Wässrige Reden:
Zur Regierungskrise in Israel
Innenministerium bestätigt massive
Bevorzugung der Siedler
Wie lange sich die "Regierung der nationalen
Einheit" unter Ministerpräsident Ariel Scharon noch halten kann ist
ungewiss. Im Zentralkomitee der Arbeitspartei (Awodah) wurde zum
Wochenanfang mit mit großer Mehrheit beschlossen bei der Abstimmung
am Mittwoch gegen den vorliegenden Haushaltsentwurf zu stimmen,
nachdem sich Scharon auf keine Kürzungen im Siedlungsetat einlassen
will.
Die Awodah fordert, die Zuwendungen für die
jüdischen Siedlungen in den Gebieten der Westbank und im
Gazastreifen um mindestens 150 Millionen Euro zu kürzen um
stattdessen die immer weiter verarmenden Städte in Israel (u.a. die
Ajaroth Pituach des Negew) zu unterstützen.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Ministerposten
des Vorsitzenden der rechtsgerichteten National-Religiösen Partei
(MaFDaL) Efi Ejtam. Die Arbeitspartei fordert dessen Rücktritt,
nachdem er den Vorsitzenden der Awodah als Feigling bezeichnet hat,
der jüdische Siedlungen räumen lasse um sich bei Israels Feinden
einzuschmeicheln.
Gleichzeitig steht im Likud die Entscheidung über
den Parteivorsitz an. Gegen Ariel Scharon will Benjamin Netanjahu
kandidieren. Zur Eröffnung des Likud-Parteitags kommentiert Yaron
London in der Tageszeitung Jedioth achronoth: Sharon ist ein
langweiliger Redner. Das ist gut. Wir haben genug von
charismatischen Rednern. Seine Rede bei der Eröffnung war wässrig.
Das ist schlecht. Er redet selten in der Öffentlichkeit, und er
hätte diese wichtige Gelegenheit nützen sollen, um etwas über seine
Politik zu sagen. Doch die Botschaft war nur, dass man den
palästinensischen Terror vernichten müsse. Nun ist ein Teil der
Delegierten überzeugt, dass Bibi Netanjahu das besser machen würde
als er. Die Rufe nach dem Messias (Bibi) wurden immer lauter, als
Sharon einen einzigen Satz sagte, der zumindest pädagogische
Bedeutung hatte: ‘Nicht alle unsere Träume werden wahr werden.’
Derweil saß Netanjahu, der große Traumverkäufer,
in der ersten Reihe und lauerte auf Ariks Niederlage. Sharon sagte
kein Wort über das Hauptproblem der Israelis: den Lebensunterhalt.
Kein Wort über den Haushaltsentwurf, die Arbeitslosigkeit, das Elend
der kleinen Gewerbetreibenden, den zusammenbrechenden Mittelstand.
Kein Wort über die palästinensischen Bürger Israels, die sich immer
weiter vom Staat entfernen.
Die Parteistatuten zwangen ihn, den Parteitag zu
Beginn des Wahljahrs stattfinden zu lassen. Wenn er sich dezidiert
zu irgendeiner anstehenden Frage geäußert hätte, wäre zu befürchten
gewesen, dass in der daraus resultierenden ideologischen
Auseinandersetzung sein Rivale ihm überlegen gewesen wäre. In einer
Woche finden die Wahlen zum Zentralkomitee des Likud statt. Auch
wenn dabei voraussichtlich keine schicksalsschweren Fragen erörtert
werden, so stehen doch einige wichtige Entscheidungen an, die das
Funktionieren einer demokratischen Partei betreffen.
Worüber sie nicht reden werden
Im Zentralkomitee des Likud wird man mit
Sicherheit nicht über die vom Innenministerium (dem man weiß Gott
keine linken pazifistischen Neigungen unterschieben kann)
veröffentlichte Nachricht reden, dass nämlich die Staatsausgaben für
die jüdischen Einwohner der besetzten Gebiete und der Golanhöhen
beträchtlich höher sind als diejenigen für die israelischen
Normalbürger. Die Friedensbewegung Gush Shalom, der man sehr wohl
linksgerichtete Positionen nachsagen kann, hat auf diese Tatsache
seit Jahren immer wieder aufmerksam gemacht. "Die Tendenz der
Siedlerbevorzugung ist noch aus dem letzten Jahrzehnt übernommen.
Die Menschen in den Randgebieten, in Slumstädten und arabischen
Siedlungen werden benachteiligt, während die Siedlungen jenseits der
Grünen Linie (also außerhalb Israels1967
blühen“, meint Yaron London.
"Solange Israel gigantische Summen für
Militäraktionen, den Schutz der Siedlungen und die Mobilisierung von
Reservisten ausgeben muss, gibt es kein Geld für
Arbeitslosenunterstützung. So lange wir kämpfen, zahlen wir. Die
Regierung muss der Öffentlichkeit den Spiegel vorhalten und sie
zwischen der Fortsetzung der Besatzung und dem Verzicht auf die
Gebiete jenseits der Grenze von 1967 und Wirtschaftswachstum wählen
lassen", schrieb auch Michal Aharoni in M'ariw.
Die Aussagen des Innenministeriums (von der
sefardisch-orthodoxen SchaS-Partei verwaltet) bestätigen frühere
Aussagen von Prof. Zvi Eckstein, früher Leiter des
Wirtschaftsinstituts der Tel Aviv Universität, der im Sommer
deutlich machte dass ein Siedler im Gazastreifen den Staat 17 Mal so
viel wie ein Einwohner von Ramat-Gan kostet. Jeder Siedler kostet
den Staat eine halbe Million NIS pro Jahr, meinte schon vor Jahren
Gush Shalom. Die Zahlen sind inzwischen gestiegen, würden sie auch
heute stimmen, dann wären dies bei ca. 200.000 Personen in Judah und
Samaria immerhin 100 Milliarden NIS (25 Milliarden Euro).
Jeder Mensch in Israel wird also mit mindestens 16.700 NIS jährlich
zugunsten der Westbank-Siedlungen belastet. Für eine Familie mit
zwei Kindern sind dies ungefähr 50.000 NIS.
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dg /
hagalil.com
28-10-02 |