Presseschau:
Regierungskrise wegen Religionsministerium
Auf Antrag der säkularen Zentrumspartei Shinui hat
das israelische Kabinett am vergangenen Mittwoch mit 18 zu 3 Stimmen
der Auflösung des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten
zugestimmt. Die Nationalreligiöse Partei (NRP), die zusammen mit
Shinui und der Nationalen Union einen der Koalitionspartner der
konservativen Likud-Partei von Ariel Sharon ausmacht, will in den
kommenden Tagen über einen Austritt aus der Koalition entscheiden.
Die Auflösung des Ministeriums gehörte zu den
Voraussetzungen für den Beitritt von Shinui zur Koalition im März
2003. Nach dem Regierungsbeschluss sollen die religiösen
Rabbinergerichte einem anderen Ministerium, wahrscheinlich dem
Innenministerium, nicht aber dem Justizministerium, unterstellt
werden. Die Auflösung des Ministeriums soll zum Jahresende erfolgen.
Wie die Tageszeitung Haaretz berichtete, sagte der Vorsitzende der
Arbeitspartei Shimon Peres, seine Fraktion werde nicht in die
Regierungskoalition eintreten, sollte die NRP tatsächlich wegen der
Entscheidung die Regierung verlassen.
"Was die Roadmap nicht geschafft hat, schaffte nun
der Beschluss, die Rabbinatsgerichte Justizminister Lapid zu
unterstellen", urteilte Nadav Eyal in der Zeitung Maariv, "die NRP
beschoss, aus der Regierung auszutreten. Nach den Feiertagen wird
die Parteizentrale zusammentreffen, um den Beschluss zu bestätigen,
und in der Zwischenzeit wird versucht, eine Lösung zu finden."
"Blitz und Donner erschütterten gestern den blauen
und sorglosen Himmel der Sharon-Regierung. Ein völlig unbekanntes,
jedoch bedrohliches Wort drang in die Familie der "young and
restless" Sharon-Minister ein: "Koalitionskrise". Und warum zog
plötzlich diese dunkle Wolke auf? Nicht wegen der militärischen
Hilflosigkeit und der 19 Toten in Haifa, auch nicht wegen des
politischen Stillstands und der totalen Tatenlosigkeit, und erst gar
nicht wegen des moralischen Verfalls, der die Ermittlungen gegen MP
Sharon begleitet. Nein, die Koalitionskrise trat wegen eines
schicksalhaften Themas auf, im Vergleich zu dem Anschläge und
Rechtsstaat völlig verblassen: welches Ministerium wird sich mit den
zwei Hauptrabbinern beschäftigen.
Diese Krise ist ein Armutszeugnis für die Werte der
zwei Parteien, die an ihr beteiligt sind- NRP und Shinui. Die NRP
ist wegen der Roadmap nicht aus der Regierung ausgetreten, auch
nicht wegen der Erklärung, die die Gründung eines
Palästinenserstaats unterstützte (!). Shinui hat nicht im Traum
daran gedacht, die Regierung wegen der Verhöre Sharons zu verlassen,
die früher die Giftdrüsen dieser Partei in vollen Schwung gebracht
hätten. Und wofür wären diese beiden Parteien dann doch bereit
auszutreten? Zwei Rabbiner.
Shinui hat diesen Kampf aus einem einfachen Grund
gewonnen: sie hat 15 Mandate und die NRP nur 5. Sharon musste
nachgeben. "Das ist für mich ein prinzipielles Thema", sagte Tommy
Lapid gestern und fügte hinzu, Sharon habe sich "ausgezeichnet"
verhalten.
Früher, vor einem Jahrzehnt, regierte in Israel eine
Regierung, die in eine ähnliche Koalitionskrise geraten war (damals
spielte Shas die Rolle der NRP, und Meretz die von Shinui). Meretz
gab damals nach und Shulamit Aloni wurde aus dem
Erziehungsministerium entfernt. Die Regierung blieb intakt. Aloni
und Meretz taten dies für ihren obersten Wert, den Frieden. Gestern
waren weder die NRP noch Shinui bereit nachzugeben. Wofür auch."
In Haaretz schrieb Shachar Ilan: "Es ist ziemlich
schwer zu verstehen, warum gerade der nicht wirklich wichtige
Beschluss, die Rabbinatsgerichte dem Justizministerium zu
unterstellen, im Mittelpunkt der politischen Diskussion stand. In
dem Regierungsbeschluss bezüglich der Auflösung des
Religionsministeriums erscheint ein weitaus revolutionärerer
Paragraph,nämlich dass bis zum Jahresende der Etat der Jeshivot an
das Erziehungsministerium übergeben wird, sodass es viel schwerer
werden wird, fiktive Schüler anzugeben. Es ist auch anzunehmen, dass
Jeshivot mit nur fünf Schülern kein Budget erhalten werden, wie es
bisher der Fall war.
Und warum gibt es Grund zur Hoffnung, dass das
Religionsministerium diesmal tatsächlich aufgelöst werden wird? Weil
die Initiative diesmal vom Finanzministerium ausgeht, und da die
Auslösung unmittelbar dadurch zum Ausdruck kommen wird, dass der
Etat des Religionsministeriums im Staatsetat 2004 auf alle anderen
Ministerien verteilt wird.
Schon seit neun Monaten kürzt die Sharon-Lapid
Regierung die religiösen Etats, ermöglicht Schabbat-Schändungen in
den Einkaufszentren und überhaupt, tritt öffentlich alle jüdischen
Heiligtümer mit den Füßen, und keines dieser fürchterlichen Dinge
führte zum Ausbruch eines großen Religionskriegs. Und dieser Krieg
brach nun gestern wegen einer eigentlich unwichtigen,
verwaltungstechnischen Maßnahme aus, nämlich die Rabbinatsgerichte
dem Justizministerium zu unterstellen, eine Maßnahme, die von den
früheren Hauptrabbinern sogar befürwortet wurde.
Der Hauptgrund für die Aufregung ist die Tatsache,
dass der Führer von Shinui, Josef Lapid, Justizminister ist. Die
Tatsache, dass Lapid selbst keinerlei Einfluss auf die gerichtlichen
Beschlüsse haben wird, ist dabei unwichtig. "Das ist eine
beispiellose Demütigung", sagte der ehemalige Sprecher von Shas
dazu. In anderen Worten, es handelt sich hier um eine symbolische
Angelegenheit.
Aber vielleicht handelte es sich gestern auch nur um
den Startschuss für die Lokalwahlen. Für Shinui und die religiösen
Parteien sind diese Wahlen eine Kraftprobe. Beide Seiten haben
großes Interesse, diese Krise so stark wie möglich anzuheizen. Eli
Ishai von Shas hat nächste Woche eine Kundgebung im Sakker-Park in
Jerusalem. Die Eröffnung der religiösen Revolution, wie Lapid sie
erklärt hat, wird Ishai ein großes Publikum sichern."
hagalil.com
12-10-2003 |