Robin Hood im Zentrum der Macht
Die israelische Schas-Partei sieht sich
als Anwalt der sephardischen Juden – und bestimmt zugleich Wohl und Wehe
der Regierung
Eli Jischai hielt in der Nacht zu Dienstag
eine flammende Rede. Nach einer mehrstündigen Debatte im israelischen
Parlament über die Abstimmung eines wirtschaftlichen Notplans von
Regierungschef Ariel Scharon erklärte der Vorsitzende der Schas-Partei
gegen Mitternacht: „Wir trachten nicht nach einem Ministeramt oder einer
Volvo- Limousine. Wenn wir entlassen werden, weil wir uns für diejenigen
im Lande einsetzen, die nichts zu essen haben, dann ehrt uns das.“
Scharons Budgetkürzung wegen der durch die Intifada ausgelösten
Mehrbelastung im Verteidigungshaushalt sieht auch Einsparungen in der
Alimentierung von Schas- Anhängern vor. Das Kindergeld für Religiöse,
die nicht in der Armee dienen, soll um 24 Prozent gekürzt werden.
Die Schas-Partei und ihr spirituelles
Oberhaupt Rabbiner Ovadia Josef gerieren sich als Robin Hood von Israel.
Ihre Klientel, die der Partei in den vergangenen zehn Jahren zu enormem
Machtzuwachs verholfen hat, sind sephardische Juden aus arabischen
Staaten wie dem Libanon, dem Jemen, dem Irak. Sie fühlen sich von dem
europäisch geprägten, askenasischen Establishment an den Rand der
Gesellschaft gedrängt und empfinden die Schas-Partei als ein Sprachrohr
der Entrechteten und Benachteiligten.
Schas (übersetzt etwa: „sephardische Hüter
der Thora“) ist eine erst Anfang der achtziger Jahre gegründete Partei
ultra-orthodoxer Juden, denen der frühere Premier Jitzchak Rabin
erstmals zu Regierungsämtern verhalf. Seitdem konnten die stets in
schwarze Anzüge und weiße Hemden gekleideten Partei- Männer (Frauen
dürfen keine politischen Ämter ausfüllen) ihr Gewicht als „die wahre
Macht im Staate“ ausbauen – so jedenfalls wird Schas übereinstimmend von
israelischen Medien bezeichnet. Schas gibt sich als Stimme der
Außenseiter und ist doch immer im Zentrum der Macht. Dabei macht sie
keinen Unterschied in der Ausrichtung der Regierungen: Schas war Teil
der Koalition unter Ehud Barak, dem Premier der Arbeitspartei, und sie
nahm das Angebot des Likud-Chefs Scharon an, seiner Großen Koalition
beizutreten. Mit ihren 17 Abgeordneten verfügt Schas über Wohl und Wehe
der israelischen Regierungen – und hat in den letzten Jahren mehrere
Koalitionen zu Fall gebracht, indem Ovadia Josef die Minister zum
Rücktritt aufforderte. Ob Schas nun tatsächlich der Regierung Scharons
fern bleibt, ist noch nicht sicher. Die von Scharon verfügten
Entlassungen werden erst am heutigen Mittwoch gegen Mitternacht wirksam;
bis dahin führen Likud-Emissäre Verhandlungen mit den Abtrünnigen.
Seit Beginn der Intifada hat sich die Schas
mit politischen Äußerungen weitestgehend zurückgehalten. Bisher galt die
Partei als gemäßigte, den Friedensprozess befürwortende Partei. Sie
folgt damit ihrer Leitlinie des „pikuach nevesch“, was bedeutet, dass
die Schas Menschenleben einen höheren Wert beimisst als dem Festhalten
an Territorium. Erst seit der Welle palästinensischer
Selbstmordanschläge äußerte Parteichef Jischai seinen Abscheu über
Palästinenserpräsident Jassir Arafat und empfahl dessen Gang ins Exil.
Schas geht es in erster Linie darum, durch Regierungsbeteiligung die
Finanzierung eines über das ganze Land verbreiteten Netzes sozialer
Einrichtungen zu garantieren. Schas betreibt eigene Kindergärten, Horte
und Schulen. In ihnen wird Religion gelehrt und nicht etwa Englisch.
Thorsten
Schmitz / SZ vom 22.05.2002 / Ressort:
Nachrichten
haGalil onLine 17-06-2002 |