Die Samaritaner:
Unter sich am Berg Garizim
Der Nahost-Konflikt betrifft auch
die kleinste religiöse Minderheit der Region: die Samaritaner
Von Thomas Schmidinger
Erschienen im
Aufbau,
18. März 2004
Die Samaritaner, die heute rund 650 Menschen
zählen, leben in zwei Gemeinden in Holon bei Tel Aviv und in Kiryat
Luza am Berg Garizim bei Nablus. Die Überreste der Bevölkerung des
Nordreiches, die nach der Rückkehr der jüdischen Bevölkerung aus dem
Babylonischen Exil von den Rückkehrern nicht mehr als jüdisch
wahrgenommen wurden, hielten teilweise an frühen Formen des
Jahwe-Glaubens fest, die noch die Höhlen- und Bergheiligtümer früher
semitischer Religionen kannten. Folglich verweigerten sich die
späteren Samaritaner auch der Kultzentralisierung in Jerusalem. Bis
heute ist für sie der Berg Garizim bei Nablus der heiligste Ort, an
dem etwa die Pessach-Feiern beider Gemeinden gemeinsam begangen
werden. Die Samaritaner,
die als heilige Bücher lediglich die Thora, nicht aber spätere
Schriften der Bibel anerkennen und weiterhin die althebräische,
heute als samaritanisch bezeichnete Schrift benutzen, sind jedoch
nicht einfach eine alte, versteinerte Form des Judentums. Sie haben
sich ebenso dynamisch weiterentwickelt wie das Judentum, nur eben in
eine teilweise andere Richtung und haben dabei auch ältere religiöse
Formen bewahrt. Einige Aspekte der formellen Glaubenspraxis, wie das
Ausziehen der Schuhe vor dem Betreten der mit Teppichen ausgelegten
Synagogen, haben sie scheinbar im Laufe der Jahrhunderte sogar vom
Islam übernommen. Die
Samaritaner, die vor zweitausend Jahren rund eine Million Menschen
zählten, schrumpften im Laufe der Jahrhunderte durch Verfolgung und
Assimilation auf wenige Gemeinden in Syrien, Ägypten und Palästina
zusammen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts verließen die letzten
ihre Gemeinden in Damaskus, Kairo und Gaza, um sich zu den
Samaritanern von Nablus zu gesellen. Umgeben von islamischen
Arabern, sprachen sie dort Arabisch und glichen sich in ihren
Lebensgewohnheiten den sie umgebenden Muslimen an. Allerdings lebten
sie zugleich in einem isolierten Viertel. in das sie einerseits von
der muslimischen Mehrheit gedrängt wurden, in dem sie aber auch in
durchaus selbstgewählter Isolation ihre eigenen religiösen und
kulturellen Traditionen aufrecht erhalten konnten.
Aber selbst in Nablus sank die Bevölkerungszahl der
strikt endogamen Gruppe um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf
unter 150 Personen. Von da an wuchs die samaritanische Bevölkerung
jedoch wieder. In den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts
zogen erstmals wieder Samaritaner aus Nablus weg und ließen sich bei
Holon, heute ein Vorort von Tel Aviv, nieder. Aus der kleinen
Gruppe, die schon vor der Staatsgründung Israels in einer jüdischen
Umgebung lebte, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine zweite
samaritanische Gemeinde, die in einem eigenen Viertel am Rande
Holons lebt und heute über zwei Synagogen, eine kleine Bibliothek
und eine viersprachige Zeitschrift verfügt. "Aleph Beth" erscheint
in samaritanischem Aramäisch, Arabisch, Hebräisch und Englisch.
Diese Vielsprachigkeit spiegelt die hybriden
Identitäten dieser kleinen samaritanischen Gesellschaft wider, deren
knappe Mehrheit mittlerweile schon in Holon lebt. Die beiden
Gemeinden waren von 1948 bis 1967 durch die israelisch-jordanische
Waffenstillstandslinie voneinander getrennt und liefen seither immer
wieder Gefahr, zwischen Israelis und Palästinensern zerrieben zu
werden. Dabei versuchten die
Samaritaner, mit beiden Seiten gut auszukommen. Der erst vor einem
Monat verstorbene letzte Hohe Priester der Samaritaner, Shalom Ben
Amram (83), der als traditionelles religiöses Oberhaupt beider
Gemeinden in Nablus residierte, war als persönlicher Freund Arafats
seit 1996 sogar Abgeordneter im Palästinensischen Parlament, wo ein
Sitz für die Samaritaner reserviert ist. Ob auch sein Nachfolger im
Palästinensischen Parlament sitzen wird, wird sich weisen müssen.
Die Gemeinde in Holon hingegen lernte rasch
Hebräisch, die junge Generation spricht meist nur mehr sehr
gebrochen Arabisch. Sie sind israelische Staatsbürger, dienen in der
Armee, arbeiten in modernen Berufen und unterscheiden sich im
Alltagsleben kaum von anderen Israelis. Die wesentlich dynamischere
Gemeinde in Holon ist es auch, die eine neue inellektuelle Elite
neben den alten religiösen Autoritäten hervorgebracht hat. Neben der
Zeitschrift "Aleph Beth" werden von den Samaritanern auch die neuen
Medien genutzt. Osher Sassoni betreibt von Holon aus gemeinsam mit
einem amerikanischen Freund eine Website, die über Religion,
Geschichte und Gesellschaft der kleinen Religionsgemeinschaft
informiert. Die Kontakte
zwischen den beiden Gemeinschaften beschränken sich heute, nach
Beginn des Terrors der "Al-Aqsa-Intifada", wieder auf gelegentliche
Besuche der Samaritaner von Holon bei ihren Verwandten und
umgekehrt. Die Samaritaner von Nablus hatten das alte samaritanische
Viertel in der Stadt schon während der ersten Intifada in den
Achtzigerjahren verlassen. Seither steht auch die dortige Synagoge
leer. Die kleine Gemeinschaft,
die sich weder als Palästinenser noch als Israelis sah, hatte nicht
zu einer nationalen Mobilisierung gepasst und litt bereits in der
ersten Intifada unter Anfeindungen, Ausgrenzung und gelegentlichen
Angriffen. Insbesondere die Stärkung islamistischer Gruppen
innerhalb der palästinensischen Gesellschaft gefährdete die
Samaritaner ebenso wie Christen und säkularisierte Muslime. So
flüchteten die dreihundert Samaritaner von Nablus nach Kiryat Luza,
einer von der Stadt getrennten Siedlung an den Hängen ihres heiligen
Berges, des Garizim. Sah es
während des Friedensprozesses auch für die Samaritaner nach einer
Entspannung aus, so hat die neuerliche Gewalt seit September 2000
dieser Entwicklung ein Ende bereitet. Seither bleiben die
Samaritaner auf ihrer Siedlung am Berg Garizim lieber unter sich.
Insbesondere ihre Verwandten aus Holon meiden die Stadt, wenn sie zu
den Pessachfeiern oder zu einem Besuch am Berg Garizim weilen.
Nablus, das zu einem der Zentren der "Al-Aqsa-Intifada" geworden
ist, ist auch für Samaritaner kein sicherer Ort mehr. Sind die
älteren Samaritaner aus Nablus den Palästinensern in der Stadt noch
meist persönlich bekannt und dadurch relativ geschützt, fürchten
insbesondere Jüngere aus Holon, mit Israel identifiziert zu werden
und damit bei einem Besuch der Stadt ins Visier palästinensischer
Nationalisten oder Islamisten zu geraten.
Tatsächlich litten die Samaritaner am Berg Garizim in
den letzten Jahren sogar mehrfach an Übergriffen von verschiedenen
Seiten. Samaritaner, welche die Siedlung mit dem Auto verließen,
wurden immer wieder Opfer von Verwechslungen und in der Folge
entweder von Palästinensern oder der I.D.F., oder wie im Falle von
Joseph Cohen, sogar von beiden beschossen. Im Oktober 2002
attackierten rechtsreligiöse jüdische Siedler der Siedlung Brakha
Samaritaner auf der Straße zwischen Nablus und ihrer Siedlung am
Berg Garizim mit Steinen und verprügelten Frauen aus der Gemeinde.
Die kleine Minderheit läuft damit Gefahr, in den
Mühlen des israelisch-palästinensischen Konfliktes zermahlen zu
werden. Während ältere Samaritaner aus Holon immer noch die Hoffnung
hegen, dass sich die Lage nach einem Abzug der israelischen Armee
aus der Westbank beruhigen könnte und sie wieder an ihr Leben als
tolerierte Minderheit in einer arabisch-islamischen Umgebung
anknüpfen können, ziehen es viele Jüngere auch auf der Siedlung am
Berg Garizim mittlerweile vor, zur Vorsicht auch Hebräisch zu
lernen.
Auf die Frage, ob sie denn Angst um
die samaritanische Gemeinde bei Nablus hätten, würde sich die
israelische Armee von dort eines Tages zurückziehen, antworten mir
Samaritaner aus der Gemeinde in Holon durchaus unterschiedlich. Die
Mehrheit ist jedoch der Meinung, dass die israelische Anwesenheit in
Nablus beim derzeitigen Stand der Dinge der einzig wirksame Schutz
für die dortige Gemeinde darstellt. Ein älterer Samaritaner aus
Holon, der selbst noch Arabisch spricht, meint dazu: "Wenn man mir
von einigen Jahren diese Frage gestellt hätte, hätte ich auf jeden
Fall gesagt, dass die Samaritaner dort so gut integriert sind, dass
ihnen nichts geschehen würde, jetzt wär ich mir da nicht mehr so
sicher. Die Palästinenser würden sie wahrscheinlich nicht gleich
alle massakrieren, aber die Situation würde sicher nicht leichter
werden." Trotz dieser
bedrohlichen Perspektive müssen aber auch die Samaritaner aus Nablus
irgendwie mit dem Konflikt leben. Einigen von ihnen gelang es sogar,
eine neue ökonomische Nische zu finden. Da sie als einzige relativ
problemlos zwischen den Gebieten der PA und Israel hin- und
herfahren können, sind sie in den Handel und den Gütertransport
zwischen Nablus und Israel eingestiegen.
Beide Gemeinden sehen sich jedoch einem gewissen
Bekenntnisdruck ausgesetzt, sich zwischen Israelis und
Palästinensern zu entscheiden. In Zeiten der Eskalation nationaler
Konflikte scheint der Spielraum für andere kollektive Identitäten
geringer zu werden. Auch die Jungen unter ihnen wollen jedoch nicht
einfach in ihrer jeweiligen Umgebung aufgehen, sondern weiter
Samaritaner bleiben. Eine junge Samaritanerin aus Holon: "Wir sind
eben weder Palästinenser noch jüdische Israelis, sondern Samaritaner
und das wollen wir bleiben."
Die Website der Samaritaner aus Holon lautet
http://www.the-samaritans.com/
hagalil.com
24-03-2004 |