Wahlen
zur Kneseth - 28.Januar 2003
Miflagoth:
Parteien in Israel
Keine Überraschungen:
Sieg für den starken Mann
Gewinner der morgigen
Wahl in Israel wird wohl Ariel Scharon sein. Ob er eine stabile
Koalition bilden kann, ist offen
Aus Tel Aviv Susanne Knaul
taz, 27.01.2003
Der Oppositionsführer gesteht seine
Niederlage jetzt schon ein: "Wenn wir diese Wahlen nicht gewinnen,
dann eben die nächsten", sagt Amram Mitzna, Spitzenkandidat der
israelischen Arbeitspartei. "Den Chef der Opposition stärken",
lautet folgerichtig sein Slogan im Endspurt des Wahlkampfes. Es
gilt, ein Abrutschen auf den dritten Platz zu verhindern. Jüngsten
Umfragen nach, zieht die antireligiöse Schinui bereits mit der
Arbeitspartei gleich.
Die Hoffnung der beiden führenden
Listen, das veränderte Wahlsystem mit lediglich einem Stimmzettel
würde die Wähler in die großen Lager treiben, hat sich nicht
erfüllt. Der Premierminister wird nicht mehr per Direktwahl, sondern
von der stärksten Fraktion bestimmt. Nichtsdestoweniger erfreuen
sich gerade die kleinen Listen zunehmender Sympathie, was
wahrscheinlich anders wäre, stünde der Sieger nicht schon fest.
Den über 700 israelischen Terroropfern
und absehbarem künftigem Blutvergießen zum Trotz, der dramatischen
Rezession, der wachsenden Arbeitslosigkeit und Armut zum Trotz und
den unmittelbar gegen ihn und seine Familie gerichteten
Korruptionsvorwürfen zum Trotz wird der derzeit regierende
Spitzenkandidat des Likud, Ariel Scharon, die Wahlen für sich
entscheiden.
"Die Sympathie für ihn", erklärt der
Schriftsteller Amos Oz das Phänomen, "rührt daher, dass er als Mann
empfunden wird, der die Palästinenser besiegt hat."
Das Image des glaubwürdigen, starken und
hartnäckigen Kämpfers stellt offensichtlich die Tatsache in den
Schatten, dass Scharon keine erkennbare Strategie verfolgt.
Allerdings mangelt es nicht nur der Regierungspartei an klaren
Perspektiven, auch die anderen Fraktionen haben wenig an konkreten
Lösungsvorschlägen für die brennenden Probleme zu bieten. Der
diesjährige Wahlkampf war ein Antiwahlkampf: Die Arbeitspartei gegen
die Korruption und das Versagen Scharons, die extremen Rechten gegen
die Araber, die laizisitische Schinui gegen die Religiösen, die
Religiösen gegen Schinui und Meretz gegen die Siedler.
Allein Mitznas Vorstellung vom
einseitigen Abzug zunächst aus dem Gaza-Streifen und nach einem Jahr
aus weiten Teilen des Westjordanlandes deutet auf einen Lernprozess
bei der Arbeitspartei, die sich stets schwer damit tat, den in Oslo
begonnenen Friedensprozess für gescheitert zu erklären. Mitzna hat
eine Vision, die zumindest langfristig Linderung auch für die
sozioökonomische Misere verspricht. Trotzdem führt er die Partei
vermutlich in eine historische Wahlschlappe. In der Fraktion brodelt
es. War der unerfahrene Mitzna vielleicht doch der falsche Kandidat?
Ex-Außenminister Schimon Peres würde, Umfragen zufolge, mindestens
sieben Mandate mehr erreichen können, was allerdings wenig bedeutet,
denn Peres lag in Umfragen meistens vorn und hat trotzdem noch nie
eine Wahl gewonnen.
Also doch die falsche Kampagne? Experten
meinen, die Arbeitspartei habe die Wirtschaftsmisere nicht
ausreichend in ihrem Wahlkampf ausgeschlachtet. Scharons jetzige
Amtszeit endet nämlich mit negativen Rekordzahlen. Das
Bruttosozialprodukt fällt; das Defizit wächst, ungeachtet massiver
Sparmaßnahmen im Finanzministerium. Bis zum Ende des Jahres soll die
Arbeitslosenzahl auf über 300.000 Menschen, rund 12 Prozent der
Bevölkerung ansteigen.
Inflationsraten und höhere
Lebenshaltungskosten zwingen immer mehr Menschen, ihre Wohnungen zu
verlassen oder kostenlose Mahlzeiten anzunehmen. In einer
politischen Talkshow berichtet die Frauenbeauftragte aus dem
Jerusalemer Rathaus über "39 allein stehende Mütter", die sich
derzeit in "zum Teil fortgeschrittenen Verhandlungen über den
Verkauf eigener Organe befinden".
Die Rezession und Rezepte gegen sie sind
zwar Thema fast aller Parteien, aber immer eingebunden in die
politische Weltanschauung. Mitzna will den Staatshaushalt auch durch
den Abzug aus Gaza entlasten, Tommi Lapid, Chef der Schinui, durch
ein Abdrehen der öffentlichen Finanzierung religiöser Institute und
kinderreicher Familien. Die Nationale Union des Rechtsextremisten
Avigdor Lieberman wiederum meint, dass es sinnvoller sei, die
Gelder, die Israel derzeit an die Palästinensische Autonomiebehörde
überweist, in die eigene Infrastruktur, auch in den besetzten
Gebieten, zu investieren.
Lieberman wird mit Wahrscheinlichkeit in
der nächsten Regierungsperiode wieder im Kabinett sitzen, denn eine
Große Koalition unter Likud-Führung schließt die Arbeitspartei aus.
Scharon wird alles versuchen, Mitznas Fraktion umzustimmen, denn
eine rechtsnationale Koalition ist langfristig kaum überlebensfähig.
Mit Lieberman im Kabinett ist eine Zusammenarbeit mit dem Weißen
Haus hinsichtlich neuer Friedensverhandlungen oder gar der Gründung
eines Staates Palästina ausgeschlossen. Eine Belastung der
Beziehungen zu Washington wiederum kann sich Scharon nicht erlauben,
nicht zuletzt hatte er gerade um 12 Milliarden Dollar Finanzhilfe
anfragen lassen. Im Likud wird bereits über notwendige Neuwahlen
"innerhalb von 12 bis 18 Monaten" gemunkelt, sollte die
Arbeitspartei in die Opposition gehen.
Für den Friedensprozess bringen die
bevorstehenden Parlamentswahlen allemal eine Verschlechterung. Ohne
massiven Druck aus dem Ausland wird sich hier nichts tun - und
dieser ist, wenn überhaupt, erst nach dem Abschluss des möglichen
US-Angriffs auf den Irak zu erwarten.
Einzige Hoffnung sei, räsonieren viele
Israelis, dass die beiden Volksführer Arafat und Scharon, die
zuverlässig gegenseitig für ihr politisches Überleben sorgen, von
höheren Instanzen abberufen werden. Das ist in näherer Zukunft nicht
auszuschließen, schließlich sind beide nicht mehr die Jüngsten.
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27-01-2003 |