es sich nicht nur um ein
Konzert, sondern vor allem um ein Treffen mit jungen Musikern im
Konservatorium Ramallahs. Vor drei Jahren habe ich dort in der Bir Sait
Universität gespielt, und so entstanden die Kontakte.“
Musikalische oder auch politische Kontakte?
„Ich habe keinerlei politische Kontakte dort.
Das ist kein politischer Besuch.“
Was werden Sie in Ramallah spielen?
„Das weiß ich noch nicht. Ich kenne das Klavier
dort nicht. Ich werde ad hoc entscheiden, was ich spielen werde.“
Wie werden Sie physisch nach Ramallah kommen?
„Darüber möchte ich nicht sprechen, nicht über
wie, wann und die ganze Prozedur. Sie verstehen, das ist kompliziert und
sensibel.“
Und in diesen Tagen auch sehr gefährlich.
„Genau. Ich habe schon gesagt, ich bin zwar kein
Feigling, ich möchte jedoch auch kein Märtyrer sein. Ich hoffe, dass
alles gut gehen wird.“
Obwohl Sie sagen, es handle sich nicht um einen
politischen Besuch, kommt man kaum darum herum, einen Besuch in Ramalla
heute nicht als eine politische Aussage zu betrachten.
„Hier gibt es überhaupt keine Politik. Das ist
nicht mein Gebiet. Ich habe schon immer gesagt, dass die militärische
Option bei dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht
mehr existiert. Früher oder später wird es Frieden geben. Und das heißt,
dass es Beziehungen zwischen den Völkern geben wird, kulturelle,
wirtschaftliche etc. Warum soll man also warten? Diejenigen, die
imstande sind, einen Dialog zu führen, sollten dies als ihre Pflicht und
Verantwortung betrachten.“
Für viele Israelis ist Ramallah heute eine feindliche
Stadt. Und trotzdem haben Sie sich entschieden, ausgerechnet dort zu
spielen.
„Ich kann verstehen, dass einige so denken
werden. Aber ich verstehe die Haltung vieler Israelis nicht. Meiner
Meinung nach muss jeder so handeln, wie er es für richtig hält. Und noch
einmal: Das ist kein politischer Besuch.“
Ihr Besuch könnte den Palästinensern als Propaganda
dienen. Sie könnten zum Beispiel sagen, ‘sogar Barenboim kommt, um sich
mit unserer Sache zu solidarisieren’.
„Ich komme nicht, um politische Diskussionen zu
führen, ich komme nur, um zu spielen und zuzuhören. Ich werde es nicht
zulassen, dass mein Buch zu anderen Zwecken missbraucht wird. Es
interessiert mich sehr, junge Musiker in Ramallah zu hören, mit ihnen
über Musik zu sprechen. Und überhaupt, die letzte israelische Regierung
und auch die davor haben ja schon die Tatsache anerkannt, dass ein
palästinensischer Staat gegründet werden muss. Ich verstehe nicht, wo
das Problem ist.“
Das Problem ist das Timing. Wir befinden uns
sozusagen im „Kriegszustand“.
„Ich fahre nicht nach Ramallah, um militärische
Ratschläge zu erteilen, oder um eine israelische oder anti-israelische
Haltung zum Ausdruck zu bringen. Ich fahre als Privatperson hin, als
Musiker, der glaubt, dass die Palästinenser ein Recht auf einen Staat
haben.“
Was ist Ihre Meinung zu dem palästinensischen Terror?
„Ich habe schon gesagt, dass ich nicht mit den
Mitteln übereinstimme, die sie anwenden. Ich glaube, dass der Terror
ihnen nicht helfen wird, obwohl ich auch glaube, dass sie aus
Verzweiflung handeln. Das werde ich auch in Ramallah sagen. Meine
Haltung ist sehr komplex, und niemand kann sie zu falschen Zwecken
missbrauchen.“
In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ äußerten
Sie sich vor kurzem sehr scharf gegen Ariel Sharon und sagten, mit ihm
würde es niemals Frieden geben. Sie sagten auch, die Israelis hätten
sich noch nicht von der „Mentalität einer Minderheit im Ghetto befreit“.
„Ich wollte damit sagen, dass sich unser
nationales Streben im Jahre 1948 erfüllt hat, und sich damit unsere
Mentalität hätte ändern müssen, da wir nicht länger eine Minderheit
sind, die durch die Welt zieht. Den Übergang zu einer Nation haben wir
erfolgreich gemeistert, aber plötzlich haben wir eine andere Minderheit
kontrolliert. Wie konnte es dazu kommen?“
Sie verwenden wieder umstrittene Worte. Nach dem
Wagner-Skandal und Ihrem geplanten Besuch in Ramallah könnten viele zu
der Überzeugung gelangen, dass Sie ein Provokateur sind.
„Hier gibt es keine Provokationen und keine
Skandale. Auch bei der Wagner Affäre gab es den Skandal nicht beim
Konzert, sondern erst am Tag danach, weil alle mögliche Leute die Sache
zu einem Skandal machten. Beim Konzert selbst gab es keinen Skandal.“
Sie haben jedenfalls große Aufregung ausgelöst.
„Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung zum
Ausdruck zu bringen. Und das mache ich. Überhaupt gibt es in Israel ein
großes Paradox. Einerseits eine beispielhafte Demokratie mit freier
Meinungsäußerung, andererseits gibt es verschiedene Punkte, die man
nicht berühren darf. Ich habe es damals gesagt, und ich sage es jetzt
noch einmal: Es gibt Leute, die fürchterliche Assoziationen mit dieser
Musik verbinden. Wagner ist zwar 50 Jahre vor der Machtergreifung der
Nazis gestorben, aber dennoch gibt es diese Assoziationen, und natürlich
darf man diese Leute nicht zwingen, sich diese Musik anzuhören. Aber
andere Leute daran hindern zu wollen, diese Musik zu hören, das ist
wieder etwas anderes, und dem kann ich nicht zustimmen.“
Aufgrund dieser Affäre hat das Erziehungskomitee der
Knesset Sie zu einer „Persona non grata“ erklärt.
„Da muss ich Sie verbessern, das Komitee hat
mich nicht dazu erklärt. Vier Mitglieder des Komitees haben es
empfohlen.“
Es hieß, dass Sie dies sehr verletzt hat.
„Jedes schlechte Wort, das über jemanden gesagt
wird, kann verletzen, vor allem, wenn es von seinem eigenen Volk und
Staat kommt. Aber diese ganze Angelegenheit ist letzten Endes Blödsinn.“
Nach all dieser Kritik und den Emotionen, die es
gegen Sie gibt, kommen Sie mit Zweifeln nach Israel?
„Nein, ich komme mit großer Freude. Natürlich
würde ich mich noch mehr freuen, wenn sich die Dinge anders verhielten,
vor allem, was die Kultur betrifft. Die Kürzungen im Kulturhaushalt sind
schrecklich.“
Befürchten Sie keine negativen Reaktionen während des
Konzerts?
„Ich spiele für Leute, die kommen, um mich zu
hören. Ich zwinge niemanden zu kommen. Wer ein Problem mit mir hat, der
braucht nicht kommen. Ich habe positive Gefühle für das Publikum, und
ich bin immer sehr aufgeregt vor einem Auftritt. Ich versuche immer,
mein Bestes zu geben.“
haGalil onLine 06-03-2002 |