Was haben wir dort überhaupt zu suchen?
Das Ethos von Nezarim
Nach dem palästinensischen Angriff auf Nezarim, bei
dem drei Armeeangehörige getötet worden waren, melden sich Politiker zu
Wort, die eine Evakuierung der Siedlung im Gazastreifen verlangen.
Die israelische Armee sprengte am Sonntag drei
palästinensische Hochhäuser in Reichweite der Siedlung.
Wohnungsbauminister Effie Eitam, Vorsitzender der Nationalreligiösen
Partei, forderte die Verstärkung der Siedlung Nezarim. Man dürfe die
Palästinenser nicht im Glauben lassen, sie hätten durch Gewalt etwas
erreicht. Tommi Lapid, Vorsitzender der Schinuj-Partei, erklärte im
Kabinett, es sei widersinnig, die 60 in Nezarim lebenden Familien durch
ein ganzes Bataillon abzusichern und dabei das Leben der Soldaten zu
gefährden. Laut Lapid besteht in Israel eine breite Ablehnung des
Verbleibens israelischer Bürger in dieser isolierten Siedlung. Die
Meinung der Mehrheit dürfe nicht einfach ignoriert werden.
In einem Leitartikel kommentiert Jedioth achronoth: Das Gerede über eine
Räumung von Nezarim zum jetzigen Zeitpunkt ist pure Zeitverschwendung,
denn derartiges wird sich in der nächsten Zeit sicherlich nicht
ereignen, schon gar nicht wegen des letzten Anschlags. Scharon und der
Verteidigungsminister haben das Ethos von Nezarim zwar nicht erfunden,
aber mit ihren Taten und Worten kräftigen sie jeden Tag das Ethos vom
"Stalingrad in Nezzarim". Aus ihrer Sicht werden wir dort bis zur
letzten Kugel kämpfen. Jedoch, was heute noch als Hartnäckigkeit gilt,
als entschlossene Politik, wird morgen als Dummheit gelten.
Das Gaza-Jericho
Abkommen
Das ist wahrscheinlich unser Schicksal. In all den
Jahren unserer Existenz geben wir uns solchen Dummheiten hin. Um dies zu
verdeutlichen, genügt es, an den Spruch zu erinnern: "Lieber
Sharm-El-Sheich ohne Frieden, als Frieden ohne Sharm-El-Sheich". Danach
saßen wir 18 Jahre im Libanon, und heute sitzen wir in Nezarim.
Natürlich wird Nezarim letzten Endes geräumt werden. Es stört jedes
Abkommen und wir brauchen es überhaupt nicht. Es gibt dort kein Öl, es
wird nicht in den Bibel erwähnt und es ist kein strategisch wichtiger
Ort.
Man muss nicht auf Anschläge warten, um über Nezarim zu verhandeln.
Nezarim muss im Rahmen eines Interimabkommen zwischen uns und der
Palästinensischen Autonomiebehörde geräumt werden. Die Gelegenheit zu
einem solchen Abkommen gibt es jetzt, und sie darf nicht verpasst
werden. Es entstand die recht seltene Situation, dass die drei
Hauptdarsteller- Präsident Bush, MP Sharon und Abu-Ala- einen breiteren
gemeinsamen Nenner haben als es den Anschein hat. Alle drei haben sich
in der einen oder andern Form zur Gründung eines Palästinenserstaats mit
beschränkten Autoritäten und temporären Grenzen bereit erklärt.Die
Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen beziehen sich auf den Zeitplan.
Wenn sie sich jedoch über das Prinzip einig sind, dann kann sicherlich
ein Kompromiss bezüglich des Zeitplans erzielt werden. Man muss nur
anfangen zu sprechen.
Israel hat heute ein erklärtes Interesse an einem Interimabkommen denn
bis zu den Wahlen in den USA kann es dafür Preise gewinnen, die es
später nicht mehr erhalten wird. Nach den Wahlen in den USA könnte sich
das großzügige Verhalten der Amerikaner völlig verändern. Vor allem,
weil ja nicht fest steht, wer Präsident sein wird.
Das palästinensische Interesse ist klar: ein Interimabkommen würde ihnen
Unabhängigkeit verleihen. Zwar in temporären Grenzen, jedoch
Unabhängigkeit. In internen Gesprächen sagt Abu-Ala, er könne von Bush
und Sharon im Moment keinen Finalstatus erhalten. Deshalb ist ein gutes
Interimabkommen besser als nichts oder ein Andauern der Gewalt und der
Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft.
Präsident Bush könnte sich kein besseres "Geschenk" vorstellen, als eine
israelisch-palästinensische Übereinkunft über ein Interimabkommen kurz
vor den Wahlen in den USA. Eine Zeremonie auf dem Rasen vor dem Weißen
Haus, die "ganz zufällig" am zweiten Jahrestag der Nahost-Vision Bushs
stattfinden würde, würde ihm sicherlich nicht schaden.
Ein Interimabkommen ist also durchaus möglich. Man muss nur guten Willen
und Mut investieren und anfangen. Und wenn sich das Abkommen dann
abzeichnet wird man feststellen, dass auf Nezarim - und seinesgleichen -
verzichtet werden kann. Und eines Tages werden wir dann wie schon in
ähnlichen Fällen fragen: "Was hatten wir dort überhaupt zu suchen?"
hagalil.com
29-10-2003 |