
Nach Mitznas Wahl:
Seelenwäsche
Israels Arbeitspartei begibt
sich mit dem neuen Vorsitzenden auf die Suche nach ihrer Identität
Von Thorsten Schmitz
Die Wahl von Amram Mitzna zum neuen
Vorsitzenden der israelischen Arbeitspartei Awoda ist ein Sieg der
Tauben über die Falken. Die Falken hatten in den vergangenen 20
Monaten durch die Regierungsbeteiligung die Partei in ihre tiefste
Krise gestürzt. 20 Monate lang rechtfertigte der
Friedensnobelpreisträger Schimon Peres als Außenminister unter
Regierungschef Ariel Scharon Liquidationen, die Rückeroberung der
palästinensischen Autonomiegebiete und den Stopp von Verhandlungen.
Der Vorzeige-Diplomat Peres ließ sich von Scharon als Feigenblatt
benutzen für eine Politik, die diametral zu seinen Ansichten stand.
Peres und Benjamin Ben-Elieser als
Verteidigungsminister gaben sich als Falken und argumentierten, die
Awoda habe in Scharons rechtsnationaler, religiöser Koalition
Schlimmeres verhindert. Das entspricht nicht der Wahrheit: Seit
Scharons Amtsantritt versinkt die Region nicht nur wegen der
sinnlosen Intifada in Hoffnungslosigkeit, sondern auch weil der
Ministerpräsident Verhandlungen boykottiert, solange die Gewalt der
Palästinenser andauert. Jeder palästinensische Terrorist bekommt so
die Möglichkeit, die Wiederaufnahme von Diplomatie zu stoppen und
macht es dadurch zugleich Scharon bequem: Dieser hätte in
Verhandlungen nichts anzubieten. Anstatt die 450 radikalen jüdischen
Siedler aus der fast vollständig autonomen Palästinenserstadt Hebron
zu evakuieren – sie leben in der Altstadt, weil Abraham und seine
Familie vor 4000 Jahren dort begraben wurden –, wird ein Korridor
unter Aneignung palästinensischen Bodens errichtet.
Die Beteiligung an Scharons rückwärts gewandter
Politik hat die Awoda ruiniert. Durch die Wahl des als Soldaten hoch
dekorierten Mitzna erhält die Partei Itzchak Rabins nun die Chance,
zu ihren Wurzeln zurückzufinden und sich neu zu definieren.
Stets bestand das Programm der Awoda darin, einen
Ausgleich mit den Palästinensern im Dialog zu finden. Daran will
Mitzna anknüpfen, der seit zehn Jahren die drittgrößte israelische
Stadt Haifa regiert, in der Juden und Muslime in relativer Harmonie
miteinander leben. Mitzna würde, sollte er im Januar zum
Premierminister Israels gewählt werden, bedingungslos Verhandlungen
mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat aufnehmen, gerade jetzt,
während die Gewalt noch andauert. Er offeriert damit die Alternative
zu Scharon, der behauptet, die Gewalt werde aus Einsicht und
Erschöpfung irgendwann enden – dann könne man ja verhandeln. Die
Palästinenser aber werden ihre Intifada ohne einen Hoffnungsschimmer
am Horizont nicht beenden, Arafat schon gar nicht, hat er doch durch
Scharons Militäroperationen geradezu an Reputation gewonnen. Mitzna
geht noch einen Schritt weiter: Er würde alle Siedlungen im Gaza-
Streifen und peu à peu auch die meisten im Westjordanland auflösen.
Seine Aussagen decken sich mit denen Ehud Baraks.
Doch hier wird die Aussichtslosigkeit dieser
Politik sichtbar: Scharon, der bei den Likud-Vorwahlen kommende
Woche vermutlich wieder zum Vorsitzenden und somit zum
Spitzenkandidaten gewählt wird, kann sich an der Causa Barak weiden.
Er wird im Wahlkampf die Tauben vorführen und große Ressentiments im
Land bedienen: War es nicht Barak, der den Palästinensern Frieden
angeboten und Gewalt geerntet hatte?
Israels Gesellschaft ist in den vergangenen zwei
Jahren kollektiv nach rechts gerückt. Das erklärt Scharons
Popularität bis heute. In jüngsten Umfragen wird sein Likud im
Januar sogar noch zulegen, die Arbeitspartei an Mandaten im
Parlament verlieren. Die Wahl Mitznas wird also zunächst nur der
Gesundung der Awoda dienen und den Zusammenschluss mit dem
zersplitterten Friedenslager befördern – einen neuen Premier wird
Israel damit aber nicht sehen. Koalitionspartner für Scharon wird
Mitzna allerdings auch nicht sein – dem Likud bleibt die
rechts-religiöse Koalition. Eine Koalition, die sich in nichts von
der jetzigen unterscheidet.

hagalil.com
21-11-02 |