Arafats Schuld, Sharons Verantwortung
Kommentar von Yoel Marcus
Haaretz, 07.06.2002
Die Terrorwarnungen, die Selbstmordanschläge, der Terror in Bevölkerungszentren.
Es gibt Schrecken, an die man sich nicht gewöhnt. Es gibt Dinge, die kein Staat
lange tolerieren kann. Es spielt keine Rolle, wer die Verantwortung für diesen
oder jenen Anschlag übernimmt, ob es nun Islamischer Dschihad oder Tansim ist -
dieses Blutvergießen ist Arafats Schuld.
Im Nachhinein muss man zugeben, dass Sharon mit seiner Analyse von Arafats
Charakter recht hatte (immerhin sind die beiden alte Bekannte). Er hatte recht,
als er sagte, dass Arafats Wort nichts gilt und dass er kein Partner für ein
Abkommen sein kann. Es stimmt, dass Arafat hier und da einen besonders
mörderischen Anschlag verurteilt hat. Er tat dies wohl, um sich selbst vor
Israels Vergeltungsschlägen oder vor internationaler Kritik, die im schaden
könnte, zu schützen. Doch bis jetzt hat er nichts getan, was man vom Führer
eines werdenden Staates erwartet, nicht einmal, als er auf der Höhe seiner Macht
in den Gebieten der PA stand. Er hat keine eindeutigen Anweisungen gegeben –mit
Unterstützung all der Kräfte, die er aufbieten kann-, um die Anschläge zu
stoppen. Wenn Arafat den Terror den Verhandlungen vorzieht, so sind dies
schlechte Nachrichten. Und wenn er den Terror beenden will, es ihm jedoch nicht
länger möglich ist, dies zu tun, dann sind das auch schlechte Nachrichten. Wie
man es auch betrachtet: Sharon lag mit seiner Aussage über Arafats Irrelevanz
richtig. Der ranghohe Führer kann nicht einmal eine kümmerliche Auszeit nutzen,
um zu prüfen, ob Sharons Versprechen hinsichtlich eines Friedens mit
"schmerzhaften Konzessionen" ernst gemeint ist. Stattdessen bietet er Sharon die
beste Entschuldigung der Welt, nicht einmal eine halbe Siedlung räumen zu
müssen. All die Reden über "Reformen" sind "Schwachsinn", um einen ranghohen
Offizier zu zitieren, wenn Arafat den Terror nicht unter Kontrolle bringen will
oder kann.
Sharon, der auch kein Heiliger ist, begann die Idee zu verkaufen, Reformen in
der PA müssten mit der Beseitigung Arafats beginnen. Doch auch wenn Arafat eine
Plage ist, von der nichts im Koran geschrieben steht, zögert man doch damit, ihn
zu entfernen. Israel möchte ganz sicher nicht in seine Liquidierung verwickelt
werden. Und so stecken die arabischen Länder der Region im Schraubstock fest,
weil Sharon eine Situation geschaffen hat, in der Israel auf alle Fälle der Mord
an Arafat angehängt werden wird, selbst wenn dieser aufgrund eines
Herzstillstandes in seinem eigenen Bett stirbt. Dies erklärt den gestrigen
eiligen Rückzug aus Arafats Hauptquartier, nachdem die Armee dort aufgrund des
Terroranschlages am Mittwoch eingedrungen war.
Seit den Tagen des Golfkrieges mögen Präsident Bush und seine Mitarbeiter Arafat
nicht. Doch freundlich gesinnte arabische Länder und die EU bestehen darauf,
dass Arafat in jedes Übereinkommen involviert werden muss, selbst als
symbolische Gestalt oder als Führer eines Staates auf Rädern. Es ist ja nicht
Arafat, der an oberster Stelle von Bushs nationaler Agenda steht, sondern der
Irak. Was unser Thema betrifft, ist die US-Regierung in zwei Seiten gespalten:
da ist Powells Seite, die auf eine Prinzipienerklärung drängt, die einem auf den
Grenzen von 1967 basierenden Abkommen folgen soll. Und da ist die Einstellung
der Garde von Papa Bush, Cheney und Rumsfeld, die sagt: Zur Hölle mit den
Arabern und Europäern, wir schaffen den Irak auch ohne sie. Der US-Kongress
steht bezüglich des Kampfes gegen den Terror vollkommen hinter Israel. Im
November werden Kongresswahlen stattfinden und die Stimmen der Juden sind
wichtiger denn je. Diese Prinzipienerklärung, die dazu dienen soll, den Konflikt
in unserer Region beizulegen, ist also offensichtlich etwas, in das Bush
–strampelnd und schreiend- hineingezogen wird.
Sharon reist nicht nach Washington, um ein Ultimatum vorgesetzt zu bekommen,
sondern er reist als jemand, dessen Meinung wichtig ist, um nach den
Konsultationen der arabischen Partner aus der Region, den endgültigen Standpunkt
des Präsidenten zu formen. Wenn man das gemeinsame Interesse an der
Terrorbekämpfung betrachtet, ist es keine gute Zeit für die Bush-Regierung,
Druck auf Israel auszuüben. Doch weil Arafat in Washington derzeit ein Tabu ist,
ist es für Sharon besonders wichtig, an seine Verantwortung, die er als
Premierminister und als problematischer Freund trägt, zu denken und mit einer
Menge Zuckerbrot zu diesem Treffen ins Weiße Haus zu gehen, damit Bush das
Gefühl bekommt, Sharon hat noch etwas anderes zu bieten als das Mantra der
Beseitigung Arafats. Sharon wird eine Speisekarte –eigentlich eine Preisliste-
präsentieren müssen, die alles auflistet, was er bereit ist aufzugeben und was
er dafür haben möchte, angefangen vom Räumen von Siedlungen bis zur Markierung
der Grenze, wie er sie sich vorstellt. Bush muss das Gefühl bekommen, dass
Sharon ihm etwas bieten kann, das das Eis bricht. Sharon kann es sich nicht
leisten, als Schwarzmaler oder als Golda Me’ir in Hosen betitelt zu werden.
Sicherheitszäune, Operation Schutzwall Nr. 2, 3 und 4, erneute Besetzung von
Gaza? Dies sind nicht die Wege, die zu unserem Heil führen.
haGalil onLine 08-06-2002 |