Interview mit Silvan Schalom:
"Arafat muss nicht getötet werden"
Der israelische Außenminister
über den Friedensprozess, die Rolle des Palästinenserführers und das
Verhältnis zu den Europäern
Silvan Schalom ist 45 Jahre alt und damit der
jüngste Außenminister, den Israel je hatte. Die Berufung des
früheren, glücklosen Finanzministers überraschte, da Schalom über
kaum außenpolitische Erfahrung verfügt. Der Likud-Politiker, dem
Ambitionen auf den Posten des Premierministers nachgesagt werden,
hat eine ambivalente Haltung zum Friedensprozess: Zwar ist er strikt
gegen einen Palästinenserstaat, international will er aber möglichst
einen guten Eindruck machen.
Welche Freunde außer den USA besitzt Israel?
Deutschland ist ein guter Freund, besonders
Außenminister Joschka Fischer. Wir haben nicht immer dieselbe
Meinung, aber so ist das unter Freunden: Wir stimmen darin überein,
dass wir in manchen Dingen nicht übereinstimmen.
Zum Beispiel?
Deutschland ist der Ansicht, es müsse den Kontakt
zu Palästinenserpräsident Jassir Arafat aufrecht erhalten. Da sind
wir ganz anderer Meinung. Ansonsten aber stellen wir fest, dass
Deutschland eine ausgewogenere Haltung entwickelt hat zum
Nahost-Konflikt.
Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten?
Die Palästinenser und besonders Arafat sind seit
Jahrzehnten sehr beliebt in der EU. In all den Jahren haben mir
EU-Staatschefs immer wieder erklärt, ein Foto mit Arafat würde die
Popularität in ihrer Bevölkerung steigern. In den vergangenen Jahren
war die EU so pro-palästinensisch und anti-israelisch gepolt, dass
sie keine gewichtige Rolle im Friedensprozess spielen konnte. Israel
hat daraufhin die EU als Partner völlig aufgegeben. Ich versuche
nun, die falschen Annahmen beider Seiten zu beseitigen, wonach die
EU ohne Israel leben könne und Israel ohne die EU.
Im Sommer haben Sie von der EU eine
"ausgewogenere" Haltung verlangt. Ist die in Sicht?
Ich wünschte, EU-Vertreter in den UN würden nicht
immer automatisch für Resolutionen arabischer Staaten stimmen, aber
auch hier stelle ich mit Genugtuung fest, dass sich etwa Deutschland
und Großbritannien bei der jüngsten Abstimmung im Sicherheitsrat
über eine von Syrien eingebrachte Resolution der Stimme enthielten.
Vor einem Monat hat Ihr Kabinett beschlossen,
Arafat zu "entfernen". Das hat seine Popularität nur gesteigert.
Das ist eine Sinnestäuschung. Seit zweieinhalb
Jahren verlange ich Arafats Ausweisung. Er glaubt ausschließlich an
die Wirksamkeit von Kampf, Gewalt, Terrorismus und träumt von einem
großen Palästina zwischen Mittelmeer bis Jordanien ohne Israel. Es
gibt keinen Frieden, solange Arafat die Macht behält. Er führt uns
alle an der Nase herum. Er stimmt einem Premier zu, aber behält
gleichzeitig die Hoheit über die Sicherheitskräfte.
Wo hätten Sie Arafat denn gern? In Tunesien?
Oder lieber tot?
Egal wo, nur weg aus der Region. Arafat muss nicht
getötet werden.
Weshalb weigern sich die palästinensischen
Premierminister Abbas und Kurei, die Terrorgruppen aufzulösen?
Sie behaupten, sie hätten Angst vor einem
Bürgerkrieg, dabei fürchten sie nur Arafat. Wenn Arafat entmachtet
wäre, dann würden sie sich trauen.
Hören Sie von der Regierung in Washington seit
dem Anschlag auf den US-Konvoi im Gaza-Streifen eine vorsichtige
Zustimmung zur Ausweisung Arafats?
Nach dem Anschlag sagte mir der amerikanische
Außenminister Colin Powell, dass Jassir Arafat für die Tötung der
drei Sicherheitsbeamten verantwortlich sei, weil er die
Terrorgruppen nicht auflöse. Die USA verstehen besser als jeder
andere, dass Arafat nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems
ist.
Wenn Israel Beweise hat für Arafats Verwicklung
in Terrorismus, weshalb nehmen Sie ihn dann nicht fest und stellen
ihn vor Gericht?
Bis jetzt haben wir es unterlassen, weil ihn das
noch populärer machen würde. Wir sollten ihn aus den
Palästinensergebieten entfernen.
Sind Sie bereit, mit Kurei zusammenzuarbeiten?
Wenn Kurei als verlängerter Arm Arafats amtiert,
wonach es den Anschein hat, werden wir selbstverständlich nicht mit
ihm zusammenarbeiten.
Sie sind gegen die Bildung eines
Palästinenserstaates. Warum?
Die Zeit hierfür ist noch nicht reif. Wie viele
andere im Likud halte ich die Bildung eines Palästinenserstaates für
falsch. Dennoch habe ich für den Friedensfahrplan gestimmt . . .
. . . der explizit für das Jahr 2005 einen
Palästinenserstaat anstrebt. . .
. . .aber auch nur dann, wenn die Palästinenser
ihre Verpflichtungen einlösen, also Gewalt und Hetze gegen Israel
stoppen, illegale Waffen einsammeln und die Terrorgruppen auflösen.
Wenn die Palästinenser ihre Verpflichtungen
eingehen, wird Israel den Friedensfahrplan ebenfalls umsetzen, den
Ausbau der Siedlungen stoppen?
Wir haben bereits Verpflichtungen umgesetzt und
Truppen aus Teilen des Gaza-Streifens und aus Bethlehem abgezogen.
Außerdem haben wir Arbeitserlaubnisse erteilt, Außenposten evakuiert
und Gefangene freigelassen, obwohl das noch nicht einmal vom
Friedensfahrplan vorgeschrieben wird.
Die Frage war, ob Israel einen Baustopp in
jüdischen Siedlungen veranlassen würde.
Es gibt ein natürliches Wachstum, auf das wir
reagieren müssen. Wenn in einer Siedlung mehr Kinder geboren werden,
müssen dort entsprechend mehr Kindergärten gebaut werden. Wir können
es Ein- und Zweijährigen nicht zumuten, dass der nächste
Kindergarten 80 Kilometer entfernt liegt.
Auf den jüngsten palästinensischen
Terroranschlag in Haifa mit 21 Toten hat Israel mit der
Bombardierung eines angeblichen palästinensischen Waffenlagers in
Syrien reagiert. Wird Israel Syrien erneut angreifen?
Sie erwarten von mir ja wohl nicht, dass ich jetzt
ein Signal an die Syrer aussprechen werde, dass wir sie noch einmal
angreifen werden.
Was halten Sie von der so genannten "Genfer
Initiative", dem Entwurf für ein Ende des Nahost-Konflikts, den der
frühere Justizminister Jossi Beilin gemeinsam mit palästinensischen
Politikern ausgearbeitet hat?
Alle, die den Entwurf kritisieren, sollten besser
schweigen, weil sie mit jeder Äußerung dem virtuellen Projekt mehr
Aufmerksamkeit verschaffen, als es verdient. Wir könnten genauso gut
eine Übereinkunft mit der Hamas erzielen und das Land verlassen.
Die Palästinenserin, die sich in dem Restaurant
in Haifa in die Luft gesprengt hat, kam aus Dschenin und hat
offenbar den derzeit von Israel errichteten Sperrzaun überwinden
können.
Es wird zur Zeit noch untersucht, wie genau die
Terroristin den Zaun passieren konnte. Der Zaun soll Anschläge
verhindern. In Gaza gelingt das seit Jahren. Nicht einem einzigen
palästinensischen Terroristen ist es bisher gelungen, von Gaza
kommend einen Anschlag zu verüben. Der Zaun wird natürlich von den
Palästinensern verurteilt, weil wir ihnen ein Pfand nehmen. Bislang
haben die Palästinenser uns bei Verhandlungen stets damit erpresst,
auf ihre Forderungen einzugehen, ansonsten würden die Terrorgruppen
wieder zuschlagen. Im Gegenteil, der Zaun ist die einzige
Möglichkeit, den Friedensprozess überhaupt am Leben zu erhalten.
Die USA sind da offenbar anderer Ansicht.
Präsident George W. Bush ist über den Verlauf des Zauns, der zum
Teil weit in palästinensisches Gebiet hineinreicht, derart
unzufrieden, dass derzeit geprüft wird, für Israel lebenswichtige
Kreditbürgschaften zu kürzen.
Ich hoffe, dass sie es nicht tun werden.
Interview: Thorsten Schmitz
hagalil.com
23-10-03 |