
Armes Heiliges Land:
Es fehlen die Touristen und das Vertrauen in den
Frieden
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Von der katastrophalen Wirtschaftslage, in der
sich Israel derzeit befindet, hatte Regierungschef Ariel Scharon im Wahlkampf
nicht gesprochen – vermutlich fürchtete er, für diese verantwortlich gemacht zu
werden. Nun sagte er seinen Anhängern in ihrer trunkenen Siegeslaune, es gebe
keinen Grund zu feiern. Tatsächlich erlebt Israel seit Beginn der Intifada vor
zweieinhalb Jahren die tiefste Rezession seit den sechziger und siebziger
Jahren. Die Haushaltskassen sind wegen der Finanzierung des Kampfes gegen die
Intifada leer, der bislang umgerechnet rund zehn Milliarden Euro verschlungen
hat.
Finanzminister Silvan Schalom hatte mit einem drastischen
Budgetentwurf für 2003 die Koalitionsregierung Scharons im Herbst an den Rand
des Kollapses gebracht. Die Mehrausgaben für das Militär hatte Schalom durch
Kürzungen im Sozialbereich wett zu machen versucht, woraufhin die religiösen
Parteien, allen voran die ultra-orthodoxe Schas, mit dem Auszug aus der
Koalition gedroht hatten. Dieser Tage verkündete Schalom, auch 2003 könne Israel
nicht mit einem Aufschwung rechnen. 2002 war die Wirtschaftsleistung um ein
Prozent zurück gegangen.
Die Wirtschaft Israels ist doppelt benachteiligt: Durch die
Intifada und durch die Auswirkungen der weltweiten Rezession. Israel exportiert
neben Agrarerzeugnissen hauptsächlich High-Tech-Produkte, was in den vergangenen
zwei Jahren auch nachgelassen hat. Der israelische Schekel verliert gegenüber
Euro und US-Dollar zusehends an Wert. Die Arbeitslosenquote beträgt derzeit 10,
5 Prozent – so viel wie noch nie in der Geschichte Israels. Seit Beginn der
Intifada verzeichnet Israels Wirtschaft nach Angaben des Finanzministeriums
einen Verlust von 4,7 Milliarden Schekel, was etwa 1,3 Milliarden Euro
entspricht. Massenweise schließen Restaurants, Bars und Clubs, weil die Israelis
aus Angst vor Anschlägen öffentliche Plätze eher meiden. Auch der Einzelhandel
hat unter dem Krieg der Palästinenser zu leiden. Im vergangenen Jahr haben 20000
Einzelhändler Konkurs angemeldet. Ausländische Investoren verschieben geplante
Projekte. Ein Sprecher aus dem Finanzministerium erklärte: "Die warten alle auf
bessere Zeiten."
Von der andauernden Gewalt verschreckt sind inzwischen auch die
mutigsten Touristen. Nur noch 750000 Menschen kamen 2002 ins Heilige Land,
üblicherweise sind es jährlich 2,5 Millionen. Das ist ein herber Verlust, wenn
man bedenkt, dass Israel zu 20 Prozent von den Einnahmen aus dem Tourismussektor
lebt. 50000 in der Branche Beschäftigte wurden bisher entlassen. Hotels am See
Genezareth, in Tel Aviv und Jerusalem haben schließen müssen oder darben bei
einer Belegungsrate von durchschnittlich 30 Prozent vor sich hin. Manche
5-Sterne-Herbergen verscherbeln ihre Zimmer an Einheimische für einen Bruchteil
der marktüblichen Preise – in der Branche spricht man von einem
"Arafat"-Discount.
Die Rezession hat auch zu einem Anstieg der Obdachlosigkeit
geführt: Auf den Trottoirs der Großstädte sieht man immer öfter Menschen, die in
Mülleimern nach Essbarem suchen oder betteln. Über eine Million Israelis sollen
unter dem Existenzminimum leben. Scharon kündigte vor kurzem an, er werde eine
rigide Ausweisungspolitik verfolgen und 50000 illegale asiatische Fremdarbeiter
des Landes verweisen – die die Palästinenser ersetzen.

hagalil.com
30-01-03 |