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"Nazis! Nazis!"

Kommentar von Tom Segev

Vor etwa einem Jahr hielt der Generalstab der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte eine spezielle Diskussion über die Lektionen der Shoah ab. Die Generäle trafen sich in einem Konferenzraum der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Medien waren bei der Besprechung nicht zugelassen und es gab keinerlei Zeremonien. Im Verlauf der Unterredung brach unter den Top-Offizieren des Landes eine lebhafte Diskussion aus. Sie betraf die Frage, ob das Erbe der Shoah nützlich oder schädlich, wichtig oder überflüssig ist für Soldaten, die nun aufgerufen werden, um die Intifada zurückzudrängen.

Es war eine fesselnde Besprechung. Generäle, die sich mit der politischen Linken identifizieren, befürworteten die Präsenz der Shoah als einen hemmenden Faktor; diejenigen, die sich mit der politischen Rechten identifizieren, befürworteten die Anwesenheit der Shoah als einen wappnenden Faktor. Die Shoah wurde wirklich zu einer Hauptkomponente der israelischen Identität, aber entgegen dessen, was allgemein angenommen wird, ist sie nicht immer ein einigender Faktor.

Einige Leute tendieren dahin, die nationalen Lektionen der Shoah hervorzuheben. Sie finden in ihr die Rechtfertigung für die Gründung Israels und für den Ausbau der Sicherheit des Staates. Und sie berufen sich häufig auf sie, um die Regierungspolitik zu rechtfertigen, inklusive der Verteidigung der Siedlungen in den Territorien.

Andere neigen dazu, die humanitären Lektionen der Shoah hervorzuheben: die Pflicht, demokratische und Menschenrechte zu verteidigen, Rassismus zu bekämpfen und den israelischen Soldaten zu erklären, dass das Gesetz sie dazu verpflichtet, himmelschreienden illegalen Befehlen nicht zu gehorchen. Dabei verweist man vor allem auf Befehle, die ernsthaften Schaden der zivilen Bevölkerung mit sich bringen.

Diese beiden Arten sind nicht unbedingt widersprüchlich, doch es ist schlichtweg natürlich, dass die nationalen Lektionen viel eher von den Rechten akzeptiert werden, während die humanitären Lektionen zwingender die Linken ansprechen.

Beide Seiten der politischen Landkarte haben vom Nazismus immer in Form von Schimpfworten Gebrauch gemacht. Dies kann auch im israelischen Parlament beobachtet werden. Beinahe jeder arabische Führer, inklusive des früheren ägyptischen Präsidenten Sadat, wurde mit Hitler in Verbindung gebracht. David Ben Gurion assoziierte Menachem Begin mit Hitler und Begin assoziierte Yassir Arafat mit Hitler. Vor nicht allzu langer Zeit erfuhr Arafat, dass IDF-Soldaten Nummern auf die Arme der Palästinenser schrieben, die sie in den Territorien verhaftet hatten. Und sofort schrie er "Nazis! Nazis!"

Diese Woche schloss sich der Portugiese und Literaturnobelpreisträger Jose Saramago diesem Ruf an. Saramago erklärte, dass Israels Aktionen in den Territorien mit den Verbrechen vergleichbar sind, die in Auschwitz und Buchenwald verübt worden sind. Dies klang eher nach etwas, das er an der Innentür einer öffentlichen Toilette gelesen hatte als nach etwas, das er in seinen Büchern geschrieben hatte. Was er sagte war für die Sache, der es eigentlich dienen sollte, schädlich. So ging er aus dieser Episode ziemlich dumm hervor. Denn der Schrei "Nazis! Nazis!" kommt einem heulenden Wolf gleich.

Die Shoah, die heute das universale Codewort für das ultimativ Böse ist, überträgt sich auf jede humanitäre Moral und politische Lektion. Und in den meisten Ländern dieser Erde erkennen die Menschen diese Lektionen an. Es ist unerheblich zu erwähnen, dass anti-semitische Gesetze nicht länger existieren. Und viele Länder, inklusive Deutschland, sahen die Shoah als eine Quelle der Inspiration, um demokratische Regime zu gründen oder zu bestärken.

Es gab immer Menschen, die sich für Israel einsetzten, weil sie das Gefühl hatten, die Shoah lege ihnen die Verantwortung für Israels Wohlergehen auf. Und es gab immer Menschen, die im Namen der Shoah forderten, dass Israel eine hohe moralische Haltung zeigen sollte und außerdem manche Menschen, die eine höhere Moral von Israel forderten als von sich selbst.

Unter den Arabern und Antisemiten gab es immer Menschen, die Israels Existenzrecht ablehnten und es mit Nazideutschland in Verbindung brachten. Bis heute gibt es antisemitische Untertöne in einigen Medienberichten, die Israel gegenüber kritisch sind. Manche Kritik, die im Ausland bezüglich Israels Weigerung, die Territorien zu räumen und bezüglich seiner Unterdrückung der dortigen Bevölkerung laut wird, hat Israel jedoch vermutlich davor bewahrt, schlimmere Dinge in den Territorien anzurichten.

In diesem Sinne rettete die ausländische Kritik Israel vor sich selbst: es gibt kaum ein Land auf dieser Erde, das nicht ausländische Kritik in Betracht zieht. Kritik von außen ermutigt auch inländische Kritik und Selbstbeherrschung. Das Gegenteil ist jedoch auch richtig: Derjenige, der Israel mit den Nazis vergleicht, erreicht im allgemeinen das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt hat. Denn jetzt sagt jeder zurecht, dass Israel in den Territorien nicht die Taten der Nazis verübt. Die logische Schlussfolgerung wäre, dass Israel ganz in Ordnung ist: nach allem ist es eine Tatsache, dass Israel nicht das tut, was die Nazis taten.

Oberrabbiner Israel Me'ir Lau sagte, wenn man Israel mit den Nazis vergleicht, verwandelt man es in einen "vogelfreien Staat". Der Gleichung Israel = Nazideutschland hängt die Schlussfolgerung an, dass Israel zerstört werden muss. So sind wir wie damals während der Shoah wieder zusammen und schauen einer grausamen Welt ins Angesicht, die vollkommen gegen uns ist. Und all das dank Saramago.

Der korrekte Platz für die Shoah ist vor allem in ihrem historischen Kontext. Es ist legitim, sie als Quelle des Nachsinnens über bestimmte Werte und für moralische und politische Lektionen zu sehen, legitim, diese Werte und Lektionen zu diskutieren, vorausgesetzt, die Diskussion wird ernsthaft, tiefgehend und ehrlich geführt. Es ist nicht legitim, sondern tadelnswert und zudem unwirksam, die Shoah als demagogisches Argument für politische Zwecke auszubeuten.

Saramagos Bemerkung erinnert an einen Brief von Menachem Begin, den dieser an US-Präsident Ronald Reagan geschrieben hatte und in dem er diesen informiert hatte, dass er beschlossen hätte, die IDF nach Beirut zu schicken, um Adolf Hitler zu verhaften. Der Schriftsteller Amos Oz erwiderte damals: "Herr Premierminister, Adolf Hitler ist bereits tot." Herr Saramago, könnte man in gleicher Weise sagen, Auschwitz und Buchenwald sind bereits stillgelegt.

Die fortdauernde systematische Verletzung der Menschenrechte der Palästinenser in den Territorien ist schrecklich, nicht, weil sie dem ähnelt, was die Nazis den Juden angetan haben, sondern trotz der Tatsache, dass sie es nicht tut.

Ha'aretz, 29.03.2002

haGalil onLine 03-04-2002

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