Ilan Pappe unter Beschuss:
Akademische Freiheit an der Universität Haifa?
Aufruhr in der akademischen Welt Israels. Für die
Unterstützung einer Master-These, die manch einem ein Dorn im Auge ist, soll ein
Professor büßen: Ilan Pappe soll von der Universität Haifa gehen, womit man
einen seit langem in mancher Hinsicht unbequemen Kollegen los wäre. Laut einem
Beitrag Pappes in eigener Sache (s.
historynewsnetwork.org), gefährdet die Affäre das Recht auf freie
Meinungsäußerung und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.
Die Geschichte beginnt im Januar 2000. Die israelische Zeitung Maariv
veröffentlichte damals einen langen Artikel über ein "Massaker" in Tantura. Der
Journalist berief sich auf die Master-These von Teddy Katz, der die Arbeit am
Institut für Middle Eastern History an der Universität Haifa bei Ilan Pappe
geschrieben hat. Katz erhielt für die Arbeit unter dem Titel "The Exodus of the
Arabs from Villages at the Foot of Southern Mount Carmel" die Note 97 (von 100).
Katz beschäftigte sich im Anschluss an die Arbeiten der neuen Historiker,
darunter Benny Morris und Ilan Pappe selbst, mit dem individuellen Schicksal
arabischer Dörfer in den Jahren des israelischen Unabhängigkeitskrieges. Er
lieferte eine Untersuchung über fünf palästinensische Dörfer in der Küstenebene
zwischen Haifa und Hadera. Laut Katz brachten die Zeugnisse ein grausiges
"Massaker" an den Tag, das am 22./23. Mai 1948 gipfelte, als etwa 200
unbewaffnete Einwohner von Tantura, vor allem junge Männer, erschossen wurden,
nachdem das Dorf von der Haganah umstellt worden war.
Teddy Katz arbeitete mit mündlichen Zeugnissen, mit den methodischen
Mitteln der Oral History. Dabei war er sich sicherlich der Fallstricke,
die in der Beschäftigung mit Erinnerungen und Augenzeugen liegen,
bewusst. Es ging Katz allerdings weniger darum, einzelne Details, also
genaue Daten und Zeitangaben herauszuarbeiten, als vielmehr den
Gesamtüberblick zu den Ereignissen zu liefern. Er interviewte 135
Personen für seine Arbeit, das Kapitel über Tantura basiert auf den
Aussagen von 40 Zeugen, 20 Arabern und 20 Juden.
Wenige Tage nach dem Erscheinen des Artikels in Maariv begannen die
Veteranen der beteiligten Brigade, der Alexandroni Brigade, eine Anklage
gegen Katz anzustrengen, mit der Forderung nach einer Million Schekel
Schadensersatz. Man sollte annehmen, die Hochschule würde hinter ihrem
Absolventen stehen, der mit einer vorzüglichen Note abgeschlossen hat.
Sobald es aber auf den öffentlichen Prozess zuging, machte die
Universität jedoch einen Rückzieher. Nach einem
zermürbenden Prozess, der am 13. Dezember 2000 begann, machte Katz
einen, wie er heute sagt, "fundamentalen Fehler". In einem Moment der
Schwäche und Resignation und unter enormem Druck seiner Familie und
Freunde unterschrieb er eine Erklärung, in der er seine Ergebnisse
relativierte und zurücknahm. Dazu hatte ihm auch der Anwalt der
Universität geraten, da ansonsten die Fortsetzung seiner Studien an der
Hochschule gefährdet seien. Die Universität strengte trotzdem die
Aberkennung seines akademischen Titels an. Katz widerrief seinen
Widerruf später und bis heute ist die Sache noch nicht ausgestanden.
Mittlerweile geht die Auseinandersetzung auf eine neue Ebene, insofern
dass auch Ilan Pappe, der die Arbeit betreut hat, unter enormen Druck
gesetzt wird. Er wird als Verräter beschimpft, das Leben soll ihm schwer
gemacht werden, wie er selbst sagt. Aber Pappe will um seine Stelle
kämpfen, mit Unterstützung aus dem Internet. Die Mailbox des Dekans der
Fakultät, Jossi Ben-Arzi quillt über, Protestmails aus der ganzen Welt
gehen in diesen Tagen nach Haifa.
Pappe ist davon überzeugt, die Hochschule meine nun "den geeigneten
Zeitpunkt gefunden zu haben, einen ungeliebten Kollegen loszuwerden".
Dabei gehören Pappes Vorlesungen zu den meist gehörten. Pappe ist
Politologe und Spezialist für die Geschichte der "Nakbah", der
palästinensischen "Katastrophe" der Jahre 1947-1949. Neben Benny Morris
gehört er zu den bekanntesten "neuen Historikern" in Israel, seine
Arbeiten finden auch im Ausland große Beachtung.
-
Die andere Seite:
Pappe
und die Universität Haifa
Nachbemerkungen im Zusammenhang mit den
Vorgängen an der Universität Haifa um Ilan Pappe und die
Auseinandersetzung um eine Masterthese...
Weitere Informationen und Gegendarstellungen:
- Einige Worte von
Ilan Pappe:
The Expulsion of Pappe
from Haifa University
-
Journal of
Palestine Studies:
The Tantura Case in Israel: The Katz Research and Trial
-
Yoav Gelber: ..."Around 80 Arabs and 14 Israeli soldiers were
killed in a battle when the village was occupied. Pappe's allegation
about a cold-blooded massacre after the conquest that raised the
number of Arab victims to 250 is a vicious and unsubstantiated blood
libel"...
-
Yossi Ben-Artzi: ..."Ilan was called before a disciplinary
committee, not because of his political views, but for his
unrelenting efforts to destroy the reputation of colleagues"...
..."About 20 percent of our 14,000 students are Israeli Arabs, and
due to the very unfortunate circumstances of recent events, the
University of Haifa is one of the few remaining sites for
dialogue-difficult and often frustrating-between Jews and Arabs. It
is a complex process involving setbacks, disappointment and
disagreement. Dr. Pappe is aware of these facts, but in his zeal to
market himself as a martyr in the cause of "unequivocal truth" he
callously and carelessly destroys this beacon of hope in very dark
times".
-
Sol Shalit: ..."This is not a case of
free speech, but of academic standards."
aue / haGalil onLine 03-06-2002 |