UN-Votum 90 zu 8 Stimmen:
Gutachterfunktion des Internationalen Gerichtshofes
in Sachen "Zaun"
Auszüge aus einem Nachrichtenartikel von
Ha'aretz-Korrespondenten Shlomo Shamir (New York) und Aluf Benn und
von Agenturen
Übersetzung Daniela Marcus
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen
billigte am Montag eine Resolution, die den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag ersucht, eine Gutachterfunktion bezüglich
der juristischen Konsequenzen der Konstruktion des Trennungszauns
durch Israel auszuüben. Neunzig Nationen votierten für den Entwurf,
acht stimmten dagegen, 74 Länder enthielten sich.
Israel verurteilte die Resolution. Ra’anan Gissin,
Sprecher von Premierminister Ariel Sharon, sagte: "Dies ist ein
Versuch (...), das Recht des jüdischen Volkes auf einen jüdischen
Staat, den es verteidigen kann, zu delegitimieren."
Sharon und Außenminister Silvan Shalom entschieden
bereits vor der Wahl, dass Israel mit dem Internationalen
Gerichtshof kooperieren werde, sollte die Resolution verabschiedet
werden, und dass Israel argumentieren werde, dass die Entscheidung,
eine Barriere zu errichten, auf dem Recht auf Selbstverteidigung
basiere.
Mehrere Leute bemerkten, dass jede Entscheidung
des Gerichts nur ein Gutachten sein werde, das nicht bindend sei.
Die Vereinigten Staaten und Israel waren strikt
gegen die Resolution. Sie argumentierten, sie werde den Gerichtshof
"politisieren" und Anstrengungen unterwandern, ein Friedensabkommen
im Nahen Osten zu erreichen. Israel besteht darauf, dass der Zaun,
mit dessen Bau es letztes Jahr begann, zur Verhinderung von
Selbstmordattentaten benötigt wird. Die Errichtung dient nur der
Sicherheit.
Arabische Nationen argumentierten, der Gang vor
den Internationalen Gerichtshof wäre die einzige Möglichkeit zu
versuchen, den Bau der Barriere zu stoppen. Die Palästinenser nennen
die Barriere einen Landraub durch Israel, der möglichen Gesprächen
über die Grenzen eines palästinensischen Staates vorausgeht.
Der palästinensische Beobachter bei der UNO,
Nasser al-Kidwa, begann damit, die Resolution voranzutreiben,
nachdem Generalsekretär Kofi Annan am 28. November einen Bericht
herausgegeben hatte, in dem er erklärte, Israel habe sich der
Forderung der Generalversammlung, den Bau der Barriere, die in die
Westbank hinein reicht, zu stoppen, nicht gefügt.
Radio Israel berichtete, Al-Kidwa habe während der
Debatte am Montag gesagt, dass der Trennungszaun jede Möglichkeit
einer Verhandlung zerstöre und dass sich Israel zwischen dem Zaun
und dem von den USA unterstützten "Fahrplan" entscheiden müsse. Er
sagte auch, dass Israels "faschistisch-kolonialistische Besatzung"
die Palästinenser in eine Nation von Sklaven verwandelt hätte,
berichtete Radio Israel.
Israels UNO-Botschafter, Daniel Gillerman, sagte
laut Radio Israel, der Zaun werde zu Verhandlungen führen, weil er
eine Abnahme der Anzahl von israelischen Soldaten in der Westbank
bedeute. Laut Bericht beschuldigte Gillerman außerdem den
Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde, Yassir Arafat,
eine Situation geschaffen zu haben, die Israel dazu geführt habe,
die Errichtung des Zauns als notwendig zu betrachten.
Sharon und Shalom hatten entschieden, auf den
Ausgang der Wahl zu warten, bevor sie irgendwelche Aktionen
unternehmen würden. Doch es war vereinbart worden, dass Israel seine
Position, die Barriere sei legal und entspräche allen Maßstäben
juristischer Untersuchungen, präsentieren werde, falls der
Internationale Gerichtshof um die Gutachterfunktion bezüglich der
Legalität des Zauns ersucht werden würde.
Die Generalversammlung wurde aufgerufen, über den
palästinensischen Entwurf einer Resolution abzustimmen, die fordert,
"dass der Internationale Gerichtshof ein Gutachten über die
gesetzlichen Auswirkungen herausgibt, die aufgrund der Konstruktion
des Trennungszauns durch Israel, der Besatzungsmacht in den
besetzten palästinensischen Gebieten, entstehen".
Mittlerweile entschieden am Montag Minister der
Shinui-Partei, bei der nächsten Kabinettsitzung zu fordern, die
israelische Regierung solle den Verlauf des Zauns ändern und ihn
dadurch von einem "politischen" in einen "Sicherheits"-Zaun
umformen, berichtete Radio Israel.
Der Vorsitzende der Shinui-Partei, Yosef (Tommy)
Lapid, der auch Justizminister ist, sagte, der gegenwärtige Verlauf
sei zu lang und zu teuer. Außerdem platziere er 250.000
Palästinenser innerhalb von israelischem Gebiet, berichtete der
Sender. Laut Bericht würde Lapids Plan eine größere Anzahl von
Siedlungen außerhalb des Zauns lassen.
Das Außenministerium sagte im Vorfeld, die
Resolution werde durch die "automatische Mehrheit", deren sich die
Araber in der UNO erfreuen, gebilligt werden. Israel hatte versucht,
europäische Länder zu überzeugen, den USA in deren Ablehnung der
Resolution beizutreten. Doch bei diesen Bemühungen wurde nur ein
Teilerfolg erzielt. Die Opposition von EU-Staaten wäre ohnehin
unzureichend gewesen, um die Resolution zu verhindern, doch sie
hätte die diplomatische Legitimität geschwächt.
Das Außenministerium macht geltend, dass die
Konstruktion der Trennungsbarriere das internationale Gesetz nicht
verletzt, auch dort nicht, wo der Verlauf über die Grüne Linie in
die Westbank hinein reicht. "Jede Besatzungsmacht hat das Recht,
Befestigungsanlagen und Zäune in besetztem Gebiet zu bauen, wenn es
dafür eine militärische Notwendigkeit gibt", erklärt ein ranghohes
Mitglied des Ministeriums. "Wenn es Terror gibt", fährt die Person
fort, "kann niemand argumentieren, dass es keine militärische
Notwendigkeit für einen Zaun gibt. Ein Zaun mag humanitäre Probleme
mit sich bringen, die gelöst werden müssen. Doch es gibt keine
Fragen bezüglich der Legalität."
Trotz dieser zuversichtlichen Einschätzung ist
Israel besorgt, solche politischen Themen vor internationale
Körperschaften zu bringen, da diese immer verdächtig sind, die
arabische Seite zu bevorzugen und Feindschaft gegen Israels Sache zu
schüren. In seinen Bemühungen, die Resolution zu verhindern, warnte
Außenminister Silvan Shalom auch davor, dass die Übertragung des
israelisch-palästinensischen Konflikts an ein internationales
Schiedsgericht den "Fahrplan" nichtig machen könnte.
Der Internationale Gerichtshof (ICJ, International
Court of Justice) in Den Haag wurde im Jahr 1946 gegründet. Er hat
zwei Funktionen: Zum einen trifft er Entscheidungen in Konflikten
zwischen zwei Staaten, die übereinstimmen, seine Autorität zu
akzeptieren. Zum anderen verkündet er auf Anfrage der UNO oder
anderer internationaler Institutionen juristische Gutachten. Die
Urteile haben nur beratenden Status. Sie sind für die Gruppen, die
diese Entscheidungen fordern, nicht bindend. In manchen Fällen kann
aber im Voraus bestimmt werden, dass die Entscheidung des
Gerichtshofes bindend ist.
Wenn die palästinensische Resolution wie erwartet
gebilligt wird und das Thema "Zaun" zur Diskussion an den
Internationalen Gerichtshof überreicht wird, wird das Gericht die
betreffenden Parteien bitten, schriftliche und mündliche Äußerungen
abzugeben. Über diese wird hinter verschlossenen Türen beraten
werden. Das israelische Außenministerium sagt, dieser Prozess werde
mindestens ein Jahr dauern. In dieser Zeit könnten die Palästinenser
ihr Ziel, Israel in eine peinliche Situation zu bringen,
erreichen.(...)
Der Internationale Gerichtshof operiert unabhängig
vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC, International Criminal
Court), der gegründet wurde, um über Kriegsverbrechen Gericht zu
sprechen. Zwischen beiden Gerichtshöfen gibt es keine Verbindung,
außer der Tatsache, dass beide in Den Haag platziert sind.
Die UNO ernennt für den Internationalen
Gerichtshof 15 Richter. Die Amtszeit dauert 9 Jahre. Die Richter
sollen unabhängig urteilen und nicht ihr jeweiliges Land vertreten.
Gegenwärtig stammen die Richter aus Ägypten, Jordanien, Frankreich,
China, Japan, Madagaskar, der Slowakei, Deutschland, Sierra Leone,
der russischen Föderation, dem Vereinigten Königreich, Venezuela,
den Niederlanden, Brasilien und den Vereinigten Staaten. Der oberste
Richter kommt aus Belgien, sein Stellvertreter ist Franzose.(...)
Seit der Internationale Gerichtshof vor beinahe 60
Jahren gegründet wurde, gab es 77 Entscheidungen über Konflikte
zwischen zwei Staaten und 24 Gutachten. Derzeit stehen 22 Fälle auf
dem Terminplan. Einige dieser Fälle wurden infolge der Kriege in
Afrika und in Jugoslawien eingereicht. Die meisten Fälle betragen
territoriale Streitigkeiten (z. B. einen Disput über territoriale
Wasserquellen zwischen Nicaragua und Kolumbien) und Streitigkeiten
über die strafrechtliche Zuständigkeit zwischen zwei Ländern.
(Mexiko hat z. B. den Gerichtshof angerufen, die USA von der
Ausführung des Todesurteils über 54 Mexikaner abzuhalten.)
Israel hat wenig Erfahrung mit dem Internationalen
Gerichtshof. Im Jahr 1957 hat es sich an ihn gewandt, um eine Klage
gegen Bulgarien einzureichen, nachdem zwei Jahre zuvor eine
El-Al-Maschine über dem damals zum Ostblock gehörenden Land
abgeschossen worden war. Der Prozess wurde jedoch eingestellt, weil
Bulgarien nicht bereit war, die Autorität des Gerichts zu
akzeptieren.
Englische
Website des Internationalen Gerichtshofes
Deutsche Websites über den Internationalen Gerichtshof:
http://www.uno.de/aufbau/icj.htm und
http://www.uno.de/charta/statut.htm
hagalil.com
09-12-2003 |