
Das Geheimnis der ganzen Geschichte:
Beschützer mit Silberhaar
Israels Premierminister Ariel
Scharon wird 75 – in seinem Land gilt der politische Falke immer
mehr als Großvater der Nation
Von Thorsten Schmitz
Ariel Scharons Philosophie ist nicht besonders
kompliziert. Wenn Israels Premierminister sein Lebenselixier
verraten soll, pflückt er Orangen von den Bäumen seiner Farm in der
nördlichen Negev-Wüste und sagt: "Zionismus. Unser Land beackern und
verteidigen." Die Liebe zur Natur ist so groß, dass Scharon jeden
Abend in seine eine Stunde von Jerusalem entfernte Schafs- und
Rinderfarm fährt.
Visionäre Töne sind von Scharon selten zu
vernehmen, ohnehin redet er lieber über die Kraft der Natur als über
Politik. So packt Scharon seine Sicht auf den Nahost-Konflikt in
zwei Sätze: "Die Araber wollen uns Juden nicht hier haben. Das ist
das Geheimnis der ganzen Geschichte." Es ist diese Mischung aus
simpler Weltsicht und grenzenloser Liebe zum 55 Jahre jungen Israel,
die Scharons Erfolg begründet. Die Intifada der Palästinenser wird
allgemein als Versuch gewertet, den Israelis die phänomenale Heimat
streitig zu machen. Scharon steht als Garant dafür, mit aller Macht
des Militärs dagegen zu halten. Er strahlt in diesen Zeiten, in
denen ein Besuch im Cafe lebensgefährlich sein kann und sich die
Mehrheit von den Palästinensern um einen Frieden betrogen fühlt,
Schutz und Sicherheit aus. Er erfüllt die Sehnsucht der Israelis
nach breitem Kreuz und silbergrauem Haar. Seine wesentlich jüngeren
Vorgänger Netanjahu und Barak wurden als politisch naiv betrachtet,
Scharon dagegen hat in allen Kriegen mitgekämpft und das politische
Israel geprägt wie kaum ein anderer. Zusammen mit Schimon Peres ist
er der letzte amtierende Politiker, der mit Gründervater David
Ben-Gurion zusammengearbeitet hat.
Scharon ist verwoben mit den Wurzeln Israels. Am
heutigen Mittwoch wird der Großvater dreier Enkel (und ganz Israels)
75 Jahre alt. Es gibt Grund zu feiern. Im Januar erzielte sein
national-konservativer Likud 38 Mandate, durch die Aufnahme der
russischen Einwandererpartei "Israel b'Alija" verfügt er nun über
satte 40. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels gelang einem
Premierminister die Wiederwahl. Gemessen an dem, was Scharon
versprochen und tatsächlich umgesetzt hat, hätte er verlieren
müssen. Er hatte weder Ruhe noch Sicherheit gebracht und bei aller
Konzentration auf militärische Operationen zur Ausrottung der
palästinensischen Terror-Infrastruktur die Wirtschaft außer Acht
gelassen. Die Arbeitslosenquote schnellte unter Scharons erster
Ägide auf fast elf Prozent, Geschäfte schließen, Konkurse nehmen zu.
Hinzu kommen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen
gegen die gesamte Familie wegen unlauterer Wahlkampffinanzierung.
Dennoch gelang Scharon das Kunststück, eine Mehrheit der Israelis
davon zu überzeugen, er werde sie aus dem Schlamassel ziehen. Der
1928 als Ariel Scheinermann in einem Dorf nahe Tel Aviv geborene
Witwer steht im Zenit seiner politischen Karriere. Dabei hatte ihm
eine israelische Kommission nach dem Libanon-Krieg 1982
Mitverantwortung für das Massaker in den palästinensischen
Flüchtlingslagern Sabra und Schatila gegeben, weshalb er nie wieder
das Amt des Verteidigungsministers ausüben durfte. Das Verdikt
schadete Scharons Karriere nur kurz. Bis zur ersten Wahl zum
Premierminister 2001 stärkte er als Kabinettsmitglied mehrerer
Regierungen seine Machtbasis innerhalb des Likud, forcierte den
jüdischen Siedlungsbau und schaltete sogar seinen Erzrivalen
Benjamin Netanjahu aus.
Im hohen Alter von 75 Jahren und gesundheitlich
nicht angeschlagen, erfüllt sich Scharon seinen Traum, die Geschicke
des Landes zu lenken. Das Image vom Bulldozer und "Araberfresser"
versucht er loszuwerden. In Israel ist ihm das bereits gelungen. Nun
möchte Scharon noch den Rest der Welt überzeugen.

hagalil.com
25-07-02 |