Entdeckung der Armut
Der Chef der israelischen Arbeitspartei
gibt den Robin Hood – aus eigennützigen Motiven
Von Thorsten Schmitz, sz 30-10-02
Benjamin Ben-Elieser ist von allen
israelischen Ministern der scheinheiligste. Fast 20Monate nach der
Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mit Ariel Scharons rechtsnationaler und
ultraorthodoxer Regierung entdeckt der Verteidigungsminister und Chef der
Arbeitspartei Awoda nun die Armen im Lande. Robin Hood Ben-Elieser beklagt die
soziale Ungerechtigkeit, die das am heutigen Mittwoch zu verabschiedende
Haushaltsbudget 2003 verursache. Alle Ressorts sollen empfindliche Kürzungen in
den Etats hinnehmen, um die durch die Intifada verursachten Mehrausgaben im
Verteidigungshaushalt auszugleichen. Die 200000 jüdischen Siedler im
Westjordanland aber sollen weiter alimentiert werden. Rentner, Studenten,
Sozialhilfeempfänger, kinderreiche Familien, so Ben-Elieser, litten besonders
unter den Sparbeschlüssen.
An der Kritik des Ministers ist nichts
auszusetzen. Dass die Siedler und ihre nach internationalem Recht illegalen
Behausungen vom Staat gepäppelt werden, ist auch angesichts der schweren
Wirtschaftskrise mehr als ungerecht und trägt dazu bei, die Gesellschaft zu
spalten. Dennoch ist Ben- Eliesers Drohung, gegen das Budget zu stimmen und
somit die Koalition von Premierminister Ariel Scharon zu sprengen, scheinheilig.
Die Awoda tut so, als wüsste sie erst seit gestern von der Existenz jüdischer
Siedlungen. Dabei wurden seit Scharons Amtsbeginn Dutzende Siedlungen erweitert
und Außenposten errichtet, aus denen im Laufe der Zeit reguläre Siedlungen
werden. Nie hat die Awoda mit ihrem Rücktritt aus der Koalition gedroht. Viele
jüdische Siedlungen wurden ohnehin unter Awoda-geführten Regierungen errichtet.
Gründe für einen Austritt der linken
Traditionspartei, die sich in ihrem Grundsatzprogramm für einen friedlichen, auf
diplomatischen Initiativen beruhenden Ausgleich mit den Palästinensern
ausspricht, hat es zudem in den vergangenen 20Monaten reichlich gegeben. Scharon
hat durch seine rein militärisch orientierte Strategie den von Itzchak Rabin und
Schimon Peres mit initiierten Friedensprozess von Oslo ad acta gelegt. Mit
stiller Duldung der Arbeitspartei hat er die Wiederbesetzung der
palästinensischen Autonomiegebiete vorangetrieben und durch Militäroperationen
Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde fast vollständig zerstört.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Schimon
Peres, der sich mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat den Friedensnobelpreis
teilt, als Außenminister auf internationalem Parkett der Welt zu erklären
versucht, weshalb Scharon Autonomiestädte wiederbesetzen lässt, die
Zivilbevölkerung Ausgangssperren unterwirft und Liquidationen palästinensischer
Terroristen anordnet? Ausgeführt wird der Angriff auf die Oslo-Verträge von
Verteidigungsminister Ben-Elieser, der erst jetzt die Reputation der Awoda zu
retten versucht und mit Rücktritt droht – aus eigennützigen Motiven.
Ben-Elieser will Premierminister werden und muss
dafür Parteichef bleiben. Bei den Mitte November anstehenden Awoda-Wahlen wird
er jedoch von zwei Genossen herausgefordert, denen zurzeit bessere Chancen für
den Vorsitz vorausgesagt werden. Ben-Elieser erhofft sich durch sein Aufbäumen
gegen Scharon den Machterhalt in einer Partei, die durch ihre
Koalitionsbeteiligung ohnehin ihr Rückgrat verloren hat.
Ohne die Arbeitspartei verliert Scharon die
Mehrheit im 120-köpfigen Parlament und verfügt dann nur noch über 55
Abgeordnetenstimmen. Indes haben bereits zwei rechte Parteien mit insgesamt acht
Stimmen ihre Unterstützung für die Abstimmung über den Haushalt zugesagt.
Dennoch wird Scharon mit einer hauchdünnen Mehrheit, in der er als Geisel von
Partikularinteressen gefangen wäre, nicht weiterregieren. So wird es
voraussichtlich im Frühjahr schon zu Neuwahlen kommen – das Letzte, was Israel
braucht. Ohnehin steht nach jüngsten Umfragen das Ergebnis schon fest: Auch die
nächste Regierung würde vom Likud, nicht von der Awoda geführt.
hagalil.com
30-10-02 |