Der jüdische Untergrund rüstet auf
Die Verhaftung von neun jungen Männern schürt in Israel Angst
vor einem erneuten Erstarken eines jüdischen Untergrund-Terrors. Polizei und
Geheimdienst tun sich schwer, wirkungsvoll gegen die extremistischen Kreise
in den Siedlungen vorzugehen.
Israelische Sicherheitskräfte sprechen von mindestens 7 palästinensischen Toten
und 19 Verwundeten durch Schüsse israelischer Zivilisten im Westjordanland.
Bezelem, die israelische Menschenrechtsgruppe, hat im selben Zeitraum gar 32
durch Siedlerhand getötete Palästinenser registriert.
aus Jerusalem ANNE PONGER
Neun junge Männer sind in den letzten Wochen verhaftet worden
unter dem Verdacht, Bomben- und Schusswaffenattentate auf Palästinenser
geplant und ausgeführt zu haben. Mindestens einem wird versuchter Mord
vorgeworfen. Alle sind tief in den Siedlungen und ihrer
religiös-nationalistischen Ideologie verwurzelt. Die ersten Festnahmen geben
Anlass zur Sorge vor der Neuauflage eines Terror-Untergrundes jüdischer
Extremisten.
Während der Achtzigerjahre hatte eine jüdische Terrorgruppe aus den Siedlungen
palästinensische Politiker bei Sprengstoffattentaten verwundet und war
verhaftet worden, bevor sie die Moscheen auf dem Jerusalemer Tempelberg in
die Luft jagen konnte. Vor rund zwei Jahren hatte ein palästinensischer
Scharfschütze die zehnmonatige Schalhevet Pas getötet. Vergangenen Monat
wurde ihr Vater Jitzhak Pas, ein Siedler aus Hebron, mit viereinhalb Kilo
Sprengstoff im Auto verhaftet.
Die Ermittler deuteten an, gegen Pas und einige andere habe es militärische
Haftbefehle gegeben. Diese werden ansonsten fast nur gegen Palästinenser
angewendet, die der Terrorplanung verdächtigt werden. Das Thema ist so
heikel, dass eine weitgehende Informationssperre verhängt wurde. Offenbar
werden durch Verhöre der bisher Verhafteten weitere Festnahmen erhofft.
Mysteriöse Angriffe auf Palästinenser hatten sich in den letzten drei Jahren
gehäuft. Israelische Sicherheitskräfte sprechen von mindestens 7
palästinensischen Toten und 19 Verwundeten durch Schüsse israelischer
Zivilisten im Westjordanland. Bezelem, die israelische Menschenrechtsgruppe,
hat im selben Zeitraum gar 32 durch Siedlerhand getötete Palästinenser
registriert. Es fällt dem Geheimdienst ungleich schwerer, in jüdische
Extremistenkreise in den Siedlungen einzudringen, als palästinensische
Terrorzellen zu knacken. Praktische und rechtliche Mittel des Schin Beth,
der Polizei und des Militärs gegen israelische Bürger in den besetzten
Gebieten sind wesentlich schwächer als jene, die gegen Palästinenser zum
Einsatz kommen.
Wut und Rachegelüste herrschen in allen rund 150 Siedlungen im Westjordanland
und Gaza-Streifen. In den letzten drei Jahren sind Dutzende von Siedlern bei
palästinensischen Anschlägen umgekommen. Vor allem in der Patriarchenstadt
Hebron, wo 500 militante Juden inmitten von 120.000 Muslimen leben, ist
Siedlergewalt gegen Palästinenser und ihr Eigentum an der Tagesordnung.
Der grenzenlose Hass begann lange vor dieser Intifadarunde. Extremstes Beispiel
war im Februar 1994 Baruch Goldsteins Moscheen-Massaker: der jüdische
Siedlerarzt erschoss 29 betende Männer in der Ibrahims-Moschee. Obwohl der
Rabin-Attentäter Jigal Amir aus Herzlija im Zentrum Israels stammte, konnten
Mitwisser-und Helferspuren in Siedlungen verfolgt werden. Amirs Tat wurde
von militanten Siedlerrabbinern theologisch verteidigt und in gewissen
Siedlerkreisen mit wohlwollendem Verständnis kommentiert.
Schon im Herbst 1995 wurden in Israel Stimmen laut, die vor der Neuorganisation
eines rechtsradikalen jüdischen Untergrundes warnten. Mehr als zwanzig Jahre
ist es her, dass Israel einer organisierten jüdischen Terrorgruppe
gegenüberstand. Im Juni 1980 mussten dem Bürgermeister der Westuferstadt
Nablus, Bassam Schaka, beide Beine amputiert werden und sein Amtskollege
Karim Chalaf in Ramallah verlor einen Fuß: beide fielen Bombenterror zum
Opfer, der sich auf palästinensische Märkte ausdehnte. Dahinter stand
Aufhetzung durch den radikalen Rabbiner Meir Kahane, der 1987 selbst einem
Anschlag zum Opfer fiel.
1984 wurde die Terrorzelle extremistischer Juden ausgehoben, kurz bevor sie den
Nahen Osten durch einen gewaltigen Sprengstoffanschlag auf die
Al-Aksa-Moschee in Flammen setzen konnte. Sie wurden zu hohen
Freiheitsstrafen verurteilt, wenige Jahre später jedoch alle begnadigt.
Obwohl alle neun bisher Verhafteten aus Siedlungen stammen, Söhne bekannter
Rabbiner oder jüngere Brüder von Siedlerführern sind, hörte man aus der
Siedlergemeinschaft bisher nur halbherzige Verurteilungen der Idee von
jüdischer Rache an Palästinensern. Nun sieht man sich in Israel der Gefahr
gegenüber, dass jüdische Anarchisten den Friedensprozess sowie Recht und
Ordnung bedrohen.
taz Nr. 7141 vom 27.8.2003, Seite 11, 144 TAZ-Bericht ANNE
PONGER
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31-02-2003 |