Likud Parteitag:
Das ist unsere Partei
Der Erfolg des Rechtsextremisten
Moshe Faiglin und seiner Anhänger in der Likudpartei, am Beispiel des
letzten Likud-Parteitags
Von Guy Lashem, Yedioth Achronoth, 09.01.2004
Die Atmosphäre im Mann-Auditorium war angespannt.
Rufe wie 'Kahanisten nach Hause' waren zu hören, als langjährige
Likudniks den Faiglinanhängern, die sich als 'Jüdische Führerschaft'
bezeichnen und große Schilder gegen Sharon hochhielten,
gegenüberstanden. Faiglins Leute hatten sich wie zu einem militärischen
Feldzug, bei dem jedes einzelne Detail genau durchdacht ist, vorbereitet
und zogen bereits in den ersten Minuten nach Eröffnung des Parteitages
in den Saal ein.
Sie waren nicht darauf aus, einen bestimmten Sitzblock
zu erobern, nein, ganz im Gegenteil sie verteilten sich in kleinen
Grüppchen überall im Saal. Die Taktik war eindeutig und auf der Website
der Bewegung im Internet sehr klar formuliert worden, und zwar in einem
Artikel mit der Überschrift 'Unsere Macht durch Abstimmungen und nicht
durch Pfiffe'.
In dem Artikel, der als Brief an alle Mitglieder der
Likud-Parteizentrale ging, wurde zu ruhigem Verhalten, ohne jedwedes
Machtgehabe aufgerufen. Denn auf dem letzten Likud-Parteitag hatten die
Mitglieder der 'Jüdischen Führerschaft' auf jedes Wort, das ihnen nicht
passte, mit Trillerpfeifen reagiert. Diesmal hatten Moshe Faiglin und
seine Leute beschlossen, streben sie ein doppeltes Ziel an: keine
einzige Fernsehkamera wird sich auf eine große Gruppe von bärtigen
Kipaträgern konzentrieren, die für die Zuschauer zuhause viel zu
eigenartig wirken; die Verteilung unter den anderen Mitglieder der
Parteizentrale wird den Eindruck von Protest gegen Sharon in allen Ecken
und nicht nur von einer organisierten Gruppe vermitteln.
Aber obwohl der Erfolg im Saal für sie beschränkt
schien, sind Faiglin und seine Leute zu den Stars der Woche im Likud
geworden. Ministerin Limor Livnat hatte die Arbeit für sie übernommen,
denn sie sprach von 'Kriminellen und Extremisten, die versuchen den
Likud an sich zu reißen'. Bis zum Abschluss des Parteitags wurden die
Faiglins unentwegt interviewt. Den Höhepunkt stellte Michael Foah, der
GD der 'Jüdischen Führerschaft', dar, als er gleich zu Beginn des
Morgenbeitrags im Radio 'Kol Israel' über die Konfrontation mit Livnat
interviewt wurde.
Übrigens – obwohl Faiglins Leute wiederholt erklären,
dass die Medien sie in keiner Weise interessieren, zögern sie dennoch
nicht, Anklagen wegen übler Nachrede gegen jeden einzureichen, der es
wagt, etwas gegen sie zu schreiben, einschließlich gegen den Verfasser
dieser Zeilen, gegen den zur Zeit eine Anklage wegen übler Nachrede von
einem der hochrangigen Mitglieder der Gruppe läuft.
Als Moshe Faiglin vor etwa vier Jahren zum ersten Mal
im Likud-Hauptquartier in Tel Aviv erschien, wussten nur sehr wenige,
dass dieser unauffällige, sanft sprechende Mann aus Karney Shomron einer
der Anführer von 'Su Artzenu' ist und stürmische, gewalttätige Demos
gegen die Oslo-Abkommen organisiert hatte. Dieser angenehm wirkende
Mann, der wegen Hetze und rebellischem Verhaltens bereits zu Haftstrafen
verurteilt worden war, erklärte weniger als zwei Monate nach seinem
Beitritt in den Likud, dass er für den Vorsitz des Likud als
Gegenkandidat von Sharon und Netanyahu kandidieren will. Faiglin macht
sich keine Illusionen. Er wusste, dass seine Kandidatur hauptsächlich
einer Absichtserklärung gleichkommt, aber auf jeden Fall war sein Name
schon mal in das Bewusstsein des Likud vorgedrungen. Zwei Jahre später
kandidierte er erneut gegen Netanyahu und Sharon. Auch dieses Mal machte
er sich keine Illusionen, aber er hatte nun schon die Erfahrungen von
zwei Jahren stiller Aktivitäten überall in Israel, aber insb. in Jesha,
hinter sich - mit Vorträgen, Heimkreisen usw., bei denen er neue
Anhänger für seine Bewegung aktivierte und sie zu einer Mitgliedschaft
im Likud bewegte. Außerdem hatte er bereits 130 Mitglieder in der
Likudparteizentrale in seiner Tasche.
Wie erwartet, kam Faiglin auch mit dieser Kandidatur
nicht sehr weit, aber immerhin erreichte er etwas mehr als 4% gegenüber
38% für Netanyahu und 59% für Sharon. Und nur zwei Wochen später, als
die Parteizentrale zusammentrat, um die MK-Liste zusammenzustellen,
waren Faiglin und seine Anhänger durchaus sehr erfolgreich: seine sehr
gehorsame Anhängerschaft diente als Basis für das Aushandeln
verschiedener Deals und letztendlich schaffte es Faiglin auf Platz 39
der Parteiliste für die Knesset. Es handelte sich um einen durchaus
reellen MK-Platz, aber er musste ihn letztlich räumen, weil der
zuständige Wahlausschuss urteilte, als Vorbestrafter könnte er nicht MK
werden.
Obwohl sein Eintritt in die Knesset im letzten Moment
verhindert wurde, scheint Faiglins Position seitdem nur gestärkt.
Mehrere politische Berater und führende Parteimitglieder waren sich
diese Woche einig, dass es im Likud heute keine andere Gruppierung gibt,
die so groß ist wie die Faiglingruppe.
Die politischen Erklärungen Sharons haben nicht wenige
Likudmitglieder verärgert. Faiglin hat dies sofort bemerkt und die
Mitglieder der Parteizentrale mit Briefen überflutet, in denen er sie
dazu aufruft, sich für einen Wechsel in der Parteiführung einzusetzen.
Außerdem hat er es auch fertig gebracht, einen alternativen politischen
Plan für die Roadmap zu verfassen, der unter allen Mitgliedern der
Parteizentrale verteilt wurde. Mitte des Jahres organisierte er einen
Kongress in Ramat Aviv, 'Forum zu Wahrung der Likudwerte', an dem mehr
als 1000 Mitglieder der Likudzentrale, MKs und Regierungsminister
teilnahmen, die sich dort zum ersten Mal öffentlich gegen Sharon und die
Roadmap äußerten. Einige Wochen danach fand der besagte Parteitag mit
Trillerpfeifen statt. "Die Mitglieder der 'Jüdischen Führerschaft'
stehen den erklärten Positionen des Likud am nächsten, weit mehr als den
Positionen von Sharon selbst."
Ja, aber der Likud verfügt doch über eine Führung, die
auf demokratische Weise gewählt wurde. Das Volk hat bei den allgemeinen
Wahlen gewählt. Was denn, hat sich das Volk geirrt?
"Bei den letzten Wahlen hat die Öffentlichkeit nicht
den Likud gewählt sondern ist vor der Linken geflohen. Auch wenn eine
Giraffe den Vorsitz des Likud gehabt hätte, wäre sie in das
Premierministeramt gewählt worden."
Selbst wenn Sharon und seine Leute sich öffentlich
abfallend über Faiglin und seine Leute geäußert haben, so haben sie doch
in Privatgesprächen bereits zugegeben, dass das Kuriosum aus ihrer Sicht
zu einer wahrhaftigen Gefahr bzw. zu einer "feindlichen Machtergreifung"
– so einer der Vertrauten - geworden ist. Andere hochrangige Politiker
haben in Faiglin das Potenzial für ein politisches Sprungbrett erkannt.
So war beispielsweise in der ersten Reihe auf dem o.g. Kongress das
leuchtende Gesicht von Minister Zachi Hanegbi zu sehen, der in dieser
Woche mit Nachdruck darum bemüht war, Faiglin und seine Leute vor den
Anschuldigungen Livnats zu verteidigen.
Faiglin ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus.
Gemeinsam mit Moti Karpel, dem Ideologen der Bewegung, verteilt er die
Zeitung der Bewegung in Synagogen überall in Israel und schickt sie an
alle Mitglieder der Likudzentrale. Die Broschüren haben ihre Wirkung und
die Website der Bewegung wird mit Reaktionen überschwemmt. Das Portal
'roter.net' hat ein Forum mit Fragen und Antworten unter Beteiligung von
Faiglin und Karpel gegründet. In diesem Forum wurden täglich tausende
Besucher registriert und sehr viele lange Reaktionen zu jedem Satz, den
die Beiden dort schreiben, wurden festgehalten.
Das, was hochrangige Likudmitglieder gerade erst in
dieser Woche vermeintlich verstanden haben, hätte man bereits längst aus
den Antworten, die Faiglin und Karpel in diesem Forum lieferten,
verstehen können. Hinter den höflichen und nett verzierten Erklärungen
in der offiziellen Website der Bewegung über die politischen,
öffentlichen Aktivitäten von Faiglin erschienen plötzlich auch
extremistische Äußerungen:
"Der Begriff Demokratie ist doch ein Witz geworden,"
antwortet Faiglin auf einen Surfer, der nach seinen Ansichten bezüglich
Demokratie gefragt hat. "Heute handelt es sich um eine Manipulation
einer gewissen Oligarchie über die öffentliche Meinung… Das Wort
Demokratie wird in meinen Augen immer abgenutzter." Dies sagte der Mann,
der auf demokratische Weise fast in die Knesset gekommen ist.
Faiglin wurde von vielen Surfern auch über den
Unterschied zwischen seinen Ansichten und denen von Rabbi Meir Cahana
und Rabbi Meir Levinger befragt. "Es gibt da einige Unterschiede aber
selbstverständlich auch Ähnlichkeiten," antwortete der Ideolog Karpel.
"In seinen Erklärungen konzentriert sich Rabbiner Cahana auf den
Widerstand gegen die Araber. Wir hingegen meinen, dass wir kein Problem
mit den Arabern haben sondern mit uns selbst, den Juden – Probleme mit
der jüdischen Identität… Die Ausweisung wird von uns als richtiges
Mittel für jeden angesehen, der nicht mit unseren Ansichten und unserer
Souveränität über dieses Land einverstanden ist, und selbstverständlich
gegen jeden, der sich gegen uns gerichtet hat oder sich gegen uns
richten wird", schreibt Karpel.
Auch unter den Begründern der Bewegung muss man nicht
lange suchen, um die Verbindungen zu finden: der Verein, über den die
Aktivisten aufgefordert wurden, Spenden zur Finanzierung der Aktivitäten
zu überweisen, wurde u.a. von Nitza Cahana, der Schwiegertochter von
Rabbi Cahana gegründet, und einer der Hauptaktivisten ist Malahi
Levinger, der Sohn des Rabbis aus Hebron.
"Wir sind ganz eindeutig nicht die Bewegung von Rabbi
Cahana," sagte Faiglin diese Woche. "Es gibt da Dinge in seinen Lehren,
denen wir zustimmen, und es gibt andere Dinge, die wir ablehnen. Ich
selbst habe an einer der Gedenkfeiern für Rabbi Cahana teilgenommen…"
All diese Anzeichen haben aber nicht dazu verholfen,
dass die hochrangigen Likudmitglieder sich darüber klar werden, dass
jemand mit einer extremistischen Ideologie ihre politische Bewegung und
deren Einrichtungen ausnutzt, um ihr einen selbst ernannten politischen
Anführer aufzuoktroyieren. Der sehr bescheidene Faiglin störte sich
nicht sehr an diesem Machtimage, welches ihm und seinen Leuten anhaftet.
Ganz im Gegenteil – bei der Wahl der Likudliste wandten sich seine Leute
an ein hochrangiges Likudmitglied, dem sie ihre Unterstützung
versicherten, wenn er den politischen Plan Sharons angreift. Das
hochrangige Mitglied ließ es sich durch den Kopf gehen und lehnte dann
aber ab. Faiglins Leute haben ihn von ihrer Liste der empfehlenswerten
Personen gestrichen.
Es ist sehr verständlich warum manche Angst haben
Faiglin zu ärgern, denn er und seine Leute suchten die Likudmitglieder
in Jesha oft auf, weil sie wissen, dass gemäß der Likudverfassung ein
Mitglied der Parteizentrale aus Jesha 'billiger' ist in Bezug auf die
erforderliche Stimmenzahl für ihre Wahl als Mitglieder in anderen
Wahlbezirken. Faiglin hat es geschafft, tausende Mitglieder anzuwerben
und auf diese Weise seinen Block in die Parteizentrale zu kriegen.
Die Wahlergebnisse in denselben Orten sehen ganz
anders aus: in Yitzhar haben sich 94 Likudmitglieder registriert, von
denen vier in die Parteizentrale gewählt wurden. Bei den letzten Wahlen
gab es dort aber nur zwei Stimmen für den Likud, d.h. auf völlig absurde
Weise haben nur zwei der Mitglieder der Parteizentrale für ihre Partei
gestimmt. Noch absurder ist es in Ma'ale Amos: dutzende Faiglin-Anhänger
wurden Likudmitglieder und haben ein Mitglied in die Parteizentrale
gebracht. Bei den Wahlen kam es dort zu einem sehr überraschenden
Ergebnis: niemand stimmte für den Likud. Man muss hier kein politisches
Genie sein, um dies deuten zu können. "Dieser Kleinkrämerei ist hier
völlig fehl am Platze," sagte Faiglin diese Woche. "Ich weiß wirklich
nicht wie jeder einzelne meiner Leute bei den Wahlen abgestimmt hat,
aber wir haben alle dazu aufgerufen, für den Likud zu stimmen."
In Netanjahus Umfeld will man ein niedriges Profil
wahren. Dort hat man die Probleme, welche die Faiglins ihnen gemacht
haben, als Netanyahu sich bei der Abstimmung über die Roadmap enthalten
hat, nicht vergessen. Man ist vorsichtig und zieht es vor, auf dem Zaun
sitzen zu bleiben. Netanyahu hat einen seiner Leute als Kontaktperson
mit der Faiglingruppe ernannt. Aber in seinem Umfeld wird betont, dass
es sich einzig und allein nur um einen Höflichkeitskontakt handelt.
"Netanyahu baut nicht auf die Faiglinstimmen," sagte in dieser Woche
einer seiner Vertrauten. "Ihm ist klar, dass ein jedwedes Bündnis mit
ihnen nur ein punktuelles Bündnis sein wird, das in dem Moment platzt,
in dem er die Ware nicht mehr liefert."
Um Netanyahu geht man davon aus, dass die
Faiglingruppe ihre maximale Stärke in der Parteizentrale erreicht hat.
Gemäß Netanyahus Analyse der vorliegenden Situation sei Olmert wegen
seines politischen Plans nun als Hauptfeind markiert, und
Verteidigungsminister Mofaz wird als zukünftiger Feind markiert, sobald
er zur Räumung von Siedlungen anweist. Nur wenn Bibi weiterhin auf dem
Zaun sitzen bleibt, wird er in den Genuss der Früchte der Unterstützung
der Faiglinleute kommen.
Aus der Sicht der Sharonleute stellt der Parteitag in
dieser Woche einen Wendepunkt dar. Sie haben beschlossen, die Ärmel
hochzukrempeln. Am meisten ärgert sie der Antrag auf Abänderung von
Paragraph 19 G in der Likudverfassung, wonach ein Vertreter der
Bewegung, der entgegen der Ansicht der Parteizentrale aktiv wird,
während der folgenden fünf Jahre nicht mehr für sein Amt kandidieren
darf. Faiglin hat den Protest der Mitglieder der Parteizentrale gegen
die Gesetzesvorschläge erkannt, die der Parteizentrale die politische
Macht und die Befugnis zu Entschädigung und Jobverteilung nehmen sollen.
Ihm war klar, dass er den Frust ausnutzen kann, um eine Änderung dieses
Paragraphen zu bewirken, womit seinen ideologischen Ziele gedient würde.
Angesichts der gegenwärtigen Zusammensetzung in der Parteizentrale des
Likud ist es nun möglich, dass Faiglins Vorschlag mit der erforderlichen
Mehrheit angenommen und den Likud und seine hochrangigen Politiker
lähmen wird.
Vertraute Livnats sagten diese Woche, sie erwarte von
ihren Parteikollegen, dass sie sich ihr anschließen und die Faiglins aus
dem Likud werfen. Allerdings könne sie solch einen Schritt nicht ohne
ihre Unterstützung vornehmen. Sharons und seine Leute scheinen sich gern
gemeinsam mit ihr dafür einzusetzen. Die Minister, die sich insgeheim
die Unterstützung von Faiglin und seinen Anhängern erhoffen, wurden von
Sharon bereits vorgewarnt und insgeheim werden bereits verschiedene
rechtliche Maßnahmen gegen sie geprüft.
"Der wahre Likud muss einen Weg finden, um sie aus der
Bewegung auszuschließen," sagte diese Woche ein langjähriges
Likudmitglied. "Die Parteiführung muss wieder zu sich kommen und zum Weg
des Likud zurückfinden, und wer dies nicht akzeptiert, soll sich eben
einen anderen politischen Rahmen suchen. Leider ist Sharon nicht
motiviert genug, um sich dafür einzusetzen. Die Mitglieder der
Parteizentrale betrachten die Faiglins zwar als Fremdkörper, aber sie
erkennen auch die dahinter verborgene politische Macht. Hochrangige
Likudniks müssen zur Entfernung dieser Erscheinung aus unseren Reihen
ermutigen. Wenn das so weitergeht, wird es irgendwann bald zu einem
unvermeidlichen Zusammenstoß kommen und das Ergebnis könnte für die
Likudbewegung katastrophal ausfallen."
Zur Überschrift dieses Artikels "Das ist
unsere Partei": hebr. "Su Miflagtenu"; Wortspiel mit Bezeichnung der
rechtsextremistischen Bewegung "Su Artzenu" = "Dies ist unser Land"
hagalil.com
20-01-2004 |