Auszeichnungen für technologische Innovationen:
Von der Präzisionsrakete zu medizinischem
Präzisionsgerät
Auszüge aus einem Artikel von Amnon Barzilai,
Ha'aretz, 30.12.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Als Dr. Gabi Idan, Dr. Jacob Vortman und Dr.
Shuki Vitek "Popeye" –eine Präzisionsgeführte Luft-Boden-Rakete- für
die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) entwickelten,
dachten sie nicht im Traum daran, dass die Technologie, die sie für
diese Entwicklung einsetzten, 25 Jahre später auf medizinischem
Gebiet angewendet und die Basis für zwei Weltführende Innovationen
im Jahr 2004 werden würde.
Das "Wall Street Journal" gab kürzlich die
Gewinner seiner Auszeichnungen für technologische Innovationen im
Jahr 2004 bekannt. Zwei israelische Firmen, an denen Dr. Idan, Dr.
Vortman und Dr. Vitek beteiligt sind, kamen bei der Preisverleihung
unter die ersten drei von 120 Teilnehmern.
Die Firma "Given Imaging" in Yokneam entwickelte
eine Kapsel, die "PillCam" enthält. "PillCam" ist eine Videokamera,
die den Verdauungstrakt filmt. "Given Imaging" kam auf den zweiten
Platz. "InSightec" aus Tirat Carmel erreichte Platz drei. Die Firma
entwickelte "ExAblate 2000", ein fokussiertes Ultraschallsystem, das
mit magnetischer Resonanzbildgebung (MRI) kombiniert ist und
bösartige Tumore in einem nicht invasiven Verfahren entfernt.
Beide Produkte kamen in den vergangenen zwei
Jahren auf den Markt und wurden ein voller Erfolg. (…) Vortman trug
zum kommerziellen Erfolg der Erfindungen bei, die er und seine
beiden Kollegen während der Jahre machten, die sie bei der Behörde
für Waffenentwicklung (bekannt unter dem Namen "Rafael")
verbrachten. Idan entwickelte die Peilsender für die "Popeye"-Rakete
und die Panzerabwehrrakete "Gil". Vortman, der einen Doktor in
Elektrooptik hat, wird als Pionier in der Entwicklung der
Nachtsichtsysteme für Verteidigungsinstitutionen betrachtet. Vitek
entwarf zu einem späteren Zeitpunkt den "Black Anchor", die
Zielrakete, die für die Tests der "Arrow Missile" verwendet wurde.
Idan, Vortman und Vitek sind Absolventen des
Technions, das israelische Institut für Technologie in Haifa. Sie
traten der "Rafael"-Raketeneinheit nach dem Jom-Kippur-Krieg bei.
Nach sechs Jahren hatte dieser Krieg die zweite technologische
Revolution in Israels Geschichte hervorgerufen. Die erste Revolution
begann, nachdem Frankreich am Anfang des Sechstagekrieges dem
Waffenverkauf nach Israel ein Embargo auferlegt hatte. Die zweite
Revolution war jedoch die wichtigere. "Nach dem Jom-Kippur-Krieg
mussten wir unser Denken ändern. Wir mussten etwas Neues erfinden.
Wir mussten eine Technologie entwickeln, die den IDF eine
exponentielle Überlegenheit liefern würde. Das war das Motto bei
"Rafael"", sagt Vortman.
Die Spezialisierung auf Nachtsichtsysteme war auch
das Ergebnis einiger Lektionen, die im Jom-Kippur-Krieg gelernt
worden waren. "Während der Kämpfe auf den Golanhöhen, wurde es
offensichtlich, dass die syrischen Panzerstreitkräfte
Nachtsichtsysteme in ihren hoch entwickelten russischen T-26-Panzern
hatten", sagt Vortman. "Sie konnten uns mit Hilfe ihrer
Infrarot-Projektoren, die für das Auge unsichtbar sind, sehen. Und
dies gab ihnen einen bedeutenden Vorteil über uns. Wir hatten keine
Quelle für diese Technologie. Die US-Amerikaner betrachteten
Nachtsichtsysteme als rein strategische Technologie. Somit
realisierten wir, dass wir keine andere Wahl hatten, als etwas Neues
zu erfinden, wenn wir dieses Gebiet betreten wollten."
Ermutigung zum Versagen
Die Realisierung der Notwendigkeit, eine
einzigartige Technologie zu erfinden, die eine exponentielle
Überlegenheit liefern würde, leitete das "Popeye"-Raketenprojekt
ein. Die Luftwaffe suchte nach einer Waffe, die aus einer gewissen
Entfernung abgefeuert werden und das Ziel präzise treffen konnte.
Die Notwendigkeit dafür wurde nach dem Versagen der israelischen
Kampfflieger, während des Jom-Kippur-Krieges das ägyptische
Flugabwehrsystem zu durchdringen, formuliert. "Popeye", die fern
gesteuerte Rakete mit einer Reichweite von 100 Kilometern, war die
technologische Lösung. Zvika Me’iri formulierte das Konzept der
Rakete bereits in den späten 1960er Jahren. Doch der Anstoß, sie zu
entwickeln, kam erst nach dem Jom-Kippur-Krieg. Vortman führt den
Erfolg der Rakete auf "Rafaels" Unternehmensphilosophie zurück, "die
den Menschen die Erlaubnis gab zu versagen ohne sie dafür zu feuern.
Rafael ermutigte die Mitarbeiter, kreativ zu sein. Versagen in der
Entwicklung oder in Versuchen wurde als Teil des Lernprozesses
betrachtet, nicht als das Ende".
Dank des umfangreichen Budgets für die
Entwicklungen in der Verteidigung und Dank der guten Atmosphäre bei
"Rafael", strömten nach Ende des Jom-Kippur-Krieges die besten
Ingenieur-Absolventen des Technions zu "Rafael". Und die
Verteidigungsindustrie der 1970er Jahre hatte im Vergleich zu heute
einen beträchtlichen Vorteil, weil die Hightech-Welt, die noch in
ihren Kinderschuhen steckte, kein ernst zu nehmender Rivale war.
Vitek sagt, dass es bei "Rafael" während der
1970er und 1980er Jahre ein starkes Leitmotiv für Neuheiten gab.
"Die Mitarbeiter konnten kreativ sein. Sie entwickelten eine Idee
und warben für sie. Der stellvertretende Direktor für Forschung und
Entwicklung hatte Gelder, um Initiativen zu unterstützen. Viele
fortschrittliche Systeme begannen auf diese Weise. (…) Auch ich
begann so, den "Black Anchor" zu entwickeln."
Alle drei betrachten die "Popeye"-Rakete als
bedeutenden Durchbruch für die Entwicklung ferngesteuerter
Präzisionsraketen. "Alles begann damit", sagt Vortman. "Alle
elektro-optischen Raketen sind Ableitungen der "Popeye". Die
"Popeye" hatte ein vollkommen anderes System als alles, was zuvor
existierte. Sie ist eine Rakete, deren Flugbahn aus der Ferne
angepasst und dann direkt auf das Ziel gerichtet werden kann."
Vitek stimmt zu: "Wenn man die "Popeye" nimmt und
all die Bestandteile sieht, aus der sie zusammengesetzt ist, stellt
sich heraus, dass wir jedem Entwicklungsgebiet der Rakete eine
Informationsquelle zugeordnet haben: Peilsender, Nachtsicht,
Fernsteuerung."
In den späten 1980er Jahren integrierten die
Amerikanischen Staaten die "Popeye"-Rakete in das
Luft-Boden-Raketensystem ihrer Luftwaffe. Danach folgten Australien
und Südkorea. In den letzten Jahren hat "Popeye" etwas von ihrem
ursprünglichen Glanz verloren, da sie durch neue Generationen
ersetzt wurde. Bereits in den 1980er Jahren haben Wissenschaftler
jedoch die Ähnlichkeiten zwischen militärischen und medizinischen
Systemen bemerkt.
Zerstören von Gewebe durch Wärmesuchende Systeme
Auch Idan und Vortman bemerkten die
fachübergreifenden Ähnlichkeiten zwischen militärischen und
medizinischen Technologien. In den späten 1980er Jahren schlug Idan
dem damaligen Direktor von "Rafaels" Raketen-Abteilung, Giora
Shalgi, vor, eine Minikamera für Aufnahmen im menschlichen Körper zu
entwickeln. Die Entwicklung sollte auf Prinzipien basieren, die für
die Handhabung der "Popeye"-Rakete benutzt wurden.
Shalgais Antwort lautete wie folgt: "Ich fresse
einen Besen wenn das möglich ist." Doch er genehmigte ein Budget von
5.000 Dollar für den Kauf von Kameras. Und damit begann alles.
Einer der ersten Versuche der entwickelten Kamera
wurde an einem gefrorenen Hähnchen durchgeführt, nachdem dieses
aufgetaut worden war. Ein Sender wurde in den Körper des Hähnchens
eingeführt, und er funktionierte. Nachdem die Kapsel entwickelt
worden war, die fähig ist, Bilder zu übertragen, wurden der
Signalempfang und der klinische Arbeitsplatz entworfen. Im Jahr 1994
patentierte man die Erfindung. (…) Idan gründete später die Firma
"Given Imaging".
Vortman wechselte im Jahr 1994 in den
medizinischen Bereich. Bis ins Jahr 1997 leitete er die Firma "Elbit
Ultrasound". (…) Im Jahr 1999 gründete er mit "InSightec" eine neue
Firma, nachdem er die Möglichkeit erkannt hatte, den Operationssaal
zu revolutionieren und eine Operation in einen nicht invasiven
Prozess zu verwandeln. Vitek arbeitete mit ihm zusammen und wurde
zum Vizepräsident für Forschung und Entwicklung ernannt.
Die Technologie von "InSightec" umfasst drei
Hauptsysteme:
Magnetische Resonanzbildgebung (MRI), die es
möglich macht, ohne großen Eingriff in Echtzeit zu sehen, was im
Inneren des Körpers vorgeht;
ein Ultraschallsystem, das fokussierte Ultraschallwellen ausstrahlt,
die Temperatur des betroffenen Gewebes auf 60 Grad Celsius aufwärmt
und es zerstört;
und die Fähigkeit, die Temperatur mit der erforderlichen Präzision
zu messen, die Zerstörung des Gewebes zu beobachten und dem
Chirurgen anzuzeigen, wann der Prozess beendet ist und ob er das
betroffene Gewebe zerstören konnte.
"Das System, das wir entwickelt haben, ist im
Prinzip einem militärischen Kommando- und Kontrollsystem ähnlich",
sagt Vortman. "Wir arbeiten nun daran, den Operationssaal der
Zukunft zu entwickeln – ein Operationssaal, in dem kein Blut zu
sehen sein wird. Und am Tag nach der Operation wird es dem Patienten
schon wieder möglich sein, zur Arbeit zurückzukehren. Unsere erste
Anwendung besteht darin, Fibrome ohne Totaloperation zu behandeln.
Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2005 werden wir damit beginnen,
Krebsgeschwulst von der Prostata zu entfernen. Das Highlight dieser
Technologie wird die Behandlung von Gehirntumoren ohne Durchstoßen
des Schädels sein."
"InSightec" gewann im Oktober 2003 den
europäischen Grand IST Preis für innovative Technologien. Diese
Auszeichnung prämiert diejenige Erfindung, von der man glaubt, sie
werde einen wesentlichen Beitrag für die Menschheit leisten und
einen Durchbruch in der Computertechnologie schaffen. (…)
Zur Information: Alle Gewinner des Wall Street
Journal sind –auf Englisch- auch
online zu finden.
hagalil.com
03-01-2005 |