Neuwahlen in
Israel:
Vorwärts in die trostlose Zukunft
Die alte Regierung wird bleiben und die alten Fehler wiederholen
Von Thorsten Schmitz
Jeder fünfte Erwachsene in Israel lebt unter
der Armutsgrenze, insgesamt weit mehr als eine Million Menschen sind
arbeitslos oder verdienen Centbeträge, sind auf Staatszuschüsse
angewiesen oder auf Suppenküchen. Israel wird von einer der
gravierendsten Rezessionen seit Staatsgründung heimgesucht. Die
Regierung Scharon, die nun auf Neuwahlen Ende Januar setzt, hat in
den vergangenen anderthalb Jahren weder wirtschaftliche Notprogramme
gestartet noch hat sie es geschafft, den Palästinensern den Atem zu
nehmen für ihre sinnlose Intifada.
Stattdessen hat sie jüdische Siedlungen im
Westjordanland errichten oder erweitern lassen und beim Sparhaushalt
2003 darauf geachtet, dass die Alimentierung der Siedler und ihrer
Interessenvertretungen unangetastet bleibe. Während aus israelischen
Städten wie Lod, Bat Jam, Tiberias und Haifa Kinderarmut gemeldet
wird und aus Geldmangel Parks nicht mehr begrünt werden können,
pumpt Ariel Scharon Geld und Wasser nach Judäa und Samaria, wie das
Westjordanland in Anlehnung an die Bibel bezeichnet wird. Den
Siedlern soll es an nichts fehlen, ihnen gilt Scharons Bewunderung.
Bei der Intifada erliegt der Regierungschef
demselben Irrglauben wie die Palästinenser – er verspricht, mit
Gewalt Ruhe und Sicherheit zu schaffen. Seine visionslose Politik
hat Israel geschadet. Wir schreiben das Jahr 2002 und der 74 Jahre
alte Scharon propagiert die kostspielige Kolonialisierung eines
fremden Volkes, die, so der Schriftsteller Amos Oz und der frühere
Justizminister Jossi Beilin, Israels Moral untergräbt. Insofern war
der Auszug der Arbeitspartei aus der von rückständigen Ansichten
getriebenen rechts- religiösen Koalition überfällig.
In drei Monaten stehen Israel nun erneut Wahlen
ins Haus. Der teure Wahlkampf wird sich auf die katastrophale
innenpolitische Lage konzentrieren, denn das Volk ist der
Wahlversprechen müde, die nächste Regierung werde die Intifada
beenden. Ein optimistisch stimmender Blick in die Zukunft
beinhaltete einen Sieg der Arbeitspartei, die dann mit der ebenfalls
im Februar neu gewählten palästinensischen Führung einen friedlichen
Ausweg aus der Intifada sucht bei beidseitiger
Konzessionsbereitschaft. Doch dazu wird es nicht kommen.
Auf der einen Seite besteht die Gefahr, dass
Palästinenserpräsident Jassir Arafat wiedergewählt wird. Den weit
reichenden Offerten des Arbeitspartei-Premiers Ehud Barak hatte
Arafat keine Worte, sondern Terror entgegenzusetzen. Auf der anderen
Seite droht der Arbeitspartei eine herbe Wahlniederlage, so sehr hat
ihre Koalitionsbeteiligung am Ruf gekratzt. Neuwahlen sind nun
beschlossen worden, doch die kommende Regierung wird die alte sein.
Jüngsten Umfragen zufolge käme der rechts-nationale Likud sogar auf
bis zu 40 Sitze im Parlament, derzeit verfügt er über 19. Die
nächste Regierung wird also erneut vom Likud geführt, ob von Scharon
als Premierminister oder Benjamin Netanjahu sei dahingestellt.
Beide werden sich in den kommenden Wochen auf
einen Modus vivendi einigen, die Zielvorgaben sind schon jetzt klar:
Netanjahu, der das Außenministerium ab sofort für Wahlkampfzwecke
missbrauchen wird, und seine Zwei-Drittel-Mehrheit im Zentralkomitee
des Likud favorisieren die Zwangsexilierung von
Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Auch soll in den kommenden
Jahren kein palästinensischer Staat ausgerufen werden, da dies von
den Palästinensern als Belohnung für ihre Intifada interpretiert
werden könnte.
Die USA betrachten die Krise in Israel einerseits
mit Argwohn, da an eine Umsetzung ihres gerade vorgestellten
Nahost-Plans zur Schaffung eines Staats Palästina nicht zu denken
ist. Andererseits kommt die Beschäftigung Israels mit sich selbst
den USA am Vorabend ihres Militärschlags gegen das irakische Regime
gerade recht. Amerika will Israel davon abhalten, bei einem Angriff
Bagdads zurückzuschlagen und so die Auseinandersetzung anzuheizen.
hagalil.com
06-11-02 |