
Die neue Regierung:
Israel, in sich gekehrt
Scharons Bündnis flüchtet sich
in die Innenpolitik – die Lösung des Nahostkonflikts ist kein Thema
Von Thorsten Schmitz
Die Koalition von Israels Regierungschef Ariel
Scharon aus Likud, Schinui und National-Religiöser Partei
signalisiert den Palästinensern, dass ein eigenständiger Staat in
weite Ferne gerückt ist. Das liegt einerseits an der 40-köpfigen
Likud-Fraktion selbst, in der sich 16 Mitglieder befinden, die gegen
einen Palästinenserstaat sind. Zum anderen sehen die National-
Religiösen und ihr umstrittener Vorsitzender Effi Eitam in der
Besiedlung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens die Erfüllung
eines göttlichen Gebots. Sie kündigten bereits an, in den kommenden
Monaten würden jüdische Siedlungen ausgebaut.
Die Teilnahme der säkular-liberalen
Schinui-Partei, die mit 15 Mandaten nun die zweitstärkste Kraft in
der Regierungskoalition stellt, ist ebenso ein Indiz dafür, dass
Scharon mit der Schaffung eines neuen Palästina keine Eile hat. Ganz
auf Linie des Likud argumentieren die Schinui-Politiker, dass vor
dem Beginn von Verhandlungen Palästinenserpräsident Jassir Arafat
abgelöst, dessen Autonomiebehörde reformiert und die Intifada
gestoppt werden müsse. Zudem kämpft Schinui dafür, auch
Religionsstudenten zum Dienst an der Waffe in den besetzten Gebieten
zu verpflichten. Gleiche Rechte und Pflichten für alle ist ihr
oberstes Gebot – nicht etwa die Auflösung jüdischer Siedlungen oder
ein Ende der Besatzung der Palästinensergebiete.
Scharon musste die Schinui in seine Koalition
aufnehmen. In ihrem fulminanten Wahlsieg hat sich auch die große
Unzufriedenheit vieler Israelis ausgedrückt, dass die
Ultra-Orthodoxie zu Lasten der säkular orientierten Mehrheit
bevorzugt werde. Schinui hat mit innenpolitischen Themen gesiegt.
Mit dem Versprechen etwa, dass künftig auch am Schabbat Linienbusse
und Eisenbahnen verkehren werden. Mit einem Friedensplan war Schinui
nicht hausieren gegangen – weil sie einen solchen nicht hat.
Zweieinhalb Jahre Intifada haben die Mehrheit der Israelis zermürbt
und die Hoffnung gemindert, dass überhaupt in absehbarer Zeit ein
Frieden möglich sei mit den Palästinensern. Also konzentrierten sich
die Israelis bei der Stimmabgabe auf die innenpolitische Agenda –
die Arbeitslosigkeit, die Rezession, den Kulturkampf mit den
Religiösen.
Scharon hat mehrmals gesagt, frühestens in zehn
Jahren könne mit einem Palästinenserstaat gerechnet werden. Und bei
seiner Siegesrede mahnte er, es gebe keinen Grund zu feiern
angesichts der katastrophalen ökonomischen Situation. Das Ankurbeln
der Wirtschaft ist nun eines der Hauptziele der Regierung, die
Lösung des Nahost-Konflikts zweitrangig. Mit dieser
Koalitionsregierung richtet Israel den Blick nach innen aufs eigene
Volk – und wendet ihn von den Palästinensern ab. Scharon besetzt nun
das politische Zentrum: links von ihm Schinui, die den Ultra-
Orthodoxen bei der Gestaltung des Alltags Einhalt gebieten wird,
rechts von ihm die National-Religiösen, die als Garant für
zionistische Ideale stehen. Eine Koalition mit der Arbeitspartei
hätte Scharon Konzessionen abverlangt, die er derzeit nicht erfüllen
will – etwa Verhandlungen mit Arafat.

hagalil.com
25-02-03 |