[ARCHIV]

Von Yoel Marcus, Haaretz, 20.11.2002
Übersetzung Daniela Marcus

1. Selbst wenn du einen guten Grund zum Feiern hast, lass dir diesen nicht zu Kopfe steigen. Begleiche keine Rechnungen mit denen, die gegen dich waren, so wie es Rabin, Netanyahu und Barak getan haben. Beginne keine Säuberungsaktionen und äußere keine Erklärungen wie "Ich werde leiten" und "Ich werde führen". Du magst das Rennen gewonnen haben, doch die Nachricht für deine Partei und für die Nation ist, dass de Gaulle noch nicht hier angekommen ist. Er hat noch nicht einmal angerufen. Unterdessen bist du nur Frischfleisch, das in das Vakuum der Führerschaft eingesogen worden ist. Tu, wie Churchill nahegelegt hat: Zeige im Sieg deinen Großmut. All diejenigen, die du auf deinem Weg nach oben umrennst, werden auf deinem Weg nach unten mit einem Knüppel auf dich warten.

2. Bei allem gebührenden Respekt gegenüber deiner Vergangenheit: Denke daran, dass du für die meisten Menschen ein vollkommen unbeschriebenes Blatt bist. Du hast gerade mal zwei Monate Zeit, dich selbst bekannt zu machen und zu zeigen, aus welchem Holz du geschnitzt bist. Ist diese Gelassenheit, die du ausstrahlst, ein Zeichen von innerer Stärke oder sie ist Mangel an Verständnis für den Ernst der Lage? Bist du ein Schmusekätzchen oder ein Tiger? Denke daran, dass all die Führer, die nach Rabin kamen, einer nach dem anderen versagt haben. Und jeder trug dazu bei, einen Teil des Landes zu zerstören. Israelis haben kein großes Vertrauen in Führer, die vom Himmel fallen. Die Beweislast hängt an dir.

3. Denke daran, dass du bis jetzt nur einen virtuellen Sieg gewonnen hast. Du bist nur in den Verwaltungsrat des Mietshauses gewählt worden. Die Menschen auf der Straße stehen den Wahlen für den Parteivorsitz der Arbeiterpartei teilnahmslos gegenüber, denn die meisten von ihnen trauen niemandem von euch. Denke daran: der Likud hat dreimal so viel Basismitglieder wie die Arbeiterpartei. Du wirst an deiner Fähigkeit, das praktisch unmögliche zu tun, gemessen werden, nämlich der Arbeiterpartei die Bedeutung des Spielführers in der nationalen Liga zu verleihen.

4. Dein nächster Test sind die Wahlen zum Parteivorsitz des Likud. Aus diesen ergibt sich, wem du im eigentlichen Kampf gegenüber stehen wirst. Wenn es "Bibi" Netanyahu ist, wird es für dich leichter sein. Man kann Druck auf ihn ausüben. Er macht Panik und die meisten Menschen glauben nicht, dass er ein integerer Mann ist. Doch Sharon, aller Wahrscheinlichkeit nach dein Gegner, wird ein schwieriger Rivale sein. Er hat einen noch nie dagewesenen Status erlangt - je schlimmer die Dinge werden, desto mehr vertrauen die Menschen ihm. Und eine weitere Sache, die so groß ist wie seine Fehler, ist seine Art, frisch gebackene und naive Politiker wie dich zum Frühstück zu verschlingen.

5. Die Einheitsregierung ist Sharons heimliche Waffe, mit der er die Arbeiterpartei zum halben Preis gefangen nimmt. Versprich deinen Wählern, dass du unter keinen Umständen einer Einheitsregierung mit dem Likud beitreten wirst, es sei denn, diese Regierung wird von dir geführt werden und deinen Richtlinien folgen.

6. Sag den Menschen die Wahrheit. Sag ihnen, dass der Terror auf keinen Fall enden wird, wenn wir nicht die Territorien verlassen. Verpflichte dich dazu, mit den Palästinensern sogar unter Beschuss zu reden. Setze eine Frist von einem Jahr, in dem du die Territorien verlassen willst, entweder aufgrund eines Abkommens oder unilateral. Und versprich, dass du nach Hause gehst, wenn du dein Wort nicht hältst. Denke daran, dass beide Seiten müde und hoffnungslos sind. Wenn du ihnen also das Gefühl gibst, dass du es schaffen kannst und dass du die letzte Chance bist, könnte es funktionieren.

7. Du magst ein Anfänger sein, doch denke im großen Rahmen. Das Ziel ist nicht, eine elitäre Boutique von Yuppies zu werden oder ein Yossi Beilin mit Bart oder Führer der Opposition zu sein. Das Ziel ist, eine historische Änderung auf der Basis der Wahlen von 1977 zu erreichen. Deine Wähler erwarten von dir, dass du die Likud-Partei zu Fall bringst, bevor diese das Land zu Fall bringt.

Hast du’s kapiert, Amram?

hagalil.com 20-11-2002