Eklatante Missstände:
Soziale Unterschiede und Armut in Israel
Israel ist nicht mehr das, was
es einmal war. In den 60er Jahren war das Land Vorbild im Bereich
der sozialen Gleichheit und Gerechtigkeit. Heute ist Israel nach den
USA das Land mit den größten sozialen Gegensätzen in Bezug auf
Einkommen, Eigentum, Kapital und Erziehung, sowie in Bezug auf das
Ausmaß der Armut. Die Kluft zwischen arm und reich ist zur
existenziellen Bedrohung für Gesellschaft und Demokratie geworden.
Zu diesem Schluss kommt der Bericht eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der letzte Wochen in
Israel veröffentlicht wurde. Am meisten wurde zunächst die enorme
Kluft zwischen arm und reich diskutiert. Im Bericht heißt es, dass
eine Minderheit der Bevölkerung, die 10% ausmacht, zwei Drittel des
privaten Kapitals hält. Gegenüber diesen 800 Billionen NIS teilen
sich die übrigen 90% der Bevölkerung lediglich ein Kapital von 430
Billionen NIS.
Der Bericht, der sich auf Daten des Zentralen
Statistikbüros und der Nationalen Versicherungen beruft, zeigt
außerdem, dass sich die Zahl von Kindern, die unter der Armutsgrenze
leben, in den letzten 14 Jahren um 50%, die Zahl armer Familien um
30% erhöht hat.
Die Kluft innerhalb der Bevölkerung und die
steigende Armutsrate konnten auch durch die Verdoppelung des Sozial-
und Wohlfahrtsbudgets nicht ausgeglichen werden. Ein nur zögerliches
Anwachsen des Prokopfeinkommens, hohe Arbeitslosigkeit, die
prozentual niedrige Arbeitskraft von Männern (durch den langen
Militärdienst und den Anteil an Religiösen) und dagegen ein relativ
hoher Anteil an ausländischen Hilfs- und Arbeitskräften lassen die
israelische Wirtschaft nachhaltig kranken. Nur radikale
Veränderungen und Maßnahmen können der Entwicklung entgegenwirken,
konstatiert der Bericht.
Auch im Bereich der Bildung wies die Untersuchung
frappierende Unterschiede und Missstände nach. Während 96% der
jüdischen Bevölkerung im Alter von 14-17 ein Gymnasium besuchen,
sind nur 79% des arabischen und nur 43% der beduinischen Jugend an
der höheren Schule. Nicht-Juden sind nur mit 7% an den universitären
Bachelor Abschlüssen beteiligt, wobei sie 20% der Gesamtbevölkerung
stellen. Das Erziehungssystem des Landes, urteilt der Bericht,
weitet die Kluft und gibt sie jeweils in die nächste Generation
weiter.
Die Lösungsvorschläge des Untersuchungsausschusses
sind keine Wundermittel und seit langem bekannt. Neben der Schaffung
von neuen Arbeitsplätzen muss eine Lohnpolitik stehen, die das
Arbeiten an sich attraktiver gestaltet und gleichzeitig
ultraorthodoxe Männer und arabische Frauen in den Arbeitsmarkt
einbezieht, soziale Dienste müssen einfacher zugänglich sein, die
Großverdiener mehr besteuert werden. Grundlegende Gesetzesänderungen
in Bezug auf Erziehung, Wohnraum und Beschäftigung stehen also an.
Die Vorschläge sind nicht nur
logisch, sondern vor allem offensichtlich. Die Frage ist jedoch, ob
sich eine Knesseth oder/und eine Regierung findet, die diese auch in
die Tat umsetzen möchte. Dabei sieht es jedoch düster aus,
konzentriert sich doch die gesamte Politik des Landes auf den
Konflikt mit den Palästinensern. Innenpolitische Themen scheinen
auch im Wahlkampf nur am Rande von Bedeutung zu sein.
Dass ein möglicher Friedensschluss mit den
Palästinensern auch mit der wirtschaftlichen Lage Israels verknüpft
ist, liegt auf der Hand. Auf diesen Trichter ist mittlerweile selbst
Ariel Scharon gekommen. In seinem letzten Fernsehinterview verkündet
er das als großartige neue Erkenntnis. Jeder Tag, der bis dahin
verstreicht geht jedoch zu Lasten der in Armut lebenden Menschen,
deren Schicksal die Politik wenig zu kümmern scheint.
aue /
hagalil.com
13-12-2002 |