Zwangsferien:
Israels Schulen streiken gegen Netanjahus
Sparmaßnahmen
Von Thorsten Schmitz
Einen Tag vor Silvester, das inzwischen auch in
Israel ausgiebig gefeiert wird, sind 1,7 Millionen Schüler mit einer
für sie guten Nachricht aufgewacht: Bis auf Sonderschulen blieben
fast alle Schulen zu, und womöglich wird das auch in den kommenden
Tagen so bleiben. Die Schüler also können nach der Silvesterparty
ausnahmsweise ausschlafen, denn eigentlich ist der Neujahrstag in
Israel ein normaler Arbeitstag – das jüdische Neujahr findet nicht
am 31. Dezember statt, sondern stets im September oder Oktober.
Ursache des Streiks: Die Kommunalverwaltungen sind
in den Ausstand getreten. Weil Finanzminister Benjamin Netanjahu die
wegen der Intifada darnieder liegende Wirtschaft ankurbeln will und
alle Haushaltsbudgets drastischen Sparmaßnahmen unterwirft, soll
auch der Bildungs- und Erziehungssektor mit einem geringeren Etat
zurechtkommen. Das Erziehungsbudget, das von den Kommunen verwaltet
wird, soll um 550 Millionen Schekel (100 Millionen Euro) gekürzt
werden. Die Kommunen finanzieren mit dem Etat Schulbusse,
Hausmeister, Verwaltungsangestellte, Reinigungspersonal und Wächter.
An dem derzeit laufenden Streik, der Millionen von
Eltern mitten in der Woche vor logistische Probleme stellt und den
Schülern wenige Tage nach der unterrichtsfreien Chanukka-Woche
erneut Ferien beschert, sind die Lehrer ausnahmsweise nicht
beteiligt – obwohl auch ihre Zahl und ihr Einkommen verringert
werden soll. Weil aber ohne Wächter, die Taschen und verdächtige
Personen an den Eingängen von Schulen und Kindergärten
kontrollieren, dem Gesetz zufolge kein Unterricht stattfinden kann,
dürfen Israels Kinder zu Hause bleiben.
Der unbefristete Ausstand strapaziert die Geduld
der Israelis um ein Weiteres. Bereits seit September befindet sich
der öffentliche Dienst im Ausnahmezustand, Streiks lähmen den
bürokratischen Alltag. Der mächtige Gewerkschaftsdachverband
"Histadrut" befindet sich im Namen seiner Mitglieder im Kampf gegen
Netanjahu und dessen Sparmaßnahmen, die den Verteidigungshaushalt
und jenen für den Unterhalt der jüdischen Siedlungen in
Westjordanland und Gaza-Streifen weitgehend verschonen. Tausende
Israelis etwa, deren Reisepässe abgelaufen sind, können das Land
nicht verlassen, weil sich die Einwohnermeldeämter im Ausstand
befinden. Führerscheine werden nicht erneuert, Anträge auf
Arbeitslosenhilfe nicht bearbeitet, Grundstücksverkäufe nicht
ratifiziert. Bei der Telefonauskunft "Bezeq" erhält man derzeit nur
Notrufnummern, immer mal wieder streiken die Zollbeamten auf dem
einzigen internationalen Flughafen und kontrollieren peinlich genau
jede Tasche und jede Tüte der Reisenden. Mancher Israel-Besucher
stand deshalb nach der Ankunft bis zu vier Stunden in einer schier
endlosen Schlange.
Das Mitleid der Israelis mit den Angestellten des
öffentlichen Dienstes ist gering. Umso höher liegen die
Popularitätswerte für Netanjahu, der es wagt, die Pfründe der
Angestellten zu kappen. Insofern läuft Netanjahus Wahlkampf bereits
auf Hochtouren: Der frühere Außenminister und Premierminister möchte
Regierungschef Ariel Scharon spätestens 2007 beerben.
hagalil.com
31-12-03 |