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Judentum und Israel
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Ende der "Schonzeit"

Thomas v. der Osten-Sacken
KONKRET 9/01

Europa und die USA stellen die Mitgliedschaft Israels in der "westlichen Wertegemeinschaft" zur Disposition

"Da die Zionisten ... nur in nationalen Begriffen denken konnten, entging ihnen offenbar, daß der Imperialismus eine die Nation zerstörende Kraft war und es deshalb für ein kleines Volk dem Selbstmord gleichkam, wenn es sich bemühte, sein Verbündeter oder Agent zu werden. Zudem ist ihnen bis heute noch nicht klar geworden, daß der Schutz durch imperialistische Interessen für ein Volk eine genau so sichere Stütze ist wie das Seil für den Gehenkten."
Hannah Arendt, 1945

"Wo Macht ist ..., ist man, diplomatisch mehr oder weniger paraphrasierend, bereit 'das Recht der Araber', das sich in Petro-Dollars quantifizieren läßt, zu verteidigen und das Recht der Juden, welches das ewige Unrecht der Armen ist, für ein paar Silberlinge zu verkaufen."
Jean Améry, 1976

Das arabische Projekt, Israel international als rassistisches Unrechtsgebilde zu delegitimieren, hat in den vergangenen Monaten beträchtliche Fortschritte gemacht.

Nicht nur der scharfe Ton, der in diplomatischen Stellungnahmen Israel gegenüber jüngst angeschlagen wurde, spricht für eine radikale Umpolung des europäisch-israelischen Verhältnisses. Vor allem die sie flankierenden Maßnahmen signalisieren ein Ende der "Schonzeit für Israel" - etwa die Erklärung des dänischen Justizministers, den designierten israelischen Botschafter auf Grund seiner Zustimmung zu folterähnlichen Verhörmethoden "beim Betreten des Landes festnehmen lassen zu wollen". Die in Belgien anhängige Klage gegen den israelischen Premier Scharon wegen "Verbrechen gegen die Menschheit", die auf einen BBC-Bericht zurückgeht, fand sogar europaweit Zustimmung.

Das europäisch-israelische Verhältnis ist niemals so eng gewesen wie das der USA zum Staat der Juden; es schwankte zwischen projektiver Bewunderung, schlechtem Gewissen und offener Ablehnung. Mit entsprechendem Mißtrauen pflegte das offizielle Israel deshalb den Europäern zu begegnen; man setzte auf die USA, die, anders als andere Industrienationen, Israel vor Jahrzehnten materiell und ideologisch als Teil des "freien Westens" aufgenommen und während des Blockkonfliktes jede weitergehende Kritik an der israelischen Politik zu unterbinden verstanden hatten.

Bereits unter der Amtszeit Ehud Baraks hatte der israelische Generalstaatsanwalt, Elyakim Rubinstein, vor einem zu ewartenden Wandel der europäischen Haltung gegenüber Israel gewarnt. Als Folge der außenpolitischen Emanzipation Europas von den USA entwickle die EU eine Politik des "doppelten Standards und der Scheinheiligkeit", welche "früher oder später zum Problem für Israel" werden könnte. Der Verdacht Rubinsteins schien bestätigt, als die EU auf ihrem Gipfel in Nizza Israel einseitig für seine "exzessive Gewaltanwendung" verurteilte und sich zugleich Arafats Forderung nach internationalen Truppenkontingenten zum Schutz der Palästinenser zu eigen machte. Ze'ev Schiff bemerkte kürzlich in der linksliberalen Zeitung "Ha’aretz", Israel werde zunehmend wie eine in Ungnade gefallene Drittweltdiktatur behandelt, während die "50jährige Geschichte arabischer Aggression und Bedrohung Israels die Europäer, die uns als letzte Besatzermacht in einer Welt ohne Besatzer wahrnehmen, nicht interessieren."

Längst herrscht unter Israelis der Eindruck, Europa gebe ihnen die alleinige Schuld für die Eskalation des Konfliktes, während es den Palästinensern selbst dann noch Verständnis entgegenbringt, wenn Selbstmordattentäter als lebende Nagelbomben im israelischen Kernland explodieren. Eine Wandlung, die nur Uri Avnery vom Friedensblock Gush Schalom euphorisch begrüßte: "Am Anfang des neuen Jahrhunderts ist die Menschlichkeit erwacht und beginnt sich mit Kriegsverbrechen auseinanderzusetzen. ... Belgien ist der Vorreiter. Das kleine Dänemark wird als Modell für andere zivilisierte Länder dienen. ... Es mag an seiner dunklen Vergangenheit liegen, daß Europa nun willens ist, diesen Verbrechen ein Ende zu setzen. ... Ein neues Spiel hat begonnen und die Regeln haben sich geändert. Die Welt sagt uns: Ihr seid verwarnt".

Diese "veränderten Regeln" zeugen vor allem von einem: Europa, das für sich beansprucht, "die Welt" zu sein, hat mit der aus dem Blockkonflikt tradierten Vorstellung gebrochen, die Israel als vollwertiges Mitglied der "westlichen Wertegemeinschaft" akzeptiert. Wichtigste Regel dieser Mitgliedschaft war die Maßgabe, Kritik - als eine unter Partnern - diplomatisch zu äußern: Verurteilte man etwa israelische Verstöße gegen das Völkerrecht, erforderte die Etikette zugleich, verständnisvoll auf die innere oder äußere Bedrohung des Judenstaates zu verweisen. Sanktionen und Zwangsmaßnahmen hingegen waren gegen Israel ebensowenig vorstellbar wie die Anwendung "menschenrechtsorientierter Außenpolitik". Hierin reflektierte sich auch das Wissen, daß jede offensive Verurteilung der israelischen Politik als Zugeständnis an jene Staaten im Nahen Osten verstanden wird, die seit Jahrzehnten versuchen, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Ihre Politik, zu jeder Gelegenheit Menschen- und Völkerrechtsverstöße des Judenstaates zum Anlaß nehmen, diesen als faschistisches Gebilde zu denunzieren, zielte auf dessen Isolierung innerhalb des sich als demokratisch legitimierenden westlichen Blocks. Eine Politik zugleich, die über Jahrzehnte Erfolg nur bei den Marginalisierten innerhalb des westlichen Lagers hatte, während die eigentlichen Adressaten gleichgültig blieben.

Begeistert nahm deshalb die arabischen Presse auch die belgische Anklage gegen Scharon auf, deren Verspätung um beinahe zwei Jahrzehnte dem jahrelangen arabischen Lamento gegen den Westen eine nachträgliche Rechtfertigung verleiht. Endlich, hieß es, begännen die Europäer zu verstehen, daß Israel keiner der Ihren, sondern ein von Kriegsverbrechern und Banditen regierter Unrechtssaat sei, der international geächtet und dessen Regierung hinter Gitter gehörte. Mit neuer Motivation nahmen in Beirut und Kairo Staatsanwälte eigene Ermittlungen auf, um ein internationales Tribunal gegen führende israelische Politiker und Militärs vorzubereiten.

In den arabischen Reaktionen zeigt sich zugleich die eigentliche Wirkung der vermeintlich israelkritischen Haltung der Europäer, die nicht eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts fördert, sondern vor allem den in der arabischen Welt grassierenden antisemitischen Wahn bestätigt, der in Israel niemals einen - schlimmstenfalls - verfeindeten Nationalstaat sehen kann, sondern allein eine jüdische Agentur des Bösen, die – wie die PLO-nahe Zeitung "Al-Hayat-al-Jedida" verlautbarte - "die ganze Welt zerstören" wolle. In den Kommentaren deutscher Medien aber, die immer lauter nach europäischen Blauhelmtruppen für Nahost rufen, werden Israel und die Palästinenser längst schon gleich gesetzt – nicht, indem den Palästinensern eine eigene Staatlichkeit zugesprochen wird, die sie nicht besitzen, sondern indem man Israel den Status des Gleichen zu verwehren beginnen.

So ist mittlerweile auch eine Veränderung in der US-amerikanischen Haltung zu Israel zu verzeichnen. Anders als die EU unterstützen die USA zwar weiter in prekären Situationen Israel, wie zuletzt ihre Drohung zeigte, nicht an der UN-Konferenz gegen Rassismus in Durban (31.8.-7.9.) teilnehmen zu wollen, sollte dort der Zionismus als Rassismus und Israel als Apatheidsregime denunziert werden. Besorgt vermerkte man aber in Israel, daß die USA nicht nur ungewohnt heftig die gezielten Tötungen von Hamas- und Fatah-Mitgliedern verurteilten, sondern inzwischen erheblichen Druck auf Scharon ausüben, um, wie die Herald Tribune feststellte, "ihr wankendes regionales Bündnis gegen den Irak zu festigen". Langfristig könnte diese Umorientierung dazu führen, daß die USA Israel aus dem Zentrum in die Peripherie ihrer Nahostpolitik verdrängen. Israel würde dann zunehmend unter Druck geraten, den arabischen US-Alliierten, wie Saudi Arabien oder Ägypten, Konzessionen zu machen.

Lange bevor das Verhältnis Europas zu Israel quasi offiziell zur Disposition gestellt wurde, witterten die deutschen Medien den anstehenden Wandel: Waren es früher linke Soligruppen und Nazis, die die Verbrechen des "rassistischen zionistischen Gebildes" anklagten, so gehört die einseitige Verurteilung oder Diffamierung Israels spätestens seit Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada zum guten Ton eines Establishments, das in den Palästinensern ein weiteres schützenswertes "versprengtes und eingepferchtes Volk" ("FR") entdeckte und in Israel einen "Hinterhof Deutschlands" ("Bild"). Mag auch hierzulande – noch – kein israelischer Premier wegen "Verbrechen gegen die Menschheit" angeklagt worden sein, ideologisch ist der Boden für eine weitgehende menschenrechtsorientierte "Sonderbehandlung" des Judenstaats vorbereitet. Längst nämlich wird Israel als nächster Kandidat "interethnischen Konfliktmanagements", wie humanitäre Interventionen auf eurodeutsch heißen, gehandelt. Denn wo "das Blut und die Rache" regieren (Josef Joffe, "Zeit"), die Bilder aus dem Nahen Osten den deutschen Betrachter an "Srebrenica, Sarajewo oder Grosny" ("Freitag") erinnern und man israelische Vergeltungsschläge als "Staatsterrorismus" (Jürgen W. Möllemann) verurteilt, kann, so die zwingende Logik, nur noch das Eingreifen der "internationalen Gemeinschaft" den "Wahnsinn stoppen" ("BZ").

Die Politik der EU und die sie begleitende Berichterstattung läßt also befürchten, daß die Europäer zunehmend auf eine Isolierung und Schwächung Israels setzen werden, die notwendigerweise mit der angestrebten Internationalisierung des Konfliktes einherginge. Dann würde, wie Werner Pirker in der "Jungen Welt" erhofft, Israel "unter internationale Kontrolle" gestellt und wäre unfähig, weiterhin aus einer Position militärischer Stärke heraus zu handeln. Dies aber könnte auf Dauer seine Existenz zur Disposition stellen, die seit Staatsgründung vor allem auf militärischer Überlegenheit und dem Bündnis mit den westlichen Industrienationen basierte.


Ein ähnliches Szenario haben Hannah Arendt, Jean Améry oder Henry M. Broder befürchtet. Arendt, die bis zuletzt gehofft hatte, ein Krieg zwischen Juden und Arabern ließe sich vermeiden, da die Zionisten sich ansonsten die Araber zu Feinden machten, die nicht ruhen würden, bis der jüdische Staat wieder verschwunden sei, warnte 1947: "Der Antisemitismus von morgen wird behaupten, die Juden hätten nicht nur von der Präsenz der fremden Großmächte in dieser Region profitiert, sondern sie hätten sie im Grunde angezettelt und seien folglich für die Konsequenzen verantwortlich." Arendt identifizierte im arabischen Nationalismus noch eine antiimperialistische Kraft, die gegen die Präsenz fremder Mächte im Nahen Osten ankämpfte. In der Zwischenzeit haben die ehemaligen Befreiungsbewegungen bewiesen, daß ihr Kampf nicht auf Aufhebung, sondern auf die Ablösung von Herrschaft zielte. Nicht mehr der Imperialismus, sondern die US-Hegemonie wird als feindlich bekämpft, während in der EU ein Bündnispartner begrüßt wird, der ökonomisch eine bessere Zukunft und politisch eine Stärkung des arabischen Nationalismus verspricht.

Es liegt im zentralen Interesse jeder israelischen Regierung, mit allen Mitteln einer möglichen Abqualifizierung ihres Landes entgegenzuwirken. Dies war so lange eine Frage politisch-diplomatischer Konzessionen, als das grundsätzliche Problem möglicher Friedensverhandlungen zwischen ungleichen Partnern durch eine Aufwertung der Palästinenser ausgeglichen werden sollte. In Madrid und Oslo hatten die USA noch versucht, sowohl die Palästinenser als auch die arabischen Nachbarstaaten über Israel als Juniorpartner in die "westliche Welt" einzubinden. Den Versuch dagegen, Israel staatlichen Status in Frage zu stellen, muß auf den massiven Widerstand des jüdischen Staat stoßen.

Die Differenz beider Konzepte zeigt sich exemplarisch augenblicklich in der Debatte um die Umsetzung des Mitchell-Planes. Während die Europäer mit internationalen Friedenstruppen den Status Israels verändern und so "den alten palästinensischen Traum, eine Lösung im Nahen Osten ... zu erzwingen" (Avi Primor), zu erfüllen versprechen, erhoffen sich die USA von einer ungewöhnlichen Maßnahme - der Entsendung von CIA-Agenten -, die alliierten arabischen Staaten zufriedenzustellen, ohne Israel international abzuwerten oder seine Souveränität anzutasten. So lange bedeutendende Teile der palästinensischen Gesellschaft, erklärte PLO-Unterhändler Faisal Husseini kurz vor seinem Tode, "die Befreiung des historischen Palästinas vom Jordan bis zum Mittelmeer", also die Auslöschung des jüdischen Staates, als Endziel anstreben, wird Israel weder auf diese Souveränität noch auf die Unterstützung von fremden Mächten verzichten wollen oder können - eine Unterstützung, die, angesichts des internationalen Kräfteverhältnisses, zu "eine(r) so sicheren Stütze" werden könnte "wie das Seil für den Gehenkten".

Die Verträge von Madrid und Oslo versprachen den Palästinensern, sie zu einem "Vorposten des Westens" zu machen, wenn auch in einer gegenüber Israel untergeordneten Rolle; sie liefen nicht auf ein gleichberechtigtes Bündnis zwischen Juden und Arabern hinaus, wie es Hannah Arendt vorschwebte. So bedauerlich dies sein mag, augenblicklich kann einzig Israels Verbleib im westlichen, imperialistischen "Club" eine Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern garantieren, ohne daß der Judenstaat unter internationales Kuratel gestellt oder letztere in einem neuen Krieg vernichtend geschlagen würden. Auf die Zwangslage, in der Israels Existenz gleichzeitig von diesem "Club" abhängt wie sie grundsätzlich in Frage gestellt bleibt, hatte einst der Vietnamkriegsgegner Jean Améry hingewiesen: Er zöge notfalls gegen die "antiimperialistischen Araber" in den Krieg "auf die Gefahr hin, unter israelischem Kommando sich an der Seite eines amerikanischen Marines zu finden, der eben in Vietnam sein tristes Geschäft verrichtete und daheim ... vielleicht ein Segregationist und Antisemit ist."

Jede - auch jede linke - Kritik an diesem Dilemma, die Israel als "Fremdkörper" oder kriegstreiberisches "Kolonialistenregime" denunziert und für eine Stärkung Europas gegen die USA im Nahen Osten wirbt, ist und bleibt reaktionär, weil sie weder die Emanzipation von hegemonialen Herrschaftsverhältnissen noch die Befreiung von diktatorischen Regimes im Nahen Osten anstrebt, sondern Seite an Seite mit ihnen an der Delegitimierung, Schwächung und letztlich Zerstörung Israels arbeitet.

Thomas von der Osten-Sacken schrieb in KONKRET 8/2001 über die wachsende Bedrohung Israels

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haGalil onLine 28-08-2001

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