Stehaufmännchen auf Ego-Trip:
Regierungschef gesucht
Das politische System in Israel hat Selbstmord
begangen, kommentierte Eitan Haber das Ende der ersten Regierung
Scharons, die Ideologien sind verpufft und zum Hohn und Spott
geworden: "Unsere Politiker sind erbarmungswürdige Jammergestalten,
ein blasser Abklatsch der Führer, die das jüdische Volk und der
Staat Israel einst hatten. Einige dieser Figuren waren wir ja - Gott
sei Dank - schon losgeworden, doch plötzlich hopsen sie wieder wie
Stehaufmännchen in die politische Arena.
Trotzdem kann der kommende Wahlkampf im Zeichen
einer äußerst bedeutungsvollen, richtungweisenden Entscheidung in
der israelischen Politik stehen, was Frieden und Sicherheit,
besetzte Gebiete und die Räumung der Siedlungen betrifft. Etwa
gleichzeitig mit dem Wahlkampf werden amerikanische Piloten Bomben
auf Bagdad abwerfen und gleich danach werden die USA vom neuen
Regierungschef eine Entscheidung darüber verlangen, ob er das
amerikanische Konzept der Gründung eines palästinensischen Staates
und der Räumung der Gebiete akzeptiert. Er wird keine andere Wahl
haben: Wer in der Kaplanstraße Nummer drei in Jerusalem sitzt, weiß,
wie sehr wir von Amerika abhängen. Dieses zeitliche Zusammentreffen
kann in den nächsten Monaten für Israel kritisch sein, und daher ist
die Frage, wer hier demnächst regieren wird, wichtiger denn je. Und
umso wichtiger ist es der Privatisierung der Politik und dem
Siegeszugs der Ego-Instinkte entgegenzutreten".
Unterdessen fährt der "Zauberer" Bibi Netanjahu
immer heftigere Attacken gegen Ariel Scharon, in dessen Regierung er
gerade sein Come Back auf der politischen Bühne feiert. Vor
Delegierten des Likud greift er Scharon als einen Mann an, der einen
Palästinastaat, zumindest im Prinzip und in eng begrenztem
Territorium, sich eventuell vorzustellen bereit sei. Bei ihm, Bibi,
hätten solche Gedanken noch nicht einmal in der alleruntersten
Schublade Platz. Scharon habe es versäumt Arafat ein für alle Mal
aus dem Lande zu schaffen. Arafats Volk breche nun zusammen, während
das Volk Israels sich als ein starkes Volk erweise, das aber auch
eine starke Führung brauche. Diese habe Scharon dem Volk nicht
gegeben. Er Netanjahu kenne dieses Volk, er wisse um seine
ungeheuere Stärke, und er weiss auch was dieses Volk verdient,
nämlich - Bibi Netanjahu!
Bravo, rufen die Anhänger Netanjahus,
minutenlanger Applaus, standing Ovations. Netanjahu wendet sich
danach dem Thema Wirtschaftskrise zu. Auf einer Wahlkampfreise nach
Ofakim habe eine israelische Frau, eine Mutter und Buchhalterin, ihn
unter Tränen angefleht dem Volk zu helfen. Sie habe kein Geld ihre
Kinder zu nähren. Ihre Mutter könne sie nicht bitten, sie hungere
schon selbst. Netanjahu versichert den Delegierten er habe der Frau
geholfen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Bügermeister von
Ofakim, habe dieser zugesichert eine Stelle für die Frau zu suchen.
Genau so will er allen helfen. Er kennt die Probleme und er kennt
die Lösung. Israel habe Kraft, es brauche aber eine neue und starke
Führung, Israel brauche ihn.
Für Scharon sieht es trotz - oder gerade wegen -
Netanjahus Rhetorik ganz gut aus. Seine Popularität steigt und der
Abstand zu Netanjahu wächst zu Scharons Gunsten. Bis zum Wahltermin
im Likud (Primaries) ist auf jeden Fall mit einer chaotischen Lage
zu rechnen, weil es den beiden Spitzenkandidaten Sharon und
Netanyahu unmöglich für sein wird am Regierungstisch harmonisch
zusammenzuarbeiten und sich gleichzeitig in der Partei bis aufs
Messer zu bekämpfen. Auch nach den Primaries, erwartet Avraham
Tirosh (M'ariw) nicht, dass einer der beiden sich dem anderen
unterordnen werde. Die Situation in der Arbeitspartei, in der drei
Kandidaten um die Führung streiten, sei aber ebenfalls kompliziert.
"Man kann nur hoffen, dass wir nicht am Ende weinen statt lachen
werden. Denn die nächsten Wahlen sind keine Persönlichkeitswahlen,
sondern Parteiwahlen. Der Sieger wird die Partei sein, der es
gelingt, eine stabile Koalition um sich zu scharen. Die Chancen
eines Wahlsiegs der Arbeitspartei sind gering, doch sie könnte
immerhin dafür sorgen, dass der Likud keine Rechtsregierung mit
einer arbeitsfähigen Mehrheit zustandebringt. Dann blüht uns wohl
wieder eine impotente Einheitsregierung, in der einer den anderen
neutralisiert, und dann werden wir nur unter Tränen fragen: Wozu
dann das Ganze?", so Tirosh.
Am 28. Januar wird Israel zum fünften Mal in zehn
Jahren wählen. Die Kommentatoren sind durchweg davon überzeugt, dass
der Likud die Knessetwahlen mühelos gewinnen wird, vielleicht wird
eine Serie von größeren Terroranschlägen der Awodah einen
Stimmenzuwachs eintragen, bisher hat aber die Hamas immer nur die
Rechte herbei und die Linke weg gebombt. Das dürfte auch diesmal
nicht anders sein, denn für Hamas wäre nichts schlimmer als eine
israelische Regierung, die ernst macht mit dem Friedensprozess. Ein
wichtiger Faktor ist auch die "Schizophrenie" der israelischen
Wähler, die immer wieder dazu führt, dass sie für Politiker stimmen,
obwohl ihnen deren Politik ganz und gar nicht zusagt.
dg /
hagalil.com
08-11-2002 |