Auf einer Straße ohne Wiederkehr:
Frühstück mit Scharon
Von Yoel Marcus, Ha'aretz, 06.02.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Die Dienstresidenz des Ministerpräsidenten, die
von außen wie eine Festung und von innen wie ein Nobelgefängnis
aussieht, versetzt Ariel Scharon in eine melancholische Stimmung.
Als ich ihn zum Frühstück traf, wählte er für sich einen Stuhl, von
dem aus er den dunklen Garten mit ein paar Bäumen darin sehen kann.
"Von hier aus kann ich wenigstens ein bisschen Grün sehen", sagte er
und fügte hinzu, es täte ihm Leid, dass wir uns nicht auf seiner
Ranch treffen konnten. Er redet über den Erdboden, über die
Landwirtschaft, über sanft ansteigende Hügel. "Ich schöpfe meine
Kraft aus den Feldern und aus der Erde und nicht aus Parties und
politischen Geschäften", sagt er.
Während unseres eineinhalbstündigen Gesprächs
finde ich einen entspannten Scharon vor, der bereit ist, sein Herz
zu öffnen, um sowohl über persönliche Dinge wie über
Angelegenheiten, die uns alle wesentlich angehen, zu reden. Er
sprach lobend über seine Söhne. Als ich bemerkte, dass er und Gilad
sich nicht ähnlich sehen, sagte er mir, er habe in seinen jungen
Jahren wie Gilad ausgesehen. "Was die Persönlichkeit angeht, so
ähnelt Gilad mir. Er ist jemand, der über Selbstbeherrschung
verfügt, und er ist ein ergebener Familienmensch. Aus seinem Haus
auf der Ranch habe ich nie gellendes Geschrei gehört. Omri ist
empfindlicher. Er ist fähig kilometerweit zu laufen, um ein paar
seltene Pflanzen zu finden."
Scharon stellt seine Söhne als erwachsene Menschen
mit unabhängigen Meinungen dar. "Sie können mich nicht mit allem,
was meine Söhne tun und nicht tun, in Verbindung bringen", sagt er.
Von hier aus gelangen wir naturgemäß zu den Themen, die ihn und den
Staat beschäftigen. Im folgenden ein kurzer, zusammenfassender
Bericht:
Über die Untersuchungen: Ich bin in keines dieser
Geschäfte verwickelt. Ich bekam und nahm nie einen Cent. Ich habe
nichts zu verbergen und ich habe der Polizei niemals Informationen
vorenthalten. Sie können mich befragen. Ich bin offen und ich werde
auch jetzt nicht anders handeln. Doch die Medien haben mich aufgrund
von böswilligen undichten Stellen im Büro des Staatsanwaltes und bei
der Polizei bereits als "schuldig" verurteilt. Das ist nicht
korrekt, doch ich begebe mich jetzt nicht auf den Kriegspfad, und
ich werde auch keinen Ärger machen. Ich habe Geduld und ich kann
warten, bis das juristische Verfahren vorbei ist. Bisher habe ich
keinen Tag von der Arbeit frei genommen, wobei mein Tag um fünf Uhr
morgens beginnt und bis ein Uhr nachts dauert. Ich kann nicht sagen,
dass es nicht hart ist, doch ich habe schon schlimmeres
durchgemacht.
Über die Möglichkeit, vom Amt suspendiert zu
werden: Für mich ist alles offen, und ich verberge nichts. Wenn eine
Anklage gegen mich erhoben wird, werde ich tun, was in solch einem
Fall getan werden muss.
Über den "Fahrplan": Der "Fahrplan" war ein guter
Plan, weil er auf unserem Ansatz basiert, Sicherheit müsse vor
Zugeständnissen kommen. Das Problem ist, dass man dieses Rezept mit
den Palästinensern nicht anwenden kann und deshalb nicht vorwärts
kommt. Wir haben nicht das kleinste Anzeichen dafür gesehen, dass
sie etwas zur Eindämmung des Terrors tun. Deshalb fährt Bush
gegenüber den Palästinensern solch eine harte Linie. Wissen Sie,
warum es bisher kein Treffen mit Abu Ala (Ahmed Kurei) gab? Weil er
keine Antwort auf den Terror hat und weil er Angst hat, ich verlasse
noch mehr palästinensische Städte, für die er dann die Verantwortung
übernehmen muss.
Über das Disengagement (die Loslösung): Die
Forderung, wir sollten Zugeständnisse machen, ohne dass die
Palästinenser etwas zur Aufhaltung des Terrors tun, ist für Israel
gefährlich. Sie schafft ein Vakuum, das nicht ewig bestehen kann.
Deshalb habe ich die Strategie des Disengagements übernommen. Das
bedeutet nicht, dass wir uns vom "Fahrplan" verabschieden. Sondern
wir werden weiterhin mit Bush's Vision in unseren Köpfen handeln.
Wir wollen es für uns jedoch einfacher machen, uns zu verteidigen.
Ich beabsichtige, den Zaun fertig zu stellen und Maßnahmen
einzuführen, die für die palästinensischen Bevölkerung so wenig wie
möglich Leid verursacht.
Über die Evakuierung von Siedlungen: Ich habe den
Befehl gegeben, die Evakuierung –Entschuldigung, Verlegung- von 17
Siedlungen im Gazastreifen mit 7.500 Bewohnern vorzubereiten. Diese
Siedlungen liegen in einer Region, in der Juden aufgrund irgendeiner
zukünftigen Vereinbarung sowieso nicht werden leben können. Es wird
nicht leicht werden, besonders dann nicht, wenn wir immer noch unter
Beschuss sind. Ein solcher Schritt muss mit amerikanischer
Koordination und Unterstützung vorgenommen werden. Wenn ich mich mit
Bush treffe, werde ich ihm klar machen, dass dies eine Weiterführung
seiner Vision ist, und ich werde mein Bestes geben, ihn dazu zu
bringen, uns bei den großen Auslagen, die diese Verlegung erfordern,
zu unterstützen – obwohl die Amerikaner uns seit 1967 gewarnt haben,
dass sie die Evakuierung der Siedlungen nicht bezahlen werden, weil
sie von Anfang an gegen den Siedlungsbau waren.
Über den Rückhalt in der Regierung: Es wird großen
Ärger geben, das ist sicher. Es wird nicht einfach werden. Die Basis
des Likud wird es mir schwer machen, doch die meisten in der Partei
werden hinter mir stehen. Die Partei "Nationale Union" droht damit,
die Regierung zu verlassen. Doch sie werden einen Fehler machen,
wenn sie nicht bleiben und die Themen, von denen sie überzeugt sind,
durchfechten. Die gegenwärtige Regierung ist die beste, um einen
solchen Schritt durchzuführen. Jede andere Regierung wird ein großes
Durcheinander bringen. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, werde
ich eine Umbildung vornehmen. Nicht, dass ich die Proteste innerhalb
des Likud nicht ernst nehme. Doch ich kann bezüglich dessen, von dem
ich denke, dass es aufgrund nationaler Perspektiven getan werden
muss, keine Änderung zulassen. Die Menschen müssen verstehen, dass
Ideologie eine Sache ist und die wirkliche Welt eine andere. – Und
was wir tun müssen, ist, für den Staat Israel eine maximale
Sicherheit zu schaffen.
Epilog: Nachdem wir unser Gespräch mit einer Tasse
Tee und Chalvah beendet hatten, ging ich mit dem Gefühl hinaus, dass
Scharon eine Straße ohne Wiederkehr betreten hat. Entweder er
marschiert vorwärts oder er wird fallen.
hagalil.com
06-02-2004 |