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Bei der Wahl am Dienstag steuert Ariel Scharon auf einen neuen Sieg zu: "Sind wir alle einer großen Massenhypnose erlegen?"

Erfolgreich mit leeren Händen

Der Friede ist fern, die Arbeitslosigkeit steigt – trotzdem suchen die Israelis Schutz hinter dem breiten Rücken des Likud-Führers, weil er das Volk eint

Von Thorsten Schmitz

Tel Aviv, im Januar – Es ist früh am Morgen in Tel Aviv, und die Autos auf der Einfallstraße Schaul Hamelech stehen Stoßstange an Stoßstange. Drei Grünphasen sind bereits verstrichen, ohne dass sich auch nur ein Auto fortbewegen konnte. Plötzlich rasen vier dunkle, panzerverglaste Limousinen den Boulevard entlang, gefolgt von einem Rettungswagen. Der Premierminister Israels stattet dem Tel Aviver Museum eine Stippvisite ab und betrachtet sich in dem menschenleeren Gebäude in der kommenden halben Stunde Zeichnungen und Gemälde von Picasso. Gefolgt von einer Entourage aus Bodyguards, dem Bürgermeister, dem Museumsleiter und Mitarbeitern aus seinem Büro, verharrt Scharon vor den Gemälden. Stets in einem für Fotografen vorteilhaften Winkel, so dass diese Picasso und Premier gemeinsam ablichten können. Die Botschaft soll sein: Scharon ist auch ein kunstsinniger Mensch, und die Botschaft kommt an. Am nächsten Morgen bringen alle Zeitungen ein Foto, und in den Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens werden dem Museumsbesucher einminütige Berichte gewidmet.

Scharon absolviert zum zweiten Mal als Spitzenkandidat einen Wahlkampf, und diesmal fällt ihm das sehr leicht. An diesem Dienstag wird er erneut zum Premierminister gewählt werden, das Volk liegt ihm zu Füßen. Auf den Wahlplakaten stehen keine Visionen für die Zukunft, sondern nur der eine Satz "Das Volk will Scharon". Offenbar stimmt das sogar: Bis zu 70 Prozent der 6,6 Millionen Israelis heißen Scharon und seine Amtsführung gut. Weich gebettet auf den positiven Umfragen, schüttelt Scharon auf dem Obst- und Gemüsemarkt Jehuda in Jerusalem Hände, die Verkäufer werfen Reis auf ihn und rufen "König Ariel!" Er spricht mit dem israelischen Astronauten Ilan Ramon, live und zur besten Sendezeit vom Fernsehen übertragen; er geht in Krankenhäuser und schenkt Attentatsopfern Teddybären; er besucht jüdische Siedler im Westjordanland und sagt, Israel sei stolz auf ihre Standhaftigkeit; er geht in Supermärkte, hält koschere Würste hoch und fordert das Volk auf, israelische Produkte zu kaufen.

Wiederholen, wiederholen

Und einmal im Jahr trifft sich Scharon in Jerusalem mit den in Israel akkreditierten ausländischen Journalisten, ansonsten gewährt er ihnen keine Interviews. 300 Reporter sitzen also im Tiefgeschoss eines Hotels, als der Premierminister den fensterlosen Saal betritt. Schweren Schrittes, wie ein Schiff im hohen Seegang, läuft er auf das Rednerpodest zu. Neben ihm sitzen Raanan Gissin, der Pressesprecher, Bürochef Dov Weissglas und Berater Aron Perlman. Sie soufflieren ihrem Dienstherrn. Der Premierminister versteht die Fragen offenbar nicht, obwohl sie am Mikrofon gestellt werden, Gissin wiederholt sie. Der Premierminister sieht offenbar auch nicht die Fragesteller. Wenn sich ein Journalist erhebt und fragt, schaut Scharon in völlig andere Richtungen. Seine Mitarbeiter flüstern ihm ins Ohr: "Arik, schau mehr rechts!", "Arik, in der Mitte!" Der 74-jährige Premierminister lächelt dabei, wie er stets lächelt. Das Lächeln Scharons ist jedoch nicht immer eines. Durch eine Kriegsverletzung im Jom-Kippur-Krieg sind Gesichtsnerven beschädigt worden, die er nicht unter Kontrolle hat.

Die Kugelschreiber der Journalisten ruhen an diesem Abend auf den Notizblöcken, die Seiten bleiben weiß. Alles, was Scharon sagt, hat er so schon hundertmal gesagt: Er werde nicht unter Terror mit den Palästinensern verhandeln; er wisse, was Kriege bedeuteten, er habe in allen mitgekämpft; die Beziehungen zu den USA seien nie so gut gewesen wie derzeit; Jerusalem sei (und bleibe ewig) die Hauptstadt Israels. Seine Medienexperten haben Scharon geraten, sich über die Intifada öffentlich nur in Wiederholungen zu äußern. Wenn jemand etwas oft genug sagt, erklärt ein Mitarbeiter aus dem Wahlkampfteam, glaubt irgendwann auch der letzte Zweifler daran. Abweichend von diesem Credo verriet Scharon allerdings unlängst einem israelischen Reporter, er spreche nicht gern über Politik, "ich kenne mich mit Getreide und Olivenbäumen besser aus".

Israels alter Premierminister wird auch der neue sein, und er kann seine zweite Amtszeit dazu nützen, seinen schlechten Ruf im Rest der Welt zu verbessern. Einen Frieden immerhin hat er offenbar geschlossen – den mit sich selbst. Denn er ist dort angelangt, wo er immer hin wollte: an der Spitze des Staates. Von dort blickt er auf ein Volk hinab, das ihn endlich schätzt.

An einem Wochentag auf dem Jerusalemer Jehuda-Markt steht sich Boaz Tzidkijahu die Beine in den Bauch. Das Geschäft mit Oliven und Avocados geht schlecht, die Menschen haben Angst vor Selbstmordattentätern, und Tsidkijahu hat Angst vor der Zukunft: "Alles wird noch schlimmer werden." Doch Scharon treffe keine Schuld: "Es stimmt, er hat nichts erreicht, aber jemand anderes hätte es auch nicht besser gemacht." Plötzlich ist sein Stand umringt von anderen Verkäufern, die Sonnenblumenkerne kauen und keine Kunden haben. Sie erzählen, dass immer mehr Obdachlose um unverkäufliches Obst bettelten, dass es noch nie so viele Anschläge gegeben habe, dass noch nie so viele Israelis in so kurzer Zeit getötet worden seien, dass Israel den Unabhängigkeitskrieg von 1948 fortsetze. Aber Scharon? "Der ist nicht schuld, auch wenn das absurd klingt", ruft Roni Levy, Salatverkäufer und Vater dreier Söhne. "Niemand kann es besser machen als er. Es gibt keine Lösungen." Zudem habe Scharon die Rechts-Links-Kategorisierungen aufgehoben: "Er hat unser Volk wiedervereint!"

Israels umstrittenster Politiker, der sein Land 1982 in einen verlustreichen Libanon-Krieg hineinzog, der stets als Lügner, Mörder, Bulldozer, Intrigant, Dämon verschrien war, hat am Ende seines Lebens in seinem Land einen Imagewechsel vollzogen, den niemand für möglich gehalten hat. Seine Waffen sind nun Lächeln, Schweigen, Wiederholungen, und bei allem ist er ganz er selbst. Die blutige Vergangenheit hinter sich lassend, verschafft sich Scharon einen letzten großen Auftritt auf der Weltbühne, wohl wissend, dass er einen Frieden mit den Palästinensern nicht mehr erleben wird. Ohnehin, sagt Scharon, könne es den nicht geben: "Die Araber wollen uns Juden hier nicht haben. Das ist das Geheimnis der ganzen Geschichte. Für die Muslime ist das Land, auf dem wir uns befinden, heiliges Land. Sie werden nie jemand anderen das Land besitzen lassen."

Vergessen ist die Schmach, dass er vom israelischen Offizierskorps als Generalstabschef nie gewollt wurde und deshalb in die Politik ging. Israelische Medien spekulieren zudem, Scharon versuche sich mit der Politik auch über die erlittenen persönlichen Schicksalsschläge hinwegzutrösten. Etwa über die Ermordung seines engen Freundes Rechawam Zeevi, der als Tourismusminister im Oktober 2001 von palästinensischen Terroristen in einem Jerusalemer Hotel erschossen wurde. Und über den Tod seines ersten Sohnes Gur ("Welpe"), der 1967 von einem 13-jährigen Freund im Haus der Scharons mit einer Waffe erschossen wurde, von der niemand gewusst hatte, dass sie geladen war. Einmal im Jahr, am Todestag Gurs, versammeln sich Familie und Freunde an Gurs Grab. Es ist ausgerechnet der Geburtstag von Scharons ältestem Sohn Omri, weshalb dieser den seinen nie feiert. Die erste Frau Scharons, Margalit, kam 1962 bei einem Autounfall ums Leben, ein Jahr später heiratete er deren Schwester Lilli. Diese wiederum verstarb wenige Monate vor der ersten Wahl Scharons zum Premierminister 2000 an Krebs. Sie liegt auf der Farm Scharons begraben, nicht weit vom Schlafzimmerfenster. Mit dem stressreichen Amt des Premierministers schützt sich Scharon auch davor, in Trübsal zu verfallen. Der politische Kolumnist Nachum Bernea sagt: "Ich bin mir nicht sicher, dass Scharon seinen Job wirklich genießt. Wenn er aber auf die Schlange von möglichen Nachfolgern schaut, dann hat er sehr viel Spaß am Amt des Premiers." Die Intifada, die Scharon vor zweieinhalb Jahren durch seine Tempelberg-Visite anfeuerte, schleuderte ihn vier Monate später auf den Stuhl des Premiers. Es war das unerhörte Comeback eines Likud- Vorsitzenden, der seine Autobiografie "Der Krieger" genannt hat und vom Leben keine Überraschungen mehr erwartete. Indem er rechte, linke und religiöse Par teien zu einer Koalition überredete, schweißte Scharon auch Israels fragmentarisierte Gesellschaft auf einen Nenner zusammen: Der Gegner sind die Palästinenser.

Zwar hat Scharon seine Wahlkampfversprechen von Frieden und Sicherheit nicht eingelöst. Zudem liegt die Arbeitslosenquote bei 10,5 Prozent, die Inflation steigt, die Likud-Partei ist in einen Bestechungsskandal verstrickt, selbst gegen die gesamte Familie Scharon wird wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelt. Trotzdem glänzen Likud und sein König. Sogar die linke Tageszeitung Haaretz macht inzwischen bei Scharon, dem eine israelische Untersuchungskommission Mitverantwortung an den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila attestiert hatte, einen "diskreten Charme" aus.

Eine gewisse Schwäche

Jossi Sarid sitzt in seinem Büro in Jerusalem – und lacht. Über 20 Jahre lang hat er Scharon gehasst und kein Wort mit ihm gewechselt. Inzwischen jedoch treffen sich die zwei regelmäßig und Sarid, der Vorsitzende der linken Meretz-Partei und Oppositionsführer, spricht wie über einen guten Freund: "Wir reden, lachen, trinken, essen, tratschen." Sarid sagt, er greife Scharon nicht wegen dessen Politik an bei den Rendezvous, aber "ich bitte ihn darum, dass humanitäre Hilfsorganisationen in den besetzten Gebieten nicht von israelischen Soldaten behindert werden". Scharon hat ein Ohr für Politiker gleich welcher Couleur, er ruft zurück, entschuldigt sich bei Verspätungen, erhebt sich, wenn eine Ministerin den Raum betritt. Er brüllt und geifert nicht mehr, "er ist die Ruhe selbst", sagt Sarid. Persönliche Attacken kontert Scharon mit einem seiner Standardsätze: "Ich habe keine Zeit, mich mit derartigen Äußerungen auseinanderzusetzen, ich muss ein Land regieren." Von der Charmeoffensive des Regierungschefs beeindruckt ist auch die frühere Handelsministerin Dalia Itzik von der Arbeitspartei: "Ich muss gestehen, dass ich von Scharon fasziniert bin."

Für Jossi Sarid ist die Allianz mit Scharon keine plötzliche Liebe: "Verstehen Sie mich nicht falsch. Scharon ist ein wunderbarer Mensch, aber der schlimmste Premierminister, den Israel je hatte. Sein ganzes Denken und Handeln basiert auf Brutalität und militärischer Überlegenheit. Er hat gemerkt, dass dies aber nicht mehr funktioniert wie früher. Also hat er eine neue Taktik: die Vermeidung von Konfrontationen." Getrieben von dem Wunsch, den schlechten Ruf loszuwerden, mache Scharon sich die Hände nicht mehr schmutzig und schmuse mit den USA. Sarid seufzt und zitiert einen überlieferten Satz des Staatsgründers David Ben-Gurion: "Wenn Scharon doch bloß von der Schwäche geheilt werden könnte, die Unwahrheit zu sagen!"

Der große Vertröster

Bis heute pocht Scharon darauf, keine einzige jüdische Siedlung im Westjordanland oder im Gaza-Streifen zu evakuieren ("Wenn israelische Araber zusammen mit Juden in Israel leben können, können Palästinenser auch mit jüdischen Siedlern zusammenleben") – und dennoch erfreut er sich in Israel auch unter Linken einer gewissen Beliebtheit. Es ist das erste Mal, dass ein Premierminister, dessen Amtszeit durch die Ausrufung von Neuwahlen vorzeitig beendet wurde und der auf keinen Erfolg zurückblicken kann, eine zweite Amtszeit beschert bekommt. Scharon ist das Kunststück gelungen, seine Person loszulösen von der Intifada, obwohl er durch die Zerstörung der Autonomiebehörde Arafats, durch Liquidierungen und Wiederbesetzungen die Kolonialisierung vertieft und potenzielle palästinensische Attentäter geradezu herangezüchtet hat. "Sind wir alle einer großen Massenhypnose erlegen?" fragt Haaretz?

Der Tel Aviver Psychologe Schaul Kimchi begründet Scharons Erfolg mit der Sehnsucht nach alten Zeiten und silbergrauem Haar: "In schweren Zeiten bevorzugen die Israelis einen Stammesältesten. Scharon vermittelt hinter seinem breiten Rücken großväterlichen Schutz. Der Verlust an Hoffnung und die weit verbreitete Ansicht, es gebe keine schnellen Lösungen, lässt Scharon als kompetent erscheinen." Das Fundament für seinen Erfolg besteht weitgehend darin, palästinensischem Terror nicht nachzugeben. Er verspricht auch keine schnellen Lösungen wie etwa die früheren Regierungschefs Barak ("Einseitige Trennungen von den Palästinensern") oder Netanjahu ("Arafat muss deportiert, die Autonomiebehörde zerstört werden"). Scharon hat es sich zwischen diesen beiden Antipoden bequem gemacht und vertröstet sein Volk auf den Sanktnimmerleinstag. "Irgendwann" werde es eine Generation unter den Palästinensern geben, mit denen Israel verhandeln könne.

Derweil verkörpert Scharon die alte Schule und predigt eine Rückkehr zu den zionistischen Werten aus den Fünfzigerjahren: Sicherheit, Besiedlung, Immigration. Das Land sei heilig für alle, aber nur den Juden versprochen worden. In den kommenden zehn Jahren will er eine Million Juden aus Argentinien, Frankreich und Russland nach Israel holen. Aus demografischen Gründen, denn in spätestens zehn Jahren wird die palästinensische Bevölkerung größer sein als die jüdische. Scharon ist neben Schimon Peres der einzige noch aktive Politiker, der mit Staatsgründer David Ben-Gurion zusammengearbeitet hat. Seine Philosophie ist nicht kompliziert. Einer israelischen Fernsehreporterin, die ihn auf seiner Schafs- und Rinderfarm besuchte, zeigte er Mandarinenbäume, pflückte eine Frucht, öffnete sie und sagte: "Zionismus ist physisch. Das heißt, wir verteidigen uns und unser Land. Israel ist das einzige Land, in dem wir Juden das Recht haben, uns zu verteidigen. Jude zu sein ist für mich eine Pflicht."

Ansichten aus Israel

hagalil.com 27-01-03

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