Streit um den Schabbat:
Scharons Koalition droht an Religionsfragen zu
zerbrechen
Thorsten Schmitz
Israels Regierungschef Ariel Scharon will die
Debatte über den Friedensfahrplan des Nahostquartetts so lange wie
möglich hinauszögern. Denn der Plan, der für 2005 einen
eigenständigen Palästinenserstaat vorsieht, birgt Sprengstoff.
Scharons Koalitionspartner wie etwa die siedlerfreundliche
„National-Religiöse Partei“ (NRP) sowie die rechte „Nationale Union“
sperren sich gegen einen Palästinenserstaat. Sollten Israels 15
Änderungswünsche am Plan nicht berücksichtigt werden, erklärte
Büroleiter Dov Weissglas, „werden wir den Verhandlungstisch
verlassen“. Verzögerungen in der Umsetzung des Friedensfahrplanes
sind also programmiert.
Der Erhalt von Scharons Koalition ist jedoch schon
jetzt von einem Streit gefährdet: jenem um die Religion. Während der
Konflikt um den Friedensfahrplan noch in weiter Ferne liegt, zanken
sich seit Tagen Scharons Koalitionspartner über die Frage, wie viel
Weltlichkeit der jüdische Staat verträgt. Schon drohen die rechten
Regierungspartner mit Boykott und Bruch.
Auslöser hierfür ist die aufmüpfige, säkular-liberale
„Schinui“-Partei, die das Justiz- und Innenministerium führt. Gegen
den Willen der NRP hat sie bereits die Auflösung des nutzlosen
Religionsministeriums eingeleitet, das lediglich als Instrument der
Ultra-Orthodoxen verschrien war. Angefangen hatte der
Koalitionsstreit über das richtige Judesein mit einem Dekret von
Handelsminister Ehud Olmert, der Scharons national-konservativem
Likud angehört. Am Gesetz vorbei hatte Olmert den Stopp der
Schabbat-Kontrolleure verfügt, die bislang landesweit ausgeschwärmt
waren, um mit Stichproben sicherzustellen, dass am Schabbat in
Restaurants und Tankstellen keine Juden arbeiteten.
Generalstaatsanwalt Eliakim Rubinstein hat inzwischen Olmert
gemaßregelt, er könne nicht einfach eigenhändig eine geltende
Gesetzesregelung aushebeln. Daraufhin entschied sich die NRP für
einen Verbleib in der Koalition. Vorerst, denn schon droht weiteres
Ungemach. Innenminister Avraham Poraz kündigte dieser Tage an, dass
er zum bevorstehenden Pessach-Fest keine „Matze-Polizei“ entsenden
werde. Das von Poraz von der ultra-orthodoxen Schas- Partei geführte
Ministerium hatte an Pessach Kontrolleure vor allem im Großraum des
unorthodox-hedonistischen Tel Aviv losgeschickt, wo schon seit
mehreren Jahren Restaurants Brot zum Essen reichen. In Erinnerung an
den Auszug aus Ägypten, bei dem den Hebräern keine Zeit blieb,
Hefeteig für Brote anzusetzen, soll es an Pessach in Israel (selbst
in Hotels) kein Brot, nur ungesäuerte geschmacklose Matze geben.
Die Ultra-Orthodoxen sowie die NRP drohen nun mit einem
„Religionskrieg“. Sie sehen den jüdischen Charakter des Staates
gefährdet. Die Schinui dagegen löst peu-à-peu ihr Wahlversprechen
ein, die „Ungerechtigkeit der Schabbat-Regeln“ zu beenden. Sie
wollen auch dafür kämpfen, dass öffentliche Verkehrsmittel an den
heiligen Samstagen fahren dürfen.
Der Trend in Israel, die starren Regeln der Religiösen zu brechen,
hat die Konsumlust befeuert. An den letzten beiden Wochenenden
öffneten zwei Shoppingmalls nahe Tel Aviv. Die Geschäftsbesitzer,
von der intifadabedingten Rezession gebeutelt, meldeten einen
Ansturm ohnegleichen – und nahmen vereinzelt Strafgebühren in Kauf.
Am kommenden Samstag wollen zwei weitere Einkaufszentren ihre
Pforten öffnen.
hagalil.com
10-03-2003 |