Wahlen zur Kneseth - 28.Januar 2003
Eine seltsame, unheimliche Stille:
Ein Trauertag der israelischen
Demokratie
Wahltage
sind normalerweise ein Feiertag der Demokratie. In einem Gespräch
mit dem Sender 103fm sprach Prof. David Nachmias, Politologe am
Institut zur Demokratie Israels, heute von einem Trauertag der
israelischen Demokratie.
Die Gleichgültigkeit und Resignation der
Bevölkerung, die sich in immer geringerer Beteiligung am politischen
Diskurs und sogar an den Wahlen ausdrückt, sei für jede Demokratie
bedenklich. Im Falle Israels heute, in Anbetracht der ungeheueren
Probleme des Staates und der Gesellschaft, müsse man dies bereits
als katastrophal bezeichnen.
Er sei heute Nachmittag schockiert gewesen, als er in seinem
Wahllokal nur einen einzigen weiteren Wähler angetroffen habe. Schon
während des Wahlkampfes habe sich ihm die Frage aufgedrängt, was
dieses sinnentleerte Ritual überhaupt noch solle. Der Staat befinde
sich in der schlimmsten Lage seit seiner Gründung. Die
Sicherheitslage ist mörderisch, ein Krieg droht aus dem Norden, die
Wirtschaft bricht zusammen, immer weitere Teile der Bevölkerung
verelenden. Die außenpolitischen Beziehungen treiben unaufhaltsam
der Isolation zu. Die gesellschaftlichen Probleme sind immens. All
diese Themen werden nicht behandelt, kein einziges dieser Themen
wurde offen und öffentlich diskutiert. Der Wahlkampf war rein
personenbezogen.
"Eine Demokratie kann so nicht funktionieren", meint Nachmias. Es
geht nur noch um einzelne Personen, Themen werden komplett
ignoriert. Die Korruption greift um sich und auch die Position des
Rechtsberaters der Regierung bietet kaum Einhalt. Normalerweise
entscheidet er, wer angeklagt wird oder nicht, gegen wen ermittelt
wird oder nicht. Was wird werden, wenn der jetzige Rechtsberater
ausscheidet und der Regierungschef den nächsten berufen wird?
In seinem ausgesprochen beunruhigenden Statement schloss Professor
Nachmias mit der Ansicht, es sei die Okkupation, die die Politik,
die gesamte Gesellschaft korrumpiere. Dies sei bekannt seit langem,
es werde nur immer schlimmer, und nur noch ganz wenige hätten die
Kraft dies noch auszurufen.
In M'ariw zeigte sich Uri Avnery kurz vor den Wahlen von "einer
seltsamen, unheimlichen Stille" beeindruckt. Dies alles sei Ausdruck
einer tiefen Depression der Wählerschaft, einer Art stiller
Verzweiflung in einer verheerenden Situation. Yoel Marcus spricht in
haArez nicht von der israelischen Demokratie, sondern lieber von der
israelischen Psychokratie. Richter Cheschin, Vorsitzender des
Wahlkomitees, fiel heute nichts besseres mehr ein, als eine
Strafgebühr für Nichtwähler vorzuschlagen.
Dies in Israel - der bisher politisiertesten Gesellschaft der Welt!
Miflagoth:
Parteien in Israel
dg /
hagalil.com
28-01-2003 |