Die Palästinenser verhalten sich nicht so,
wie Israels Linke es wünschen:
Gar nicht nett
NATAN SZNAIDER
Die Palästinenser verhalten sich nicht so, wie Israels
Linke es wünschen. Israels Rechte träumen von der Apokalypse. Also
bleibt nur eine kleine Hoffnung: Waffenstillstand.
Israelis und Palästinenser haben aufgehört, nett zueinander
zu sein. Dabei sah doch alles so gut aus. Oslo im Nahen Osten. Der Nahe
Osten in Oslo, Teil des befriedeten Nachkriegseuropa, wo einer der
letzten Ausläufer der Nachkriegsordnung nun auch zur Ruhe kommt. Aber
noch ist es nicht so weit. Noch bringt man sich ob der verschiedenen
Erinnerungen und Besitzansprüche um. Im befriedeten Europa schüttelt man
dann nur noch den Kopf, wenn sich Menschen wegen Boden und Fahne in
Stücke reißen. Dort hat der Kalte Krieg für Friede und Freude gesorgt.
Hier noch nicht.
Was ist also passiert? Der Traum vom "kosmopolitischen Nahen Osten" ist
erst mal ausgeträumt, der Schöpfer dieses Traums als Außenminister des
Albtraums an der Einheitsregierung beteiligt. Es gab diesen
kosmopolitischen Moment, in dem viele Israelis sich imstande sahen, ihre
eigene partikulare Existenz in einen größeren Rahmen zu setzten und das
Leiden der anderen Seite anzuerkennen. Diese emotionale und kognitive
Einstellung war ein Luxus, den sich bestimmte Teile der israelischen
Zivilgesellschaft leisten konnten. Es ging ihnen gut. Sie wurden langsam
zu Weltbürgern. Begriffe wie "Menschenrechte" oder "ungerechtes Leid"
der geschlagenen und unterdrückten Palästinenser kamen zur
kosmopolitischen Supermarktskost dazu.
Damit wurde auch das kollektive Gedächtnis kosmopolitisiert, das die
eigene Nation nicht mehr als Helden-, sondern als Sündernation versteht.
Das versteht man gut im befriedeten Europa und machte diese Israelis
deswegen auch so sympathisch für "gute" Europäer. Nachkriegseuropa im
Nahen Osten. Nur der Konflikt, die Besatzung, die Straßensperren, der
militärische Reservedienst und die gelegentliche Bombe erinnerten die
Menschen hier an die Alte Welt. Deswegen war man bereit, die Neue Welt
zu begrüßen. Aber wie es sich eben für die Moral der Neuen Welt gehört,
mussten die Palästinenser entpolitisierte unschuldige Opfer bleiben.
Aber die wollten nicht mitspielen und verdarben den friedenswilligen
Israelis einfach den kosmopolitischen Spaß.
Aber wo der Frieden entpolitisiert wird, kann es bis zum Krieg nicht weit
sein. Hier geht es eben um mehr als um Lichterketten und aus dem Fenster
hängende Bettlaken. Hier geht es um Territorium, Identität, Raum und ums
Überleben. Keiner kann sich mehr den verwöhnten Pazifismus erlauben.
Besonders nicht, wenn einem in die Disko gehende Kinder in die Luft
gesprengt werden.
Ja, die palästinensische Führung stürzt sich von einem Fehler in den
anderen. Sie hätte wohl mehr Einsicht in die eigene Schwäche zeigen
sollen, vielleicht sich etwas kompromissbereiter geben, wenn man es mit
einer der stärksten militärischen Mächte anlegt. Vor allen Dingen haben
sie es nicht verstanden, ihre Schwäche auf die Dauer in der globalen
Zirkusarena in gute politische Opferwährung umzutauschen. Jede Bombe
kehrte das virtuelle Spiel von Schwachen und Starken ins Umgekehrte. Und
die israelische Rechte wollte die bedingungslose Kapitulation aller
Araber. In ihrer Fantasie sollte das historische Unrecht allen Unrechts
in Europa durch eine erneute Kapitulation wieder gutgemacht werden. Was
gut genug für die Alliierten war, sollte dann auch gut genug für Israel
sein.
Aber die Palästinenser wollten das große und gewagte Europaspiel nicht
mitspielen und stellten der israelischen Friedensbewegung eine Falle.
Für viele israelische Friedensbewegte lag die Ursache des Konflikts im
Krieg von 1967, den damals besetzten Gebieten und den dort nach 1967
errichteten Siedlungen. Wie schön wäre es doch, wenn die Palästinenser
damit einverstanden wären, 1967 rückgängig zu machen, und dort einen
völlig von Israel kontrollierten autonomen Staat errichteten. Und so
wunderten sie sich, als die palästinensische Führung zum Spiegel der
kompromisslosen Rechten in Israel wurde.
Das israelische Friedenslager lebte im Wunderland, wo Kompromisslosigkeit
nur als Privileg der Reaktionäre galt. Die israelische Rechte machte nie
wirklich einen Unterschied zwischen 1967 und 1949, dem Jahr der
Waffenstillstandsgrenzen, die für viele andere Israelis die endgültigen
Grenzen sein sollten. Für die Rechte war der Unabhängigkeitskrieg noch
nicht vorbei und damit die Grenzziehung noch nicht endgültig.
Ostjerusalem, Hebron und Nablus, das auf historischer Erinnerung
eigentliche, wahre Israel, wurden 1967 nicht erobert, sondern befreit.
Aber was die israelische Rechte kann, können die Palästinenser auch und
vielleicht sogar besser. Wenn der Konflikt nicht im Jahre 1967 liegt,
wenn es sich also nicht um die damals eroberten Gebiete und Siedlungen
handelt, sondern um 1948, ja dann wurde während der Verhandlungen das so
genannte Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge vehement
ins Spiel gebracht.
Das war dann auch der Punkt, wo die israelische Linke passte und das Spiel
der Rechten überließ, die es sowieso viel besser beherrscht. Die Opfer
hörten auf, "unschuldig" zu sein. Sie hatten Ansprüche. Sie wollten das
in ihren Augen angerichtete Unrecht von 1948 mit dieser Forderung in die
Debatte bringen. Natürlich wird irgendwann der Tag kommen, wo Israelis
zusammen mit Europäern und Amerikanern Unrecht wieder gutmachen werden
und die Flüchtlinge materiell entschädigt werden. Denn man weiß schon
lange, dass es heutzutage möglich ist, historisches Gedächtnis materiell
zu entschädigen.
Die israelische Linke träumte davon, dass, wenn sie nett zu den
Palästinensern ist, diese aus Dankbarkeit auch nett sein werden. Wollten
sie aber nicht. Die israelische Linke dachte an das Oslo-Abkommen als
den historischen Kompromiss der Palästinenser, wo diese nun endgültig
die Existenz Israels innerhalb der Grenzen von 1967 anerkennen. Aber so
einfach war es nicht.
Die arabischen Staaten haben das Ihre dazu beigetragen, indem sie alt-neue
antisemitische Parolen wieder ans Land zogen, um jedem, der es wissen
wollte, zu zeigen, was der wirkliche Konflikt ist, nämlich der Kampf
gegen den jüdischen Teufel. Damit versperrten sie der israelischen
Linken jede weitere Möglichkeit der Solidarität mit ihnen. Schwer war
das überhaupt nicht. Das wusste die israelische Rechte schon lange, und
die Linke konnte nur noch kopfschüttelnd kleinlaut zugestehen, dass sie
sich vielleicht in den Palästinensern geirrt hat. Sie sind in der Tat
keine netten Menschen.
Wie geht es also weiter? Die Rechte träumt von der apokalyptischen
Endzeit, und die Linke hofft täglich, nicht in die Luft zu gehen. Ariel
Scharon, der sicher nicht in der Nähe von Gandhi einzuordnen ist, bleibt
nun die einzige Hoffnung derjenigen, die in der bürgerlichen Jetztzeit
leben wollen. Was also bleibt, ist der Waffenstillstand, ein kleines
politisches Konzept, das zwischen den Eintracht der Schafe und Wölfe
einerseits und den apokalyptischen Reitern andererseits steht. Auch das
ist eine Hoffnung.
Natan Sznaider unterrichtet Soziologie am Academic
College of Tel-Aviv in Israel. Soeben erschien (mit Daniel Levy):
"Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust", Frankfurt (Suhrkamp)
2001. Ihr Thema: die Möglichkeit eines vom Holocaust hervorgerufenen
kosmopolitischen Gedächtnisses.
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haGalil onLine 16-12-2001 |