Nach der Knesseth-Entscheidung:
Renn, Arik, renn!
Analyse von Yoel Marcus, Ha'aretz, 27.10.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Ein ausländischer Beobachter verglich Sharons
Initiative am Dienstag mit Churchill'schem Benehmen. Über 37 Jahre
hinweg gab es in Israel keine politische Führung mit dem Mut bzw.
der Willenskraft, das Problem der Territorien zu lösen. Was als
brillanter Militärsieg begann, verwandelte sich über die Jahre in
einen Dorn im Auge des Staates, in eine offene Wunde.
Die Art von "Messianismus" –wie Sharon Menachem
Begin unter Bezugnahme auf Gush Emunim zitierte- verwandelte Israels
Bild in den Augen der Welt vom Wunder in einen brutalen Besatzer,
der Terroranschläge "verdient". Wer hätte geglaubt, dass
ausgerechnet Ariel Sharon –der die Territorien mit Siedlern und
Außenposten überzog und rechte extreme Likudführer wie Yitzchak
Shamir noch überholte- beweisen würde, dass ein Leopard seine
Flecken ändern kann?
"In meinem gesamten Leben als Soldat und als
Befehlshaber, als Minister und als Premierminister stand ich keiner
solch schweren Entscheidung gegenüber", sagte Sharon in seiner Rede,
die in die Geschichte eingehen wird. Gegenüber dem niedrigen Niveau
seiner Gegner und dem rhetorischen Rowdytum in der Knesset ragte
Sharon hervor wie Gulliver im Zwergenland.
Es werden noch Bücher geschrieben werden über die
Verwandlung Sharons. Dieser Kommentar hier handelt von einem Tag
voller Komplotte und Ultimatums an den Premierminister – ein
Nervenkrieg bis zur letzten Minute, wie ein Hitchcock-Krimi. Für den
Augenblick kann man sagen, dass die hauptsächliche Veränderung
Sharons in der Verwandlung vom Taktiker zum Strategen liegt. Als
Stratege verstand er die Grenzen der Macht, den Schaden, der uns in
der Welt entstanden ist, das demographische Risiko und –am
wichtigsten für ihn- die Gefahr des Bruchs der Beziehungen mit den
USA. Er weiß, dass im selben Ausmaß, wie Israel von Amerika
erwartet, zu seinen Zusagen gegenüber Israel zu stehen, die
Amerikaner von Israel erwarten, seine Verpflichtungen zu erfüllen.
Es war eine glänzende Idee, den Gordischen Knoten
durch die Abkoppelung von Gaza zu lösen. Der Plan befreit von
eineinhalb Millionen Palästinensern und schafft gleichzeitig einen
heimischen Präzedenzfall für den Umzug von Siedlungen. Dies ist die
Botschaft an die Öffentlichkeit im Allgemeinen und an die politische
Rechte im Besonderen: Israel muss für die dauerhafte Festlegung
seiner Grenzen einen Preis bezahlen.
Sharon ging in seinen schwierigsten Test zu einer
Zeit, als er politisch am schwächsten war und die wenigsten
möglichen Optionen hatte. Doch nichts schreckte ihn ab, weder die
Drohungen eines Bürgerkrieges, noch rabbinische Gesetze, noch die
Angst vor seiner politischen oder physischen Eliminierung. Auch das
Argument, es sei unmöglich, sich ohne die „andere Seite“ aus Gaza
zurückzuziehen, brachte ihn nicht ab. Sharon glaubt, dass sich die
„andere Seite“ in der Minute, in der wir mit dem Rückzug beginnen,
als die Empfängerseite und möglicherweise als Partner für
Verhandlungen über den Fortgang entpuppen wird. Auf seine
Anweisungen hin sind die Einrichtungen der Verteidigung bereit, die
Abkopplung auszuführen. Sie warten nun auf den Befehl.
Sharon blieb gegenüber allem Druck, dem versuchten
Parlamentsputsch und dem Ultimatum, das ihm von vier Ministern
–angeführt von Netanyahu- gestellt wurde, hart wie ein Fels. Trotz
Netanyahus Tricks lehnt Sharon ein Referendum vehement ab und
glaubt, dass er nach Ablauf des 14tägigen Ultimatums genug
Alternativen hat. Mittlerweile haben Uzi Landau und Michael Ratzon
quasi als Anzahlung ihre Entlassungsschreiben erhalten. Diese haben
sie auf Grund ihrer offenen Hetze gegen die Regierung, zu der sie
gehören, schon seit langen verdient. Netanyahu mag Sharons Führung
herausgefordert haben, doch am Dienstagabend gab die Knesset Sharon
das Mandat, seine Initiative durchzuführen. Hinsichtlich der
Umfragen, die zeigen, dass die meisten Wähler den Abkopplungsplan
unterstützen, hinsichtlich der Entscheidung, die von der Regierung
getroffen wurde und hinsichtlich der Mehrheit, die die Knesset
Sharon gab, kann man nun nur noch eines sagen: Renn, Arik, renn!
hagalil.com
27-10-2004 |