
Notstands-Hoffnungen in Israel:
Scharon braucht zur Regierungsbildung einen
Irak-Krieg
Von Thorsten Schmitz
Israels Regierungschef Ariel Scharon wird in Kürze offiziell
von Staatschef Mosche Katzav mit der Regierungsbildung beauftragt. Von da an
bleiben Scharon laut Gesetz maximal sechs Wochen, um eine Koalition
zusammenzuschustern. Scharon wird sich damit Zeit lassen und auf den Beginn des
US-Militärschlages gegen den Irak warten.
In Sondierungsgesprächen vergangene Woche mit der Arbeitspartei
"Awoda" hatte sich Scharon eine Abfuhr geholt. Da er weder bereit ist, jüdische
Siedlungen im Gaza-Streifen noch im Westjordanland zu evakuieren, hatte
"Awoda"-Chef Amram Mitzna bei einem Tête-à-tête mit Scharon sein Nein zu einer
Koalition mit dem Likud wiederholt. Scharon indes ist auf die "Awoda" und ihre
19 Knesset-Mandate angewiesen. Zwar könnte er eine tragfähige Koalition mit
rechten und religiösen Parteien schmieden, diese aber wollen immer mehr jüdische
Siedlungen bauen und sind gegen einen palästinensischen Staat – für den sich
Scharon mit Blick auf Israels engsten Alliierten, die USA, jüngst mehrmals
ausgesprochen hatte. Scharon wird deshalb vorübergehend eine rechts-religiöse
Regierung bilden – und mit Beginn des Irak-Krieges an die "Awoda" appellieren,
einer "Notstandsregierung" beizutreten. Israel gilt als sehr gefährdet. Das
Militär geht davon aus, dass der Irak einen US-Angriff mit Raketen auf Israel
vergelten wird.
Womöglich geht Scharons Rechnung sogar auf: Mitzna wiederholt
zwar stets seine Abneigung gegen eine Koalition mit dem Likud. Bei einem
Irak-Krieg jedoch, so Mitzna, müsse das israelische Volk zusammenstehen und die
"Awoda" einer Scharon-Regierung beitreten.
Der Wunsch Scharons nach einer Wiederauflage der Koalition mit
der "Awoda" entspringt bloßem Kalkül. Vor einem Monat hatte Scharon
Finanzberater nach Washington entsandt. Diese hatten die US-Regierung um eine
Finanzspritze von zwölf Milliarden Dollar gebeten (zusätzlich zu den drei
Milliarden jährlicher US-Hilfe). Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage
mit einer Arbeitslosenquote von 10,5 Prozent, exorbitanten Militärausgaben und
mehr als einer Million Israelis, die unterhalb der Armutsgrenze leben, ist
Scharon auf die Leihgabe angewiesen.
Der Premier hatte in seiner Siegesrede in der Wahlnacht eine
Wiederbelebung der Wirtschaft versprochen. Die US-Regierung koppelt jedoch die
Zwölf-Milliarden-Überweisung – vier Milliarden Militärhilfe, acht Milliarden
Kredit – an eine Kooperation Israels. Die USA haben ihre Moderation im Nahost-
Konflikt zugunsten der Vorbereitungen auf den Irak-Krieg so gut wie eingestellt
– zum Missfallen der arabischen Staaten. Um deren Unterstützung für den
Irak-Schlag zu gewinnen, haben die USA den Arabern und Europa eine
Intensivierung in der Nahost-Vermittlung nach Ende des Krieges zugesagt. Der
stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz erklärte laut Newsweek,
die USA wollten für den "Tag danach" Israel und die Palästinenser wieder an den
Verhandlungstisch bringen, quasi als Versöhnungsofferte an die arabische Welt.
Hierfür müsse die Scharon-Regierung zumindest einem vagen
Zeitplan für die Bildung eines palästinensischen Staates zustimmen – und einem
Siedlungsbaustopp. Dieser ließe sich jedoch nicht mit einer rechts-religiösen
Koalition verwirklichen. Scharon braucht also die "Awoda" mehr denn – und
hierfür den Irak-Krieg.

hagalil.com
25-07-02 |