Das Ziel - der Sieg
Im Augenblick:
Mizna
- das ist der Mann!
Von Uri Avnery

Mizna hat die Vorwahlen der Arbeitspartei gewonnen. Dies ist
an sich schon in jeder Hinsicht eine tolle Leistung. Ein introvertierter Jekke
(wie deutsche Juden herablassend genannt werden), ohne Charisma hat einen
echten, plump-vertraulichen irakischen Juden geschlagen. Eine Taube hat einen
Falken besiegt. Ein politischer Neuling, der angekündigt hat, daß er bereit sei,
mit Arafat zu reden, hat den Verteidigungsminister, der versucht hat, die
palästinensische Behörde zu zerstören, matt gesetzt.
Das ist ein glänzender Sieg Mizna. Aber es ist viel mehr. Es ist ein
Symptom von verborgenem Geschehen in den Tiefen des nationalen
Bewußtseins.
Während der letzten zwei Jahre, als die Gewaltspirale immer
größere Kreise zog, wurde ich oft gefragt, wie ich es fertig brächte,
optimistisch zu bleiben, während rund herum alle die Hoffnung aufgaben. Ich
antwortete, daß eines Tages, in einer Woche oder in fünf Jahren, das Volk eines
Morgens aufwachen und sagen würde: "Genug damit! So kann es nicht weitergehen!
Eine Lösung muß gefunden werden!"
"Was hilft das schon?" haben die Pessimisten gesagt, "es gibt
rundum keinen Politiker, der in der Lage ist, das Land zum Frieden zu führen."
"Die Nachfrage wird das Angebot schaffen", antwortete ich, "wenn man solch einen
Führer fordert, wird er von irgendwo herkommen."
Ich denke, daß diese Prognose sich zu verwirklichen beginnt. Die
Strömungen unter der Oberfläche des öffentlichen Bewußtseins ändern sich. Die
israelische Armee erobert, besetzt, tötet, "zerstört die Terrorinfrastruktur",
und die palästinensischen Angriffe hören nicht auf. Die regelmäßigen Erklärungen
von Scharon und Mofaz (VM, ehem. Generalstabschef) klingen immer mehr, als ob
sie sich selbst parodierten. Es ist das erste Mal, daß es "einfachen" Leuten
bewußt wird, daß es eine enge Verbindung gibt zwischen der Intifada, der
wirtschaftlichen Krise und der sozialen Not.
Das läßt die Leute nicht etwa die Palästinenser lieben oder sich
gar in den Frieden verlieben. Überhaupt nicht! Aber es veranlaßt sie, nach einem
Führer mit Vision Ausschau zu halten, der ernsthaft versuchen will, aus dem
blutigen Teufelskreis herauszukommen und eine Lösung zu finden. Die Siedler sind
"draußen" – der Kompromiß ist "in". Amram Mizna ist am richtigen Ort, zur
richtigen Zeit, mit der richtigen Botschaft erschienen. Nun muß es heißen: "Mit
Volldampf voraus!"
Einige vorsichtige Friedensaktivisten sagen, wir sollten nicht zu
viel auf einmal verlangen. Man sollte auf die Meinungsumfragen achten. Mizna
könne Scharon nicht schlagen. Aber er kann die Arbeitspartei in der Opposition
gründlich überholen und das ist auch sehr wichtig.
Dies ist aber ein Fehler. Die Meinungsumfragen geben ein Bild der
Oberfläche wieder, sie sehen nicht, was darunter passiert. Dort gibt es neue
Strömungen. Deshalb muß das Ziel der Sieg sein.
Stimmt, ein Sieg Mizna über Scharonjahu erscheint wie ein Wunder.
Aber genau so erschien der Sieg Mizna über Ben-Elieser vor einem Monat. Es wird
schwierig sein, sogar sehr schwierig. Aber es ist möglich. Es müßten alle
Anstrengungen unternommen werden, um dies Ziel zu erreichen.
Nach all den Meinungsumfragen ist die Kluft zwischen den beiden
großen Blöcken, dem rechten und dem linken Flügel sogar jetzt, bevor die
Öffentlichkeit die ganzen Auswirkungen dessen begriffen hat, was in der
Arbeitspartei geschieht, ganz klein. Etwa 65 gegen 55. Das bedeutet, daß es
genug wäre, fünf oder sechs Sitze in der Knesset zu gewinnen, um einen enormen
Wechsel zu erreichen.
Es gibt keine Alternative zum Sieg. Um der
Zukunft Israels willen, um menschliches Leben zu bewahren und um des
Wiederaufbaus des Staates willen ist der Unterschied zwischen Mizna
und Scharon kolossal.
Falls die Stunde noch nicht geschlagen hat, und der Likud trotz
allem gewinnen wird, darf der Kampf nicht einen Augenblick aufhören. Falls
Scharon oder Netanjahu gewinnen sollten, führen sie eine knappe und
zerbrechliche Koalition, die unfähig ist, irgendwelche Probleme zu lösen. Sie
wird hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, Bush zu gefallen, und
jener, die extreme Rechte von Lieberman-Eytan zufriedenzustellen. Da sich die
Lage unter ihrer Führung nur verschlechtern wird, kann sie innerhalb eines
Jahres zu Fall gebracht werden. Dann muß der große Umschwung erfolgen.
Darum ist jeder Gedanke, eine "nationale Einheitsregierung" nach
den Wahlen sei erstrebenswert, sehr gefährlich. Zweifellos wird Scharon
verführerische Bedingungen für einen Anschluß anbieten. In der Sprache der
Mafia: "Ein Angebot, das nicht verweigert werden kann." Scharon jedoch bleibt
Scharon. Er wird sich nicht ändern. Um sich selbst treu zu bleiben, muß Mizna
ablehnen. Selbst wenn seine jobhungrigen und prinzipienlosen Kollegen ihn
bedrängen anzunehmen. Das Ziel muß ein totaler Umschwung sein, auf der ganzen
Linie und auf jedem Gebiet. Allein dies genügt.
Es stimmt, Amram Mizna kann uns auch enttäuschen. Vergessen wir
nicht die Begeisterung, mit der wir Barak willkommen geheißen haben und der uns
dann ins Verderben führte. Er mag unterwegs zusammenbrechen. Das kann auch
passieren. Damit müssen wir rechnen. Aber vernünftig ist, das Gegenteil zu
erwarten. Eine Person kann an seiner Aufgabe wachsen und die historische Mission
erfüllen, die ihr auferlegt wird.
Im Augenblick: Das ist der Mann!

(Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs)
Junge Welt, 04.12.2002
hagalil.com
04-12-2002 |