Hapoel Bnei Sachnin:
Siegeshymnen unter falscher Flagge
Die israelischen Araber sitzen
zwischen allen Stühlen - aber jetzt stellen sie die erfolgreichste
Fußballmannschaft des Landes
Von Thorsten Schmitz
Sachnin, im August - Es ist leichter, einen
Termin beim Bürgermeister von Sachnin zu bekommen, als einen mit dem
Manager der ortsansässigen Fußballmannschaft zu vereinbaren. Die
Sekretärin des Bürgermeisters nennt bereitwillig die Handynummer
ihres Chefs Mohammed Baschir, obwohl der doch im Urlaub weilt. Für
das Gespräch mit der deutschen Tageszeitung ist Baschir sofort
bereit, seinen Urlaub zu unterbrechen, "wann immer Sie wollen".
Einen Tag später schon sitzt der Bürgermeister in
luftiger Urlaubskluft dem Reporter in seinem Amtszimmer gegenüber.
Die Stadtverwaltung ist verwaist, immer im August macht sie für zwei
Wochen dicht. Der Bodyguard des Bürgermeisters schüttet süßen
Grapefruitsaft in weiße Plastikbecher, und schon beginnt der
47-jährige Baschir im Stakkato die Probleme von Sachnin aufzuzählen,
der 25 000 Einwohner zählenden Heimat israelischer Araber. Später,
beim Durchblättern der Aufzeichnungen, schrumpft das Gespräch auf
die Tatsache zusammen, dass der Bürgermeister in Wahrheit ein
Mangelverwalter ist. Baschir skizziert vor gerahmten Fotos von
Regierungschef Ariel Scharon und Staatspräsident Mosche Katzav ein
ganz düsteres Bild von Sachnin, fast, muss man sagen. Denn
übertüncht werden die Probleme der Stadt im Norden Israels seit dem
18. Mai von einer Erfolgsgeschichte. Die wiederum ist verantwortlich
dafür, dass der Präsident der ortsansässigen Fußballmannschaft keine
Zeit findet für ein persönliches Gespräch.
Der Mann heißt Mazen Ganayem, ist genauso alt wie
der Bürgermeister, aber seit dem 18. Mai gefragter als das
Stadtoberhaupt. An jenem 18. Mai gelang es seinem Team, den Jungs
von "Hapoel Bnei Sachnin", den nationalen Pokal zu gewinnen.
Erstmals in der Geschichte Israels vertritt nun eine arabische Elf
beim UEFA-Cup den jüdischen Staat - also das Land, in dem Araber
zwar ein Fünftel der Bevölkerung stellen, aber bis heute als Bürger
zweiter Klasse behandelt werden.
Die Freude in Israel, unter den 1,2 Millionen
Arabern und den fünf Millionen Juden, war doppelt groß, denn das
Team aus Sachnin ist auf eine gewisse Art die Verwirklichung einer
Sehnsucht, eines Traums: In der Mannschaft von Bnei Sachnin spielen
Araber, Juden und Christen den Frieden vor, zu dem die Politiker
nicht imstande sind. Wenn der jüdische Trainer Anweisungen auf
Hebräisch brüllt, übersetzt der arabische Teamchef ins Arabische und
Englische.
Die Chefredakteure der Massenblätter Maariv und
Jediot Achronot waren so trunken vor Freude über die positive
Nachricht in einem an negativen Nachrichten reichen Land, dass sie
die Layouter baten, den Sieg Sachnins mit arabischen Schriftzeichen
auf den Titelseiten zu feiern.
Seit dem Sieg steht das Telefon von Mazen Ganayem
nicht mehr still. Zu Hause klingelt es unablässig, seine Frau
Rasmeih hebt schon gar nicht mehr ab. Von morgens bis spät nachts
klingelt auch das Handy des Vereinspräsidenten. Das Problem ist nur,
dass er zwar ständig antwortet, aber sich nicht festlegen will. Eine
ganze Woche telefoniert der Reporter dem König von Sachnin
hinterher, als den ihn die Kinder auf den staubigen Straßen
titulieren, bis man einen Tag und eine Stunde findet für ein Treffen
im Wohnzimmer der Ganayems. Es ist später Nachmittag und der
Vereinspräsident hat unser Treffen vergessen. Seit dem frühen Morgen
hat er fünf Sponsoren-Termine absolviert, dazwischen bei einem
Mittagessen mit zwei afrikanischen Spielern über die Zukunft im Team
sinniert, dem außer den Männern aus Kamerun und Guinea noch ein
Spieler aus Brasilien und einer aus Polen angehören sowie 14 Araber
und sieben Juden. Mazen Ganayem bettelt unermüdlich das Jahresbudget
in Höhe von rund zwei Millionen Euro zusammen, das zum geringsten
Teil aus staatlichen Mitteln besteht und zum großen Teil aus einem
Werbevertrag mit einer Handyfirma und Fernsehlizenzen. Jetzt ist er
einfach nur noch todmüde und hat sich auf dem Sofa flachgelegt.
"Tschuldigung", sagt er und strahlt aus müden braunen Knopfaugen.
Der jüngste Sohn Magsch, der selbst mal Fußballer werden will, klebt
an Papas Seite und spielt dabei Gameboy. Die Gattin holt frisches
Obst und versinkt wortlos am Fernseher in eine Soap-Opera.
In der Siegesnacht hat Ganayem kein Auge zugetan,
die Straßen in Sachnin waren bis zum Morgengrauen verstopft mit
Autos und Menschen, aus allen Restaurants und Cafés schallte Freude.
In dieser Nacht begann das ununterbrochene Klingeln von Mazen
Ganayems Handy. Nur eine halbe Stunde, nachdem er den Pokal in
Empfang genommen hatte, meldete sich Regierungschef Ariel Scharon am
Apparat. Er gratulierte dem Vereinspräsidenten und sprach davon, wie
schön der Sieg Israel zu Gesicht stehe, woraufhin Mazen Ganayem sich
zwar artig bedankte, aber dann doch nicht zu sehr beeindruckt war,
um eine drängende Frage loszuwerden. Auch er freue sich über den
Sieg, sagte er, der hauptberuflich als Malermeister seine Familie
ernährt, aber ob es nicht unfair sei, dass der Staat Israel kein
Geld aufbringe für den Bau eines Stadions. Die Fußballer von Sachnin
müssen nämlich alle Heimspiele in Leih-Stadien absolvieren, und auch
das Auftaktspiel an diesem Donnerstag um den UEFA-Cup gegen den
albanischen FK Partizani muss in einem Stadion nahe Tel Aviv
stattfinden, drei Autostunden entfernt von der Heimat des
Gewinnerclubs.
Scharon versprach drei Millionen Schekel (etwa 700
000 Euro), um das C-Liga-Stadion in Sachnin auszubauen, das weder
über Rasen und Sitzplätze noch über Umkleidekabinen verfügt. Aber
erstens sind die drei Millionen Schekel bis heute nicht in Sachnin
angekommen (genauso wenig die versprochene Spende der arabischen
Brüder aus Katar). Und zweitens, wie der gläubige Muslim Mazen
Ganayem vom Wohnzimmersofa aus sagt, "sind zwei Millionen Schekel
einfach 20 Millionen Schekel zu wenig". Zum Vergleich nennt er das
Budget des (jüdischen) Fußballvereins in Tel Aviv: 40 Millionen
Schekel. Der Bürgermeister von Sachnin hatte beim Interview
geseufzt: "Es ist ganz einfach so, dass wir Araber zwar auf dem
Papier dieselben Rechte und Pflichten haben wie die Juden, aber
tatsächlich werden wir als zweitklassig behandelt."
Die Juden in Israel sind in erster Linie Juden.
Sind die Araber dagegen Israelis? Palästinenser? Muslime? Christen?
Die arabische Welt verachtet die israelischen Araber als
Kollaborateure, die meisten Juden in Israel wollen mit ihnen nichts
zu tun haben. Israelische Araber sitzen zwischen allen Stühlen, seit
Beginn der Intifada erst recht. Sollen sie mit dem Aufstand der
Palästinenser sympathisieren? Oder loyal sein gegenüber Israel?
Manche Araber haben palästinensischen Terroristen bei Attentaten
gegen Israelis geholfen, weshalb den Jungs von "Bnei Sachnin" bei
Spielen in Jerusalem von der Zuschauertribüne oft ein vielfaches
"Tod den Arabern" entgegenschallt.
Über all diesen Fragen schweben der Tod der 13
israelischen Araber, die auf Solidaritäts-Demonstrationen von
(jüdischen) Polizisten erschossen wurden, sowie die Tatsache, dass
in Israel nur fünf Prozent aller Beamten Araber sind und nur ein
Prozent aller Dozenten Araber.
Die Ungleichbehandlung sieht man auch in Sachnin.
Die Hauptstraße besteht aus Schlaglöchern, besitzt keine Trottoirs,
die Abwasser- und Frischwasserrohre sind porös, 40 Prozent der
Haushalte Sachnins sind nicht ans Abwassernetz angeschlossen, die
Schulklassen in Sachnin bestehen aus 40 und mehr Schülern, und jeder
Fünfte ist arbeitslos. Es gibt keine Parks, keine Bäume im
Stadtgebiet, und wenn der Wind von den umliegenden Hügeln peitscht,
wird der Staub aufgewirbelt und in die massenhaften
Hochzeitskleiderläden gepustet.
Der 29 Jahre alte Verteidiger Nidal Schalata steht
auf der Hauptstraße vor einem dieser Hochzeitsläden, an dessen
üppigen Kleidern sich seine Tochter nicht satt sehen kann. Die
Mannschaft sei nach einem Trainingsaufenthalt in Belgien "top", aber
"natürlich werden wir den UEFA-Cup nicht gewinnen". Vielleicht,
hofft er, trage der Sieg seines Teams dazu bei, das Ansehen
israelischer Araber zu verbessern. "Israel erlaubt uns, unsere Beine
zu benutzen. Vielleicht kriegen wir jetzt auch mal die Chance,
unsere Gehirne einzusetzen?"
hagalil.com
13-08-04 |