Scharon von Vorwürfen freigesprochen:
Blick nach vorn im Zorn
Israels Premier entgeht einer
Korruptionsanklage, wird jedoch weiter von einer Regierungskrise
bedroht
Von Thorsten Schmitz
Der israelische Generalstaatsanwalt Menachem
Masus wird Regierungschef Ariel Scharon verschonen und nicht unter
Anklage stellen. Das berichten alle Medien, sodass sich der Himmel
über dem Premier wieder aufklärt, nachdem zu Beginn des Jahres die
Lage noch düster erschien. Als im Januar der israelische
Geschäftsmann David Appel wegen Bestechung Scharons angeklagt worden
war, stand für Wochen seine Zukunft auf der Kippe.
Die Vorwürfe waren ungeheuerlich: Scharon habe
sich Ende der neunziger Jahre als Außenminister bei der griechischen
Regierung für ein Tourismusprojekt Appels verwandt. Dieser wiederum
hatte Scharons Sohn Gilad als Berater eingestellt, obwohl der über
keinerlei einschlägige Erfahrung verfügte. Aus dem Hotelkomplex mit
Casino auf einer griechischen Insel ist zwar nie etwas geworden,
Gilad indes hatte für seine "Beratertätigkeit" mehrere
hunderttausend Dollar erhalten. Ende dieser Woche, wenn Masus
offiziell die Ermittlungen wegen mangelnder Beweise einstellen wird,
dürfte Scharon aber nur einen Rüffel für "unethisches Gebahren"
erhalten.
Das blaue Auge wird er gern in Kauf nehmen.
Schließlich hätte er, wenn Anklage erhoben worden wäre, zurücktreten
müssen. Gefreut hätten sich darüber auch die rund 50000 Radikalen
unter den insgesamt 235000 Siedlern, die sich von Scharon im Stich
gelassen fühlen. Nun aber wird er Regierungschef bleiben und sein
Projekt vom Rückzug aus dem Gaza-Streifen vorantreiben können.
Das Verdikt des Generalstaatsanwalts, der
seltsamerweise gemäß israelischem Gesetz der Regierung auch in
Rechtsfragen als Berater zur Verfügung steht, verschafft Scharon
auch in seiner innenpolitischen Zwangslage etwas Bewegungsfreiheit.
Nach der Entlassung zweier Minister der "Nationalen Union", dem
Auszug der gesamten Fraktion der rechts-nationalen Partei aus der
Koalition und dem Rücktritt zweier Minister der siedlerfreundlichen
"Nationalreligiösen Partei" (NRP) verfügt Scharon über keine
Mehrheit mehr im israelischen Parlament. Die Knesset besteht aus 120
Abgeordneten, Scharons Koalition gehören derzeit nur mehr 59 an.
Bei jeder Abstimmung, zumal bei der Verabschiedung
des Haushalts nach der Sommerpause, wird Scharon im Parlament auf
Stimmen anderer Parteien angewiesen sein - und auf deren Gunst. In
der Vergangenheit sind israelische Regierungschefs stets früher oder
später bei dem Versuch gescheitert, Mehrheiten zusammenzuzimmern.
Auf der Kabinettssitzung am Sonntag hatte Scharon seine verbliebenen
Koalitionspartner darauf verpflichtet, bei allen anstehenden
Abstimmungen im Parlament anwesend und nicht etwa auf Dienstreise im
Ausland zu sein.
Indes wird sich der Regierungschef fürs Erste bei
Abstimmungen auf das Netz der Arbeitspartei verlassen können. Deren
interimistischer Vorsitzender Schimon Peres hatte sich seit dem
Auseinanderbrechen von Scharons Koalition mit Aussagen über einen
Eintritt in die Regierung zurückgehalten, um das Urteil des
Generalstaatsanwalts abzuwarten. Die Arbeitspartei wollte nicht
gemeinsame Sache machen mit einem wegen Korruption angeklagten
Regierungschef. Doch ob ein (erneuter) Eintritt in Scharons
Regierung unmittelbar bevorsteht, bleibt zumindest ungewiss.
Finanzminister Benjamin Netanjahu, der sich nur
schwer hat überreden lassen zur Zustimmung zum Gaza-Rückzug, besteht
darauf, dass die Arbeitspartei seinen drastischen Sparkurs mitträgt.
Die jedoch kritisiert die Bevorteilung der Reichen auf Kosten der
ärmeren Bevölkerungsschichten. Zudem würde Peres auf das Amt des
Außenministers pochen, das er bereits mehrmals innegehabt hat und
das bislang sehr leidenschaftslos von Silwan Schalom ausgefüllt
wird. Scharon steht, obwohl nun nicht gegen ihn Anklage erhoben
werden soll, ein heißer Sommer bevor.
hagalil.com
14-06-04 |