Wahlen
zur Kneseth - 28.Januar 2003
Miflagoth:
Parteien in Israel
Die Vorwahlen
Amram Mitzna:
Ein Mann mit langem Atem

Aus Haifa Susanne Knaul
Amram Mitzna, Spitzenkandidat der
Arbeitspartei bei den kommende Woche angesetzten Parlamentswahlen in
Israel, hat es schwer. Er hat es schwer trotz des
Korruptionsskandals beim rechten Konkurrenten, dem regierenden
Likud, der Wasser auf den Mühlen des sozialistischen Wahlkampfs
hatte sein müssen. Und er hat es schwer wegen seiner eigenen
Entscheidung, "unter keinen Umständen" einer Regierung unter Ariel
Scharon, dem derzeitigen Premierminister, beizutreten. Der Beschluss
wird als Fehlentscheidung gewertet in allen politischen Lagern, auch
dem eigenen. Laut jüngsten Umfragen kommt die Partei kaum über 20
(von insgesamt 120) Mandate hinaus.
Dabei war sein Schritt nur konsequent,
hatte er doch die parteiinterne Wahl gegen Benjamin Ben-Eliesar
gewonnen, der für die große Koalition stand. "Scharon führte das
Land in eine Katastrophe", sagt Mitzna und resümiert in einem Satz
die Sicherheitslage, den "Fast-Kollaps" der Wirtschaft und die
sozialen Folgen.
"Ich bin zum Chef der Arbeitspartei
gewählt worden, um diese Regierung abzulösen." Mit diesen Worten
tritt er nach seinem parteiinternen Sieg vor die Auslandspresse,
freundlich und gleichzeitig unnahbar, dezent elegant in graues Tuch
gekleidet, die Gesichtsbräune von einem ergrauenden Bart
unterstrichen. Er habe ein Gelübde abgelegt, sich bis zum Frieden
nicht mehr zu rasieren, besagt ein Gerücht. Falsch. Mitzna hatte
sich während des Sechs-Tage-Krieges eine Splitterverletzung
zugezogen. "Er wollte ganz einfach die Narbe verdecken", berichtet
ein langjähriger Freund.
Der sozialistische Anwärter auf das
höchste Regierungsamt bietet den Wählern nach vielen Jahren wieder
eine konkrete Alternative zum Likud. Von "neuer Hoffnung" spricht
Mitzna, plädiert für die Trennung zwischen den Völkern und von einem
"sofortigen einseitigen Abzug aus dem Gaza-Streifen". Verhandlungen
sollten nicht an Vorbedingungen geknüpft sein. "Wir machen Frieden
mit unseren Feinden", antwortet er auf die Frage, ob auch
Palästinenserchef Jassir Arafat ein möglicher Partner für ihn sei,
"und die suchen wir uns nicht aus". Mit den Worten des 1995
ermordeten Premierministers Jitzhak Rabin will er "Verhandlungen
führen, als gäbe es keinen Terror, und den Terror bekämpfen, als
gäbe es keine Verhandlungen". Mitzna will einen großen Sprung nach
vorn machen. Er kündigt die Auflösung von isolierten israelischen
Siedlungen in Palästinensergebieten an, "auch wenn es keinen
Fortschritt bei Verhandlungen gibt". Und wenn alles nichts nützt und
der Terror fortgesetzt wird? Dann "werden wir es ihnen zeigen",
lässt er sich doch einmal vor Parteigenossen hinreißen. Es ist ein
untypischer Satz für den sonst so bedachten, selbstbeherrschten
Kandidaten.
Dass der hoch dekorierte Brigadegeneral,
der in zwei Kriegen mehrmals schwer verletzt wurde, nicht nur sanft
mit den Palästinensern umgeht, das belegen allerdings seine Jahre
als Kommandant des Zentralsektors zu Beginn der ersten Intifada,
Ende der 80er-Jahre. Unter dem damaligen Verteidigungsminister
Rabin, der den Aufstand auch durch das "Brechen von Armen und
Beinen" niederzuschlagen hoffte, befahl Mitzna Razzien,
Häuserabrisse, Deportationen und militärisches Vorgehen gegen die
jugendlichen Steinewerfer. Knapp zehn Jahre zuvor hatte er nicht
unter dem seinerzeit amtierenden Verteidigungsminister Ariel Scharon
dienen wollen, nachdem das Massaker in den palästinensischen
Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla bekannt geworden war. Er
schrieb einen offenen Protestbrief an Premier Menachem Begin. Der
rief ihn umgehend zu sich und bewegte ihn schließlich zu einer
Rückkehr zu seiner im Libanon stationierten Brigade.
Als Mitzna 1993 endgültig seine Uniform
ablegte, rief ihn Rabin, inzwischen Premierminister, nach Jerusalem.
"Er hätte fast jeden Job haben können", vermutet Chaim Kaminer, der
Mitzna vor 25 Jahren kennen lernte, als beide jung verheiratet
nebeneinander in dem Haifaer Vorort Kirjat Chaim wohnten. "Rami",
wie er seinen Freund nennt, habe sich für das Bürgermeisteramt der
Stadt entschieden, um "unabhängig" Politik machen zu können. Als
Chef im Rathaus sei er "allein der Bevölkerung verpflichtet". Und
rund zehn Prozent dieser Bevölkerung sind Araber.
Mitzna wurde gewählt und gut vier Jahre
später mit 65 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Die arabischen
Wähler in der Stadt "gaben ihm weit über 90 Prozent", schätzt Dr.
Motti Pery, Direktor des arabisch-jüdischen Begegnungszentrums
"Beith Hagefen" in der Stadt. Jedes Jahr um die Weihnachtszeit
veranstaltet das Zentrum das "Fest der Feste". Bis 1993 war es ein
jüdisch-christliches Festival. Mitzna, gerade einen Monat im Amt,
sorgte dafür, dass nicht nur Weihnachten und das jüdische
Lichterfest Chanukka gefeiert wird, sondern auch der muslimische
Fastenmonat Ramadan.
Er investierte in den Wohnungsbau und in
die Schulen der arabischen Wohnviertel. Doch ausschlaggebend für die
Sympathie, die er unter den Arabern genießt, ist vermutlich vor
allem sein Verhalten zu Beginn der zweiten Intifada, Anfang Oktober
2000. Der erneute Volksaufstand und das scharfe israelische Vorgehen
gegen die palästinensischen Demonstranten im Westjordanland führte
zu heftigen arabischen Solidaritätskundgebungen in Galiläa. Dabei
erschoss die Polizei zwölf Israelis. In Haifa stellte sich der
Bürgermeister schon bei der ersten Demonstration zwischen die
aufgebrachte Bevölkerung, und die Polizei und verhinderte damit
Eskalationen. "Er schütze die arabischen Demonstranten mit seinem
eigenen Körper", schrieb die al-Sinara, ein Magazin
in arabischer Sprache.
Bürgernah für die gesamte Bevölkerung
wollte er sein. "Scheschi - ischi" (Freitags - persönlich) heißt die
Radiosendung, in der Mitzna bis zur Parteivorstandswahl einmal
wöchentlich je zwei Stunden den Bürgern Frage und Antwort stand.
"Man hatte den Eindruck, dass er jede Ecke, jeden Baum in der Stadt
kennt. Was er einmal im Kopf hat, vergisst er nicht mehr", meint
Kaminer. Dabei habe er immer nur Lösungen für die Probleme
versprochen, die machbar waren. "Was Mitzna sagt, wird auch
gemacht." Tatsächlich genießt er den Ruf des unbedingt
zuverlässigen, aufrechten, integren und zielgerichteten Mannes.
Werte, die er "ohne Zweifel aus seinem Elternhaus mitgebracht hat",
glaubt Kaminer. Vater und Mutter Mitznas stammen aus Deutschland.
Dass ihm sein guter Ruf aus Haifa schon
jetzt den Weg ins höchste Regierungsamt ebnet, scheint Mitzna, der
auf Wahlkampfveranstaltungen unverändert Selbstbewusstsein
demonstriert, selbst nicht mehr wirklich zu glauben. "Ich bin ein
Marathonläufer, kein Sprinter", sagt er vor deutschen Journalisten
in seinem Büro. Im Moment sieht es so aus, dass auch seine Partei
die notwendige Geduld aufbringt, um ihm eine zweite Chance
einzuräumen.
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20-01-2003 |