Ein Zaun, der Gräben reißt:
Grenze oder Trennstreifen?
Von Thorsten Schmitz
Bei seiner Begegnung mit US-Präsident George
Bush hat der palästinensische Ministerpräsident Machmud Abbas nicht
nur die Frage nach der Freilassung palästinensischer Gefangener
erörtert – im Weißen Haus wollte er auch eine Karte des
Westjordanlandes ausbreiten. Mit dieser will Abbas veranschaulichen,
wo der Zaun verläuft, den Israel seit einem halben Jahr im
Westjordanland errichten lässt.
Dabei stehen die USA in dieser Frage inzwischen
selber auf Seiten der Palästinenser; sie fordern von Israel einen
sofortigen Baustopp. Im Juni vorigen Jahres hatte Israel nach einer
Welle palästinensischer Anschläge mit dem Bau des Zauns begonnen,
der offiziell nicht die Grenzziehung eines Palästinenser-Staates
vorwegnimmt. Vielmehr solle er Israels Bürger vor Terroristen
schützen.
Das erste, 145 Kilometer lange Teilstück, das
nordwestlich der palästinensischen Autonomiestadt Dschenin beginnt,
soll noch im Juli fertiggestellt werden. Insgesamt ist geplant, das
gesamte Westjordanland auf einer Länge von 365 Kilometern zu
umzäunen. Dabei entspricht der Verlauf des Zauns nicht der Grünen
Grenze, die das von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte
Westjordanland vom israelischen Kerngebiet trennt. Vielmehr
schneidet der Zaun tief in das Westjordanland hinein, sodass sich
mehrere palästinensische Orte im Niemandsland wiederfinden zwischen
Israel und dem westlichen Rand des Zauns.
Israelische Menschenrechtsgruppen kritisieren,
dass der Zaun dem Grenzverlauf eines künftigen Palästinenserstaates
vorweg greife, zu dem Israels Premier Ariel Scharon höchstens bereit
sei: so wenige jüdische Siedlungen wie möglich auflösen und den
Palästinensern maximal 42 Prozent des Westjordanlandes für ihren
Staat überlassen. Nach den Plänen des Verteidigungsministeriums soll
der aus Betonwänden und Videokameras bestehende Zaun um große
jüdische Siedlungen wie Ariel und Immanuel herum verlaufen, sodass
diese sich plötzlich im israelischen Kerngebiet befänden statt im
Westjordanland. Durch den geplanten Verlauf des Zauns, der sich bis
zu 20Kilometer östlich der Grünen Grenze ins Westjordanland
hineinfrisst, würden 40000 jüdische Siedler zu Israelis, während
sich 11000 Palästinenser damit abfinden müssten, auf der Westseite
des Zauns zu leben, getrennt von Landsleuten, ihren Feldern und
Olivenbäumen.
Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsgruppe
"Betselem" führt der Zaun komplett um die große Autonomiestadt
Kalkilia, durchschneidet 13Palästinenser-Dörfer, in 36Fällen würden
palästinensische Bauern von ihren Feldern getrennt. Einige von ihnen
hat Israel entschädigt, um auf deren Feldern den bis zu 45 Meter
breiten Zaunstreifen zu errichten. Auf der Karte, die Abbas Bush am
Freitag vorlegen wollte, ist zu sehen, dass der Zaun das
Westjordanland in drei unzusammenhängende Palästinenser-Zonen teilt.
Sollte dies der künftige Verlauf eines Palästinenserstaates sein,
würde dies Israels Sicherheit erhöhen – die Palästinenser aber wären
abhängig von Israels Wasser, Arbeit, Handel. Ariels Bürgermeister
Ron Nachman bestätigte dieser Tage, dass Scharon ihm bereits vor 25
Jahren eine Karte mit den drei zerrissenen Palästinensergebieten im
Westjordanland gezeigt habe. An Scharons alter Vision, das
Westjordanland in drei Teile zu stückeln, hat sich offenbar nichts
geändert.
hagalil.com
27-07-03 |