hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

Am Quell der Gefahr:
Kampf um das knappste Gut im Nahen Osten

Der See Genezareth schrumpft und der Jordan wird zum Rinnsal – am Streit um das Wasser entzünden sich neue Konflikte

Von Thorsten Schmitz

Tiberias - Früher oder später musste ich Schmuel Ochana begegnen. Jeder kennt den 108 Kilogramm schweren achtfachen Familienvater in Tiberias. Als handelte es sich um den Bürgermeister der Stadt am See Genezareth, grüßen ihn die Menschen auf den Straßen, auf dem Markt, auf der Bank. Zu lokaler respektierter Größe aufgestiegen ist Herr Ochana durch sein koscheres Steakrestaurant "El Gaucho", dessen Ruf über die Stadtgrenzen hinaus bis zur rund 200 Kilometer südlich entfernten Negev-Farm von Regierungschef Ariel Scharon vorgedrungen ist. Alle paar Monate klingelt das Telefon bei "El Gaucho", und das Büro von Scharon reserviert einen Platz, ganz allein für den Regierungschef. Wenn Scharon kommt, wird das gesamte Lokal geschlossen, und noch nicht mal Pablo aus Buenos Aires, der seit 20 Jahren am Grill der Ochanas steht, darf dann die Steaks für Scharon und seine Likud-Gäste grillen, nur Schmuel und seine Frau Elisabeth. Der Sicherheit wegen.

Bei der letzten Visite des Regierungschefs bat Schmuel Ochana Scharon um einen Gefallen. Er sei sicher vollauf von der Intifada gefangen, versicherte Schmuel Ochana beim Espresso nach dem Steak, "aber Sie dürfen unseren See nicht vergessen, uns geht das Wasser verloren!" Scharon habe genickt, erzählt Schmuel Ochana, und daran erinnert, dass er den Bau einer großen Meerwasserentsalzungsanlage in der Küstenstadt Aschdod angestoßen habe.

Jeden Morgen um acht Uhr steht Schmuel Ochana auf, duscht ausgiebig, wobei er sich auch die Zähne unterm Brausekopf putzt, und setzt sich an den Frühstückstisch. Kaffee morgens mag er nicht, auch keinen Tee oder Fruchtsäfte, nur Wasser aus dem Hahn. Einen halben Liter ab halb neun, der Arzt hat gesagt, das fördere die Verdauung. Wasser ist das Lebenselixier von Ochana, wie es der See Genezareth für ganz Israel ist: "Ich liebe es. In meinem früheren Leben war ich bestimmt ein Fisch."

Am See Genezareth, dem Hauptwasserreservoir Israels, ist Schmuel Ochana geboren, aufgewachsen und inzwischen 58 Jahre alt geworden – "und sterben werde ich hier auch". Das zweistöckige Familienhaus der Ochanas liegt in den hügeligen Vororten von Tiberias, vom Wohnzimmerfenster aus hat man einen Postkartenblick auf die spiegelglatte Wasseroberfläche des 21 Kilometer langen und bis zu 13 Kilometer breiten Süßwassersees, von dessen Nordufer aus der Papst im Sommer 2000 seinen Segen sprach. Jeden Tag, den Gott werden lässt, wirft Schmuel Ochana mit seinem Fernglas einen Blick auf die Talsenke und lässt die Augen an den Rändern des Sees entlangwandern, der 214 Meter unterm Meeresspiegel liegt. Und dann seufzt er über den täglich sinkenden Wasserstand.

An manchen Badestellen müssen die Menschen inzwischen bis zu hundert Meter auf ausgetrocknetem Seegrund entlanglaufen, bis sie überhaupt das Genezareth-Ufer erreichen. Holzhäuser von Bademeistern stehen verwaist in getrocknetem Schlamm, weit weg vom Ufer, das sich stetig zurückzieht. Vor zwei Jahren wurde Ochana stutzig. Am südlichen Ufer des Sees erblickte er mitten im Wasser Bambushalme. Erst dachte er, er sei kurzsichtig, doch innerhalb eines Monats wuchsen die Stengel sichtbar aus dem Wasser heraus. Es sollte sich um keine Fata Morgana handeln – im See Genezareth hat sich inzwischen eine Insel gebildet, so groß wie eine Vier-Zimmer-Wohnung, bewohnt von Vögeln aller Couleur. Seitdem wacht Schmuel jede Nacht, wenn er sein Lokal schließt, dass die Putzfrauen mit so wenig Wasser wie möglich den Fußboden wischen. "Irgendwo muss man ja anfangen."

40 Prozent des Trinkwassers in Israel kommen aus dem See Genezareth, der vom Jordan-Fluss gespeist wird. Er ist die Hauptwasserader Israels, der Palästinensergebiete und Jordaniens. Seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 kontrolliert Israel den Fluss nahezu vollständig. Am Nordufer fließt das Flusswasser, das über den Höhenzug der ebenfalls im Sechs-Tage-Krieg eroberten Golan-Höhen kommt, in den See, am südlichen Ende setzt der Fluss seinen Weg entlang der Grenze zu Jordanien fort – als ein Bächlein. Ein Sprecher von Mekorot, der staatlichen Wassergesellschaft, beschreibt die Lage in einem einzigen Wort: "Katastrophal." In den regenfreien Sommermonaten verdunsten jeden Tag mehrere hunderttausend Kubikmeter Wasser, so dass der Pegel alle 24 Stunden um einen Zentimeter sinkt und der Salzgehalt steigt, da am Boden kleine Salzquellen liegen.

Auch in den Grundwasserspeichern entlang der Küste am Mittelmeer steigt der Salzgehalt, Meerwasser dringt ein. Im Friedensvertrag mit Jordanien von 1994 hat sich Israel zur Lieferung von jährlich 50 Millionen Kubikmeter Genezareth-Nass an Amman verpflichtet, und selbst der vergleichsweise regenreiche letzte Winter hat einen neuen Tiefststand nicht verhindert. Jahrein, jahraus malen die wenigen Umweltschützer, die es in Israel gibt, eine düstere Zukunft des Landes, das vor lauter Krieg mit den Palästinensern die Hauptsorge außer Acht lasse: dass die Region in ein paar Jahren auf dem Trockenen liegen werde.

Doch die Rufe zur Wahrung des kostbaren Guts verhallten bislang ungehört. Israel schöpft seit seiner Staatsgründung vor 54 Jahren aus dem Vollen, obwohl jedes Jahr rund 500 Millionen Kubikmeter Wasser fehlen: öffentliche Parks werden täglich besprenkelt, Swimmingpool-Wasser erneuert, Autos gewaschen, und zwei Duschen täglich sind so selbstverständlich wie das Ignorieren der spärlichen Aufrufe der Regierung, beim Zähneputzen das Wasser nicht laufen zu lassen und auf den Toiletten den Kurzspülknopf zu betätigen. Zudem ist Israel die autonome Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten wichtig. So erklärt sich der wasserintensive Anbau von Tomaten, Melonen, Bananen; für die Bauern wird der Wasserpreis künstlich niedrig gehalten.

Zwar ist Israel von Mittelmeer und Rotem Meer umgeben, aber noch jede Regierung hat sich bislang gescheut, die Wasserversorgung auf Meerentsalzungsanlagen umzustellen. Die Errichtung und Unterhaltung der Anlagen ist so kostspielig, dass der Wasserpreis sprunghaft in die Höhe stiege – mit dieser unpopulären Maßnahme möchte kein Premierminister seine Wählergunst schmälern, zumal in einem Land mit vielen europäischen Einwanderern, die ihre grünen Vorgärten als Ausdruck ihrer Herkunft erhalten möchten. Absurderweise exportiert Israel ausgefeilteste Wasserentsalzungs- Technologie, gönnt sich selbst aber nur eine solche Anlage im Badeort Eilat, wo sie 80 Prozent des Bedarfs deckt. Israelis in der Küstenregion und jüdische Siedler in Westjordanland verbrauchen täglich rund 350 Liter frisches Trinkwasser – ein durchschnittlicher palästinensischer Haushalt dagegen nur etwa 60 Liter. Die amerikanische Entwicklungshilfeorgansiation USAID nennt als Minimum für den täglichen Bedarf 100 Liter.

Wie hysterisch Israelis auf einen drohenden Wassernotstand reagieren, ließ sich vergangenen Sommer erkennen, als zwei Millionen Bewohner im Großraum Tel Aviv aufgerufen wurden, kein Trinkwasser mehr zu nutzen – das Wasser war durch Ammoniak belastet. Innerhalb weniger Stunden waren alle Mineralwasservorräte in den Supermärkten ausverkauft. Für die Tel Aviver kam das Erlebnis einem Schock gleich – für die Palästinenser ist Wassermangel Alltag. Allein in Westjordanland verfügen 200000 Palästinenser in 218 Ortschaften über keinen Wasseranschluss. Sie müssen lange, angesichts der israelischen Militäroperationen gefährliche Wege zu Brunnen in Kauf nehmen – oder teures Wasser von Tanklastwagen kaufen, wenn diese angesichts der Blockaden überhaupt durchkommen. Palästinenser ohne fließend Wasser haben Erdlöcher gegraben als Toilettenersatz, die Kinder werden nur einmal die Woche gewaschen.

Die Besatzung von Westjordanland und Gaza-Streifen durch israelische Truppen hat nach Angaben der Regierung Scharons sicherheitsstrategische Gründe. Doch das ist nur die eine Wahrheit. Die andere liegt unterhalb der besetzten Gebiete: Aus den dortigen Wasservorkommen schöpft Israel jedes Jahr 450 Millionen Kubikmeter Grundwasser – die Palästinenser erhalten vom nassen Bodenschatz nur 150 Millionen Kubikmeter. Die Frage, wie viel Wasser ein künftiger Palästinenserstaat aus dem Boden pumpen und dem Jordan abzapfen darf, war einer der Hauptstreitpunkte bei den Camp-David-Gesprächen im Jahr 2000. Experten sehen schon einen neuen Krieg am Horizont, sollte der derzeitige einmal beendet sein: den Krieg ums Wasser.

haGalil onLine 14-07-2002

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved