Streit um neues Gesetz in Israel:
Unter Gottes Schutz
Die Ultra-Orthodoxen haben sich durchgesetzt Religionsstudenten sind nun legal
vom Dienst in der Armee befreit
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem - Der August ist in Israel traditionell der Monat des Abschieds: In
den großen Sommerferien, wenn die Abiturprüfungen vorbei und in den
Universitäten Semesterferien sind, sagen Tausende junger Männer und Frauen ihren
Eltern und Geschwistern Adieu und leisten ihren zwei- und dreijährigen
Militärdienst ab. Anschließend müssen Israels Männer bis zum Alter von 51 Jahren
einmal jährlich vier Wochen Reservedienst ableisten. Der Einzug in die Armee
beginnt in diesen Tagen in allen großen Militärbasen des Landes, unter anderem
in Tel Hashomer, einem Vorort Tel Avivs. Das Procedere der Registrierung indes
wird dort von Demonstrationen der weltlichen Parteien Meretz und Schinui
gestört.
Vertreter der zwei linken Parlamentsfraktionen protestieren gegen das vergangene
Woche verabschiedete "Tal-Gesetz", das eine Kommission unter dem Vorsitz des
früheren Richters Zvi Tal in den letzten zwei Jahre verfasst hatte. Es erlaubt
ultra-orthodoxen Religionsstudenten, in ihren "Jeschivot" (Religionsschulen),
weiterhin die Torah studieren zu dürfen ohne den Grundwehrdienst ableisten zu
müssen. Premierminister Ariel Scharon hatte nach der Abstimmung gesagt, er habe
"schweren Herzens" dafür gestimmt, schließlich blicke er selbst auf eine
Karriere in der Armee zurück. Doch das Murren Scharons war halbherzig: Hätte er
nicht für die Ausnahmeregelung gestimmt, hätten seine ultra-orthodoxen
Koalitionspartner die Regierung verlassen. Nach dem Rücktritt zweier Minister
kann sich Scharon eine weitere Erosion der großen Koalition nicht leisten. Im
mehrheitlich säkularen, also weltlich orientierten Israel wurde das Tal-Gesetz
als sozial ungerecht empfunden. Die Demonstranten in Tel Hashomer wie auch
Leitartikler der Tageszeitung Haaretz etwa sehen in der Ausnahmeregelung für die
Jeschiva-Studenten eine gesellschaftliche Spaltung.
Das neue Gesetz erlaubt es Jeschiva-Studenten, deren Torah-Studien vom Staat
finanziert werden, selbst zu entscheiden, ob sie Militärdienst oder eine Art
Zivildienst leisten oder ob sie ihre Religionsstudien fortsetzen wollen. Die
Studenten und ihre Rabbiner-Mentoren argumentieren, sie trügen durch ihr Studium
genauso zur israelischen Gesellschaft bei wie Armee-Angehörige. Das
Torah-Studium garantiere Israel die Verbundenheit zu Gott und dessen Schutz für
das jüdische Volk. Viele Soldaten und auch Tommy Lapid von der Schinui- Partei
betrachten die Religionsstudenten jedoch als "Schmarotzer", die sich auf
Staatskosten vor der Armee drückten. Die Ultra-Orthodoxen genössen den Schutz
des Militärs, trügen selbst aber nichts dazu bei. In ganzseitigen Anzeigen in
mehreren Tageszeitungen beschwerten sich Gegner des Tal-Gesetzes, dass dieses
die demokratischen Grundlagen des Staates Israel und die Gleichberechtigung
seiner Bürger verletze.
Bislang war die Rechtslage nicht eindeutig. Vor zwei Jahren jedoch entschied der
Oberste Gerichtshof, dass das Parlament einen Gesetzesentwurf verabschieden
müsse, der die Ausnahme von Jeschiva-Studenten am Militärdienst gesetzlich
legalisiere. Bisher basierte die Regelung auf einer verbalen Vereinbarung aus
Staatsgründungszeiten, wonach Religionsstudenten selbst entscheiden dürften, ob
sie in die Armee wollten oder nicht. Staatsgründer David Ben-Gurion hatte diese
Vereinbarung getroffen und 1948 gerade mal 400 Jeschiva-Studenten erlaubt, nicht
in die Armee gehen zu müssen. Er konnte damals nicht absehen, dass es im Jahr
2002 mehrere zehntausend Religionsstudenten geben werde.
hagalil.com
01-08-02 |