Trotz seiner Mängel:
Für einen Zaun
Leitartikel, Ha’aretz, 18.06.2002
Es ist nicht schwer, all die Mängel des
Trennungszaunes, mit dessen Bau diese Woche im nördlichen Teil der
Westbank nach einigem Zögern begonnen worden war, aufzuzählen.
Der Zaun ist zuallererst eine einseitige israelische
Entwicklung, ohne vorherige Beratungen mit den Palästinensern und gegen
deren Willen. Als solche drückt er unverblümt die Verzweiflung der
Israelis aus, die diese seit den fehlgeschlagenen Verhandlungen mit der
PA und dem darauf erfolgten Ausbruch der mörderischen Gewalt, ergriffen
hat.
Es gibt also keine Gewissheit, dass der Zaun die
Erneuerung des politischen Prozesses zwischen beiden Völkern
beschleunigen wird. Auch gibt es keine Garantie, dass der Zaun
innenpolitische Prozesse in Israel vorantreibt, die zur Evakuierung der
Siedlungen führen, was wiederum ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu
einem politischen Abkommen ist. Tatsächlich wird der Zaun auf kurze
Sicht die Entscheidung der Siedler bekräftigen, auf ihren Positionen
sitzen zu bleiben. Dies wird die Last der Sicherheitskräfte verdoppeln:
sie brauchen Personal für die Sicherheitszone um den Zaun herum und sie
müssen mit steigendem Einsatz die Siedlungen schützen.
Der Zaun wird auch auf Teilen palästinensischen Landes
entlang der Grünen Linie stehen. An manchen Stellen wird er ein paar
Kilometer weiter nach Osten geleitet, um jüdische Siedlungen jenseits
der Grünen Linie einschließen zu können. Diese "Landnahme" wird den
Palästinensern, die in Zukunft an dieser Grenze leben, weder den Zaun
noch Israel liebenswerter erscheinen lassen. Wenn der Zaun Jerusalem
erreicht, kann man erwarten, dass er politische und demographische
Probleme mischt, die sowieso schon unlösbar erscheinen.
Trotzdem überwiegen die Vorteile des Zaunes gegenüber
seinen Nachteilen. Zuallererst wird er –hoffentlich- den unerträglichen
Blutpreis, der praktisch jeden Tag mit dem Leben friedlicher Israelis
bezahlt wird, heruntersetzen. Selbst die Pessimisten, die warnen, dass
passive Verteidigungssysteme –egal wie gut ausgeklügelt sie sind- keinen
hermetischen Schutz liefern können, geben zu, dass dieses System ein
gewisses Maß an Effektivität beinhaltet. Ranghohe Sicherheitsexperten
sagen, die einzig effektive Alternative zu einem Zaun ist ein
fortdauernder Besatzungskrieg tief in palästinensischem Gebiet.
Doch über die sofortigen Sicherheitsvorteile, die aus
der Errichtung einer geschützten Saumzone resultieren, hinaus, wird es
eine neue, greifbare Realität der Teilung zweier nationaler,
geographischer Systeme geben. Diese Realität wird allmählich Teil des
Bewusstseins beider Völker werden. Dies ist keine geringe Angelegenheit,
besonders nicht für die vielen jungen Leute, für die die Teilung nur
eine vage Erinnerung oder eine imaginäre Abstraktion ist. Die Änderung
könnte revolutionär sein: ein physischer Wandel, der zu einem
psychischen führt, mit dem es möglich sein kann, den lang ersehnten
politischen Wandel herzustellen.
Nachdem nun die Entscheidung, den Zaun zu bauen, im
Prinzip gefallen ist, gibt es keinen Raum mehr für Verzögerungen oder
Debatten. Dies ist ein Notfall. Der Zaun ist weit davon entfernt, eine
perfekte Lösung zu sein, doch er ist anscheinend die beste Alternative.
Es heißt, dass sich der Zeitplan für die gesamte Errichtung des Zauns
über Monate oder sogar Jahre hinweg erstrecken wird. Doch wenn man an
die Wichtigkeit und Dringlichkeit denkt, die diese nationale Mission mit
sich bringt, sind Zeitpläne unnötig und unlogisch. Dem Zaun sollte die
höchste Priorität gegeben und der Bau sollte mit Spitzengeschwindigkeit
vorwärts getrieben werden.
haGalil onLine 18-06-2002 |