An einer historischen Kreuzung:
Ein offener Brief an die Likudmitglieder
Kolumne von Yoel Marcus, Ha'aretz, 16.04.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Lieber Likudnik,
ob es Schicksal ist oder nur die Tatsache, zur
richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – die Gelegenheit,
Geschichte zu machen, fällt zum zweiten Mal in deinen Schoß. Anwar
Sadats Besuch in Israel –ein Ereignis, das bis heute wie ein Traum
erscheint- wäre in den Tagen der "Mapai"-Partei nicht möglich
gewesen.
Es gab Versuche, ein Treffen zwischen Golda Me'ir
und Sadat zu arrangieren, doch Golda Me'ir sagte "Nein". Als Sadat
öffentlich Signale des Friedens aussandte, verschloss sie ihre
Ohren. Das Szenario von Sadat, der Israel in der Knesset dazu
aufruft, alle Territorien zurückzugeben, spielte sich nicht einmal
in ihren wildesten Träumen ab.
Erst nachdem der Likud an die Macht gekommen war,
initiierte Menachem Begin (in geheimer Beratung mit Moshe Dayan) ein
Treffen mit Sadat. Dies war in den Tagen, als US-Präsident Carter
die Suppe eines internationalen Gipfels kochte, den weder Israel
noch Sadat wollten. Nachdem beschlossen worden war, Sadat zu einem
offiziellen Besuch einzuladen, begab sich Begin mutig –jedoch nicht
leichtsinnig- in Richtung des Unbekannten. Auf seinem Weg nach Camp
David, wo er den Entwurf eines Friedensvertrags unterzeichnen
sollte, war er deprimiert und skeptisch. Während eines
Zwischenstopps in New York sagte er gegenüber seinem Gefolge, Sadat
sei unzuverlässig und ein chronischer Lügner, und es sei außerdem
nicht zu vergessen, dass er als junger Offizier ein Unterstützer der
Nazis gewesen war.
Doch die Skepsis wich der Unterschrift, der
Evakuierung aller Siedlungen im Sinai und dem Nobelpreis für beide
Staatsoberhäupter. Es war all die Jahre ein kalter Frieden. Mubarak
und diejenigen, die Begin folgten, gehörten nicht zu denen, die sich
gegenseitig auf den Rücken klopfen. Doch dieser kalte Frieden hat
bis jetzt 25 Jahre lang gedauert. Tausende hatten in den Kriegen mit
Ägypten ihr Leben verloren. Gibt es da etwas Erfreulicheres als die
Tatsache, dass seit dem Friedensvertrag kein einziger israelischer
Soldat an der ägyptischen Grenze getötet wurde?
Nun, lieber Likudnik, stehst du an einer weiteren
historischen Kreuzung. Was du entscheidest und was du tust wird das
Gesicht der Nation verändern. Nachdem tausend Israelis in der
Al-Aksa-Intifada gestorben sind, ist es kein Zufall, dass
ausgerechnet Ariel Scharon -ein altes Schlachtross und einer, der
für die Siedlungen ist- beschlossen hat, dass das Kommandieren eines
anderen Volkes nicht weitergehen kann und dass die Zeit für einen
palästinensischen Staat neben dem Staat Israel gekommen ist.
Als Begin an die Macht kam, hat die Welt ihn für
einen Kriegstreiber gehalten. Tatsache ist jedoch, dass er keine
Territorien annektiert hat wie er es auf seinem Oppositionsstuhl
immer gepredigt hatte. Im Gegenteil: Er schuf den Präzedenzfall
"Land für Frieden". Nur er war fähig, solch weitreichende
Zugeständnisse zu machen.
Nun ist es Scharon, der versteht, dass das, was
wir jetzt nicht selbst beginnen zu tun -mit angemessener
amerikanischer Unterstützung und einem Präsidenten der uns den
erhobenen Daumen zeigt- uns von der internationalen Gemeinschaft zu
einem wesentlich blutigeren Preis aufgezwungen werden wird. In den
Territorien zu bleiben ist nicht länger eine Option.
Lieber Likudnik, ich weiß nicht, wie viel du über
das Erbe deiner Partei weißt, darüber, wer Jabotinsky war und über
Begin, dessen Grab an seinem Todestag nur von einer Handvoll von
Leuten besucht worden ist. Auf jeden Fall aber sei gesagt, dass
Scharons Plan über den einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen
nicht das Land der Patriarchen, sondern das Land Samsons betrifft.
Dass die Extremisten Angst haben, mit der
Evakuierung der Siedlungen könne ein Präzedenzfall geschaffen
werden, ist verständlich. Doch es gibt auch eine Menge
Erleichterungen, angefangen von der Verkürzung der
Verteidigungslinien bis dahin, dass weniger Soldaten gebraucht
werden. Es wird uns außerdem besser möglich sein, stärker und
gerechter gegen den Terror vorzugehen, wenn die Terroristen von
einem Gebiet aus handeln, das vollkommen palästinensisch ist.
Die Uzi-Landaus dieses Landes sehen es anders. Sie
sorgen sich darüber, dass die Palästinenser damit prahlen könnten,
sie hätten uns rausgeworfen. So lasst sie prahlen. Auch Itzel und
Lechi, die Milizen, die hier vor der Gründung des Staates Israel
operierten, sagten, sie hätten die Briten rausgeworfen. Wenn sie es
sagten, so sagten sie es. Als wir uns aus dem Libanon zurückzogen,
sagte die Hisbollah, sie habe uns rausgeworfen. Sie kann sagen, was
sie will. Hauptsache ist, dass das Blutbad nun aufgehört hat.
Es ist kein Zufall, dass die gleichen Leute, die
heute gegen die Evakuierung des Gazastreifens sind auch diejenigen
waren, die früher gegen den Frieden mit Ägypten waren: Arens,
Shamir, Geula Cohen, Tzachi Hanegbi, der sich selbst in einem
Wasserturm in der damaligen Siedlung Yamit verbarrikadiert hatte. Wo
wären wir heute, wenn sie damals in der Mehrzahl gewesen wären? Wo
werden wir morgen sein, wenn die Gegner des Disengagement-Plans
gewinnen?
Scharons Plan ist ein guter. Es ist wichtig, dass
er schnell –so lange Bush Präsident und Scharon Ministerpräsident
ist- von der Regierung und der Knesset bewilligt wird. Dadurch
werden diesem Plan auch zukünftige Regierungen verpflichtet sein.
Es ist nicht das ganze Volk Israel, das am 2. Mai
bei einem Referendum seine Stimme abgeben wird, sondern es sind die
Mitglieder des Likud. Deshalb ist klar, lieber Likudnik, dass eine
gewaltige Verantwortung auf deinen Schultern und auf denen deiner
Kollegen lastet. Der Rest des Volkes verlässt sich auf euch und
darauf, dass ihr ihm ein bisschen Licht am Ende des Tunnels zeigen
werdet.
Im Namen von uns allen verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen,
Y. M.
hagalil.com
17-04-2004 |