
Likud-Primaries:
Das alte Lied
Scharon wird Israels Regierungschef
bleiben – des Terrors wegen
Von Thorsten Schmitz
Israel erwartet den Ausgang der parteiinternen Likud-Vorwahlen
am heutigen Donnerstag mit mehr Spannung als das Ergebnis der Parlamentswahl im
Januar: Wird die national-konservative Partei weiterhin von Premierminister
Ariel Scharon geführt oder aber von seinem Rivalen, Interims-Außenminister
Benjamin Netanjahu? In allen Umfragen liegt Scharon um bis zu 20 Prozentpunkte
vor Netanjahu. Der neue Premierminister wird also der alte sein, denn dem Likud
wird bei den Wahlen am 28. Januar ein enormer Zuwachs an Mandaten vorhergesagt.
Da die stärkste Fraktion in der Knesset den Regierungschef
bestimmt, wird sich Scharon den Wunsch nach einer zweiten Amtszeit erfüllen. Aus
lauter Verzweiflung darüber, dass er dem alten Scharon unterliegen wird, führt
der junge "Bibi" Netanjahu einen perfiden Wahlkampf, um die 300000
Likud-Mitglieder von sich zu überzeugen: Er zählt die Toten. Landesweit hängen
an Bushaltestellen Plakate, auf denen Netanjahu Sicherheit verspricht, sollte er
Premier werden. Dabei weist er darauf hin, dass in seiner Amtszeit zwischen 1996
und 1999 "nur" vier palästinensische Terroranschläge verübt wurden.
Doch obwohl die Anzahl von palästinensischen Selbstmordanschlägen
und Terrorangriffen ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat und Scharon sein
Wahlkampfversprechen von "Ruhe" und "Sicherheit" bis heute nicht eingelöst hat,
verfügt der 74 Jahre alte Regierungschef über eine ungebrochen hohe Popularität.
Scharon macht sich für seinen Machterhalt eine diffuse Stimmung in der
israelischen Bevölkerung zu Nutze. Einerseits befürwortet eine Mehrheit die
Schaffung eines palästinensischen Staates und die Evakuierung jüdischer
Siedlungen und erhofft sich davon ein Ende der Intifada. Andererseits hat
Scharons Vorgänger Ehud Barak genau dies versucht und als Antwort auf seine
Offerte zur Schaffung eines palästinensischen Staates auf fast dem gesamten
besetzten Gebiet die mittelalterlichste aller Antworten erhalten: Terror und
Gewalt. Deshalb auch hat der neue Arbeitspartei-Vorsitzende Amram Mitzna, der
als Premier mit Palästinenser-Präsident Jassir Arafat auch bei anhaltendem
Terror Verhandlungen aufnehmen würde, keine Chancen bei der Wahl Ende Januar.
Nach der Absage Arafats an Baraks Angebot in Camp David fühlen
sich viele Israelis von den Palästinensern betrogen und befürworten militärische
Vergeltungsschläge und die physische Trennung, weshalb derzeit ein Zaun
errichtet wird. Auch viele Linke reden nicht mehr von Frieden. Im Schatten
dieser konfusen, von Ressentiments geladenen Stimmung, hat es sich Scharon
bequem gemacht: Er spricht sich zwar, im Gegensatz zu Netanjahu, für die
Schaffung eines palästinensischen Staates aus, aber nur "prinzipiell", unter
"Einschränkungen" und mit der Auflage verbunden, dass die Palästinenser zuvor
ihren Terror einstellen. So überlässt Scharon jedem Hamas-Terroristen die
Blockade möglicher Verhandlungen.
Solange der Terror andauert, darf Scharon im Namen der Mehrheit
des israelischen Volkes Gegengewalt ausüben. Durch sein letztlich
bedeutungsloses "Ja" zu einem Staat Palästina gefährdet er nicht die Beziehungen
zu den USA – anders als Netanjahu durch sein schroffes "Nein". Die Likud-Wähler
aber wissen, wie wichtig die USA für Israels Existenz sind und halten Scharon
die Treue.

hagalil.com
28-11-02 |