Scharons zweite Front
Der Ministerpräsident kämpft um die Gunst des
verstimmten Koalitionspartners
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Bei der Abstimmung über die langfristige
Wiederbesetzung palästinensischer Autonomiegebiete hatten 25Minister der
israelischen Regierung dafür gestimmt und nur einer dagegen –
Außenminister Schimon Peres. Während der Debatte über die
Militäroperation „Entschlossener Weg“ hatte Peres die Wiederbesetzung
der palästinensischen Autonomiegebiete als „diplomatisches Desaster“
gegeißelt und – wie stets – mit Rücktritt gedroht. Peres, der sich
zusammen mit Palästinenser-Präsident Jassir Arafat den
Friedensnobelpreis teilt, sieht durch die erneute Besetzung sein
Lebenswerk gefährdet: den politischen Ausgleich mit den Palästinensern.
Unterstützung erhofft sich der wieder einmal im Regierungskabinett
isolierte Außenminister von US-Präsident George W. Bush, der in seiner
bereits mehrmals verschobenen programmatischen Nahost-Rede die Bildung
eines vorläufigen palästinensischen Staates befürworten wird – auf eben
jenem Gebiet, das Israels Truppen seit sieben Tagen besetzt halten.
Peres erhofft sich von einem palästinensischen Staat die Aussicht auf
eine „andere Zukunft“.
Premierminister Ariel Scharon erklärte nach israelischen Medienberichten
während der Kabinettssitzung am Wochenende, er werde einen Rückzug der
Arbeitspartei „Awoda“ und von Peres nicht zulassen: „Wir brauchen Dich,
Schimon“, soll Scharon gesagt haben. Doch die Unzufriedenheit der
Minister aus der Arbeitspartei nimmt zu, und schon werden Termine für
vorgezogene Wahlen noch in diesem Jahr genannt, sollte die „Awoda“ aus
der Koalition ausscheiden.
Die stellvertretende Verteidigungsministerin Dalia Rabin-Pelesoff, Tochter
des 1995 ermordeten Premiers Jitzchak Rabin, kritisierte dieser Tage
unverhohlen die Regierungspolitik Scharons, die rein militärisch auf die
Welle von palästinensischen Selbstmord-Anschlägen reagiere: Der
Friedensvertrag von Oslo, den ihr Vater 1995 gemeinsam mit Arafat
unterzeichnet hatte, existiere nicht mehr. Obwohl sie Arafat für die
seit 21 Monaten andauernde Intifada verantwortlich macht, sieht sie in
der Regierung Scharons ein Vakuum an politischen Ideen. Scharon dürfe
nicht nur in rein militärischen Kategorien denken, sondern müsse den
Palästinensern „endlich auch etwas anbieten“, einen vorläufigen Staat
etwa sowie die Evakuierung jüdischer Siedlungen im Westjordanland und im
Gaza-Streifen. In der Wochenzeitung Die Zeit deutete Rabin-Pelosoff
vorige Woche an, ihr schwebe bereits ein Datum für den Auszug der
Arbeitspartei „Awoda“ vor.
Diffus ist die Rolle von Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser. In
den Medien macht er zuletzt widersprüchliche Aussagen – und begründete
dies damit, dass er als Verteidigungsminister Befehle an die
Armee-Führung erteilen müsse, die er als Vorsitzender der Arbeitspartei
nicht unbedingt mittrage. Mal rechtfertigt Ben-Elieser die
Wiederbesetzung der Autonomiegebiete unter Hinweis auf die Infrastruktur
palästinensischer Terroristen. Dann behauptet er, er stimme der
Wiederbesetzung nicht zu – weil sie letztlich künftige
Selbstmord-Attentate provoziere.
Thorsten
Schmitz / SZ vom 25.06.2002 / Ressort:
Nachrichten
haGalil onLine 25-06-2002 |