Ein Verstoß gegen religiöse Verordnung:
Der Marsch auf den Tempelberg
Die Reden der Weisen sind voll von Verurteilung des
Eifers und messianischer Berechnung. Die Wege der Torah sind die Wege
des Friedens und die Torah steht erhaben über jeder Heiligkeit
irgendeines Ortes. Nur so ist die Lebendigkeit des Judentums auch nach
der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer im Jahr 70 allg.Z.
überhaupt möglich gewesen.
In diesem Jahr fällt der Gedenktag an die Zerstörung des
Tempels auf den 29. Juli. Rabbiner der Westbank-Siedlungen haben
für diesen Tag zum Marsch auf den Tempelberg aufgerufen.
Auf dem Tempelberg (hebr. Har Morijah oder Har haBajith,
arab. Haram a-Sharif) liegen mit Felsendom und Misgat al-Aksa, die dritt
heiligsten Stätten des Islams. Von hier soll der Prophet Mouhamad seine
visionäre Himmelsreise angetreten haben. Schon bald nach der
israelischen Vereinigung Jerusalems im Juni 1967 wurde die Verwaltung
über den Tempelberg wieder dem Obersten Moslemischen Rat übertragen.
Der RaMBaM erklärte die islamische Verwaltung mit der
Vertreibung Jishma'els und Hagars aus dem Hause Awrahams: Wegen dieser
Herzlosigkeit liegt die Hoheit über den Har Morijah heute in den Händen
der Araber, der Jishma'eliten.
Sicher, der Berg ist nicht eine der heiligsten
Stätten, sondern die
heiligste Stätte des Judentums. Gerade wegen dieser Heiligkeit ist es aber
jedem Juden verboten, den Berg überhaupt zu betreten. Die
Westbank-Rabbiner setzen sich mit ihrem Aufruf also über ein jüdisches
Verbot hinweg. Auch Ariel Scharon verstieß mit seinem Besuch im Herbst
gegen diese Anordnung.
Aus aktuellem Anlass hat nun Hejchal Schlomoh, das
Oberrabbinat in Jerusalem, das historisch-religiöse Verbot mit der
Begründung, "das jüdische Volk habe seine heiligste Stätte noch nicht
verdient", bekräftigt. Oberrabbiner Israel Meir Lau hat die Initiative
der Siedler-Rabbiner scharf zurückgewiesen.
Dieser Ansicht schließen sich die meisten Gelehrten an:
Juden dürfen aus Gründen der rituellen Reinheit ihren Fuß nicht auf den
Tempelberg setzen, denn in den Tagen des Tempeldienstes war es nur Hohen
Priestern gestattet, das Allerheiligste zu betreten. Heute weiß keiner
genau, wo auf dem riesigen Gelände sich die heiligsten der heiligen
Bereiche befanden.
Sollten die Siedler ihren Marsch auf den Tempelberg wahr
machen, sind schwerste Ausschreitungen zu erwarten. Seit Beginn der
"zweiten Intifada" haben die islamischen Behörden allen Nicht-Moslems
das Betreten des Geländes verboten.
Ein Marsch auf den Tempelberg wird für die
islamisch-palästinensische Fundamentalistenbewegung ein neuer Anlass
sein zu blutigen Ausschreitungen. Wie die Provokation Sharons, so wird
auch die Provokation der "Getreuen des Tempelberges" höchst willkommener
Anlass sein, eine längst vorbereitete "Kundgebung der Islamtreuen" zu
veranstalten. Es wird Blut fließen, nicht nur am islamischen Ort der
Heiligkeit (Haram a-Sharif), sondern auch der Ort des Kodesh Kodeshin
(des Heiligsten des Heiligen) wird besudelt werden - mit Blut.
In der jüdischen Geschichte markierte der 9.Av immer
wieder Zeiten der Zerstörung. Immer wieder rissen Fanatiker (Kanaim) das
Volk in militante Auseinandersetzungen, spalteten es, verfluchten und
verfolgten jeden, der ihnen widersprach und zogen mit kompromissloser
Selbstgerechtigkeit Unheil heran. Messianische Eiferer versuchten G'tt
selbst zu zwingen, sich zu ihren Diensten in die Geschichte
einzubringen, um ihr verantwortungsloses Handeln schließlich noch zu
belohnen.
Zwischen der Ermordung
Gedaljah Ben Ahikams
und der Ermordung Jizhak Rabins liegen Jahrtausende, am Weltbild der
Kanaim hat sich nichts geändert.
dg / haGalil onLine
27-07-2001 |