Vergeltung folgt auf Vergeltung
Israels Armee rückt nach dem Beschuss des Jerusalemer
Vororts Gilo in Beit Dschalla und Bethlehem ein
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Die Gewalt im Nahen Osten
ist nach der Ermordung des israelischen Tourismusministers Rechawam
Seewi durch palästinensische Terroristen weiter eskaliert.
Palästinensische Extremisten begannen von Beit Dschalla aus erneut mit
dem Beschuss des Jerusalemer Vororts Gilo, nachdem ein führender
Aktivist des militärischen Flügels der Fatah- Organisation von
Palästinenserpräsident Jassir Arafat durch die Explosion seines Autos in
Bethlehem getötet worden war.
Bei der Explosion starben auch zwei
Begleiter des Aktivisten, dessen Name Atef Abajat auf einer von Israel
erstellten Liste meist gesuchter palästinensischer Terroristen
aufgeführt ist. Die Palästinenser machten Israel für die Tötung Abajats
verantwortlich.
Fatah-Aktivist Marwan Barguti sprach in Ramallah von „Staatsterrorismus“
und kündigte Vergeltung an. Israel dementierte jedoch eine Beteiligung
am Tod Abajats und sprach von einem „Arbeitsunfall“. Der Fatah- Aktivist
sei vielmehr auf dem Weg nach Israel gewesen, um dort ein
Selbstmordattentat zu verüben. Der kurz nach der Tötung Abajats
einsetzende Beschuss von Palästinensern auf Gilo dauerte bis in die
frühen Morgenstunden.
Vergl. m. Übersichtskarte:
Municipality Area Greater Jerusalem |
Israelische Medien berichteten, israelische
Truppen seien nach Beit Dschalla einmarschiert. Zuletzt hatte die
israelische Armee Beit Dschalla vor einem Monat kurzfristig besetzt,
um den Beschuss Gilos zu stoppen. Seit Beginn der Intifada vor einem
Jahr ist es mehrmals zu heftigen Schusswechseln zwischen Gilo und
dem mehrheitlich von christlichen Palästinensern bewohnten Beit
Dschalla gekommen. Die israelische Regierung unter Ariel Scharon
hatte nach ihrem letzten Rückzug aus Beit Dschalla mit einem
erneuten Einmarsch gedroht, falls Gilo wieder unter Beschuss
genommen würde. |
Die Palästinenser sehen in Gilo eine
jüdische Siedlung. Tatsächlich hat Israel das Areal nach dem
Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt und annektiert und später in das
Stadtgebiet von Jerusalem integriert. Einheiten der israelischen Armee
sind außerdem am Freitag in die Randzonen der palästinensisch-autonomen
Städte Bethlehem, Ramallah und Beit Schaur im Westjordanland
vorgedrungen. Ein Sprecher der Armee erklärte am Freitag, man werde dort
so lange bleiben, „wie es uns nötig erscheint“.
Bei den Einmärschen wurden nach
palästinensischen Angaben ein palästinensischer Polizist in Ramallah
getötet und mindestens 16 Palästinenser verletzt. Nach israelischen
Angaben wurde ein israelischer Offizier in Bethlehem durch
palästinensische Scharfschützen schwer verletzt. Zuvor waren israelische
Zivilisten auf dem Rückweg einer Wüstentour südlich von Jericho von
Palästinensern überfallen worden. Eine Frau wurde dabei durch einen
Kopfschuss getötet.
In einem Aufruf an Palästinenser und
Israel appellierte der Sprecher des US-Außenministeriums, die Gewalt
nicht weiter eskalieren zu lassen: „Wir rufen beide Seiten auf, das
Vertrauen wieder herzustellen und Schritte zu vermeiden, die die ohnehin
angespannte Situation weiter anheizen.“ Arafat solle zudem dafür sorgen,
dass die Attentäter des israelischen Tourismusministers Rechawam Seewi
gefasst würden. Zu dem Mord in einem Jerusalemer Hotel am Mittwoch hatte
sich die radikal-marxistische Volksfront zur Befreiung Palästinas
bekannt. Sie habe so Vergeltung geübt für die Tötung ihres Führers Ali
Mustafa, der im August als mutmaßlicher Drahtzieher zahlreicher
Attentate in Israel durch die israelische Armee getötet worden war.
Israel verlangte am Donnerstag ultimativ die Auslieferung der Mörder
Seewis. Der palästinensische Informationsminister Jasser Abed Rabbo
bezeichnete dies als „Erpressung“ und verglich Israels Premier Scharon
mit dem mutmaßlichen saudi-arabischen Terroristen Osama bin Laden.
haGalil onLine
20-10-2001 |