Die Berichterstattung der
israelischen Medien über den palästinensischen Terror:
Immer noch Hoffnung auf einen
baldigen Frieden
Carmen Öszi leitet das Informationszentrum des Instituts zur
Erforschung der jüdischen Medien an der Universität Tel Aviv. Zu
ihren Aufgaben zählt die Herausgabe des Magazins "Kesher",
das sich vornehmlich mit der Berichterstattung in Europa und Israel
auseinander setzt.
Interview:
Simone Dinah Hartmann
Mitarbeit: Deborah Hartmann
Erschienen im Aufbau,
15. Mai 2003
Aufbau: Wie waren die
Reaktionen der israelischen Presse auf den Selbstmordanschlag auf
einen israelischen Linienbus in Jerusalem vor zwei Wochen?
Carmen Öszi: Die Reaktionen der Presse haben wie
immer den Schrecken und den Horror dieser Anschläge hervorgehoben.
Das Entsetzen über den letzten Anschlag, welcher nach einer Periode
relativen Friedens stattfand, war diesmal besonders groß. Große
Teile der israelischen Bevölkerung dachten, dass die von den
palästinensischen Terrororganisationen ausgerufene Waffenruhe eine
Wende in den Beziehungen zwischen Israel und Palästina bringen
würde. Obwohl es bereits während der so genannten "Hudna"
(Waffenruhe) zu mehreren Anschlägen gekommen ist, so war dieser
Anschlag besonders tragisch — ein Anschlag von der Sorte, die die
Hoffnung auf Frieden zunichte machen.
Wie wurde die "Hudna" in den israelischen
Medien rezipiert?
Öszi: In den israelischen Medien wurde die "Hudna"
mit Skepsis, aber auch mit viel Hoffnung dokumentiert. In Israel
herrscht generell die Einstellung, dass, sobald die Lage sich zu
"entspannen" oder besser auszusehen beginnt, die Menschen hier große
Erwartungen für einen baldigen Frieden aufbauen. Nicht nur
ökonomisch ging es wieder etwas bergauf, mehr und mehr Menschen
strömten wieder auf die Straße, in Cafés und Restaurants.
Diese Hoffnung wurde nun getrübt?
Öszi: Die Stimmung in der Bevölkerung ist nach
diesem entsetzlichen und tragischen Anschlag drastisch bergab
gegangen. Allerdings herrscht hier trotzdem nach wie vor die Hoffung
auf einen baldigen Frieden und auf ein Abkommen mit den
Palästinensern. Der Wunsch der meisten Israelis ist es, sobald wie
möglich eine friedliche Lösung für diesen Konflikt zu finden.
Welche Zeitungen haben den größten
Einfluss in Israel?
Öszi: In Israel gibt es drei wichtige
Tageszeitungen: die populären Blätter "Maariv" und "Yedioth
Acharonot", sowie die etwas elitäre und liberale Tageszeitung
"Haaretz". In den letzten Jahren wurde den Medien oft vorgeworfen,
links ausgerichtet zu sein. Das stimmt allerdings nicht. So gibt es
etwa nach jedem Anschlag eine Diskussionsrunde mit Angehörigen der
Armee, Personen akademischer Einrichtungen und Journalisten; kurzum
Leute, die Experten auf diesem Gebiet sind und wissen, wovon sie
sprechen. Ihre Informationen erhalten sie nicht nur von der
israelischen Regierung und der palästinensischen Presse, sondern
auch von der palästinensischen Autonomiebehörde selbst. Meistens
wird über die Ursache des Attentats diskutiert und welche Politik
zur neuerlichen Eskalation der Gewalt geführt hat. Selten geben
diese Leute aber Vorschläge an die Regierung ab.
Wie werden diese Diskussionen geführt?
Öszi: Meistens sehr kontrovers. Allerdings sind
sie in diesen Tagen nicht mehr so festgefahren wie zur Zeit des
Osloer Abkommens. Die Meinungen sind oft sehr komplex und
mannigfaltig. Es gibt keine schwarz-weiße Sicht der Dinge mehr.
Selbst bei eher rechtslastigen Kommentatoren und Journalisten lassen
sich verschiedene Sichtweisen finden.
Außer der "Haaretz" verfolgt keine israelische
Zeitung eine einheitliche Politik im Hinblick auf den
Friedensprozess. Vielmehr wird das aktuelle Geschehen reflektiert
und Kritik an beiden Seiten formuliert. In der israelischen
Medienlandschaft kommt jeder zu Wort, von links bis rechts bis zu
Vertretern der palästinensischen Seite.
"Haaretz" ist im Unterschied zu vielen anderen
großen Tageszeitungen politisch homogener und beschäftigt sich, wie
die meisten israelischen Blätter, auch in ihren Wochenendausgaben
ausführlich mit der politischen Situation. In Israel ist es zum
Nationalsport geworden, am Wochenende nicht nur eine Zeitung zu
lesen, sondern mehrere; am besten alle.
Inwiefern gehen die israelischen Medien
auf die Bedrohung durch den Terrorismus ein?
Öszi: Hier gibt es zurzeit eine Diskussion über
die Ethik der Berichterstattung. Es herrscht ein Widerspruch
zwischen den schrecklichen Anschlägen und der Privatsphäre der
Opfer. Die Diskussion behandelt die Tatsache, ob der Ton der Medien
nicht zu hysterisch und emotionell ist, obwohl er eigentlich mehr
Distanz aufweisen sollte. So gab es zum Bespiel nach dem 11.
September viele Diskussionen über die Umgangsweise der Amerikaner
mit den Opfern und deren Angehörigen.
In den USA war der Umgang sehr stark von dem
Bemühen geprägt, die Privatsphäre von Opfern und Angehörigen zu
schützen. Hier wird anders mit den Opfern der Anschläge umgegangen:
Es gibt sogar Fälle, in denen die Presse in Krankenhäuser gegangen
ist und die trauernden Opfer überrascht hat. Die Frage, die hier
alle beschäftigt ist, wie am besten über die Anschläge berichtet
werden soll. Nah an der Wirklichkeit oder distanzierter? Es wird
auch viel über die Berichterstattung in der ausländischen Presse
diskutiert.
Wie wird über die islamischen
Terrorgruppen berichtet?
Öszi: Die Terrorgruppen werden als illegitim
angesehen, aber der politische Kontext wird nicht ausgeblendet. Es
wird sowohl von einem politischen als auch einem antisemitischen
Kampf gesprochen. Übereinstimmung herrscht darüber, dass es sich um
antisemitische Anschläge handelt — eine Tatsache die von der
europäischen Presse meistens außer Acht gelassen wird.
Die hiesigen Medien berichten seit dem Ausbruch
der zweiten Intifada auch immer mehr über das
gesellschaftspolitische Geschehen in den palästinensischen
Autonomiegebieten. Thematisiert und kritisiert wird beispielsweise
der in den palästinensischen Medien und Schulbüchern häufig
anzutreffende Antisemitismus. Damit einher geht die Diskussion, ob
dieser Materie nicht zuviel Aufmerksamkeit geschenkt wird, da damit
die Hoffnung auf Frieden gedämpft wird.
Wird die israelische Regierung auch
kritisiert?
Öszi: Natürlich finden sich in allen Medien
kritische Kommentare über die Politik der Regierung. Einen
Wendepunkt stellte dabei der Yom-Kippur Krieg 1973 dar. Vor diesem
für das Überleben Israels entscheidenden Krieg waren die Medien Teil
des Establishments und haben die Kritik zum Wohle des Staates hintan
gehalten. Erst danach wurden kritische Stimmen lauter. Heute ist
festzuhalten, dass mit dem Ausbruch der zweiten Intifada die
Regierung wieder weniger kritisiert wird. Vielmehr wird versucht,
die Politik der gerade im Amt befindlichen Regierung zu verstehen.
Wie ist es möglich, dass die Israelis noch
immer nicht die Hoffnung verloren haben?
Öszi: Ich denke, dass allen bewusst ist, dass der
Krieg gegen den Terrorismus nicht nur mit reiner Waffengewalt zu
gewinnen ist. Terrorismus ist ein internationales Problem und kein
nationales und kann nur mit internationaler Kooperation besiegt
werden. Gleichzeitig geht es darum, den Einfluss antisemitischer
Ideologien, wie sie über Medien und Schulbücher in den
palästinensischen Autonomiegebieten verbreitet werden, Einhalt zu
gebieten. Es muss ein Abkommen geben, es gibt allerdings sehr viele
unterschiedliche Vorstellungen, wie dieses aussehen soll.
Der
Aufbau
ist eine zweisprachige, transatlantisch jüdische Zeitung.
hagalil.com
02-10-2003 |