Medienkrieg im Nahen Osten:
In der guten Stube des Feindes
Parallel zum Nahost-Konflikt tobt
in der Region ein Medienkrieg um die Deutungs- und
Nachrichtenhoheit: Das israelische Fernsehen sendet in arabischer
Sprache, Kairo sendet auf Hebräisch zurück. Und Terroristen sind
immer die anderen
Aus Kairo Julia Gerlach
"Ach, schau mal, das sind wohl
die ersten Bilder von dem Anschlag eben in Jerusalem", Hala
Haschisch hat gerade ihr Büro in Kairo betreten, ihre Handtasche auf
dem Schreibtisch abgelegt und den Fernseher eingeschaltet. Sie ist
Vizechefin des Satellitenkanals des staatlichen ägyptischen
Fernsehens. "Nee, ich glaube das sind noch die Bilder von dem
vorherigen Anschlag, dem, wo nur der Attentäter zu Tode kam",
berichtigt sie Hassan Ali. Der Mitfünfziger ist leitender Redakteur.
Er bringt Sendepläne und Konzepte, legt sie seiner Chefin auf den
Tisch.
"Wann werden die Israelis endlich
begreifen, dass es so nicht mehr weitergeht", fragt die Chefin: "Wir
versuchen dem israelischen Volk mit unserem Programm zu vermitteln,
dass die Regierung Scharon das Problem ist. Er verursacht die
Gewalt. Sie sollen ihn endlich abwählen", erklärt sie das Konzept
der neuen Sendestrecke. "Nile TV", das Satellitenprogramm des
ägyptischen Fernsehens, sendet seit einigen Monaten einen Teil
seines Programms auf Hebräisch. Zwei Stunden täglich. Nachrichten
direkt in die Wohnzimmer des Nachbarlandes.
Fernsehen als
Waffe
In die Wohnzimmer des Feindes,
sollte man sagen, denn die Stimmung in Ägypten ist schlecht. Demos.
Proteste. Boykott. Und das Ganze wird begleitet von einem
Medienkrieg der neuen Art. Das hebräische Programm des ägyptischen
Fernsehens ist nur ein kleiner Teil davon. Der Konflikt zwischen
Israel und den arabischen Nachbarn wird lange schon nicht mehr nur
auf den Straßen von Ramallah oder in den Fußgängerzonen Tel Avivs
ausgetragen: Wenn du deinen Feind nicht militärisch oder
diplomatisch besiegen kannst, dann versuche, seine Bevölkerung auf
deine Seite zu ziehen!
So beliefern CNN, BBC und die
Deutsche Welle die arabische Welt mit ihren Informationen. Geplant
ist ein amerikanischer Kanal in arabischer Sprache. Gerade hat das
US-Repräsentantenhaus 255 Millionen Dollar für "öffentliche
Diplomatie" bewilligt. Ein Büro für "Globale Kommunikation", das eng
mit dem Außenministerium zusammenarbeiten wird, soll für die
Verbesserung des amerikanischen Images sorgen.
Präsident Bush sagt, dass er sich
dadurch eine bessere Steuerung der Informationen erhoffe, die Ziele
und Aktionen der Amerikaner zu erklären. Dazu sollte auch der
arabische Satellitensender al-Dschasira auf Linie gebracht werden.
Der Emir von Qatar, Schutzherr des unabhängigen Senders, lehnte aber
eine Einflussnahme zugunsten der Amerikaner ab. So setzt
al-Dschasira ganz bewusst seine Sicht der Dinge gegen die der
westlichen Networks.
Inzwischen haben sie Konkurrenz
von "Abu Dhabi"-TV bekommen, das ebenfalls sehr professionell die
arabische Welt mit Nachrichten versorgt. Die Arabische Liga
finanziert ihrerseits eine Medienkampagne: Dem Westen soll endlich
ein besseres Bild von den Arabern und Palästinensern vermittelt
werden. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, Propaganda zu
machen. Oft geht es um Bilder: Auf CNN seien die Kinder, die unter
den amerikanischen Bomben in Afghanistan gestorben seien, nicht zu
sehen gewesen, obwohl Bilder auf dem Markt waren - so der Vorwurf
der arabischen Seite. Die arabischen Satellitensender berichteten zu
ausführlich über antiamerikanische Demonstrationen und heizten so
die Stimmung an - so der Vorwurf der anderen Seite.
Blickwinkelzüge
Auch Live-Schaltungen mit
Vertretern von Hamas und Dschihad, die sich nach blutigen Anschlägen
gern in aktuellen Sendungen zu ihren Aktionen bekennen, sieht man im
Westen skeptisch. Alles eine Frage des Blickwinkels: Das
libanesische "Manar TV" bringt eine Sendung mit dem Titel "Der Krieg
gegen den Terrorismus". Hier wird im Detail der Kampf der Hisbullah
gegen Israel - das als Brutstätte des antiarabischen Terrorismus
gilt - gezeigt. "Manar TV" ist der Sender der Hisbullah, die
ihrerseits auf der amerikanischen Liste der Terrororganisationen
steht. Es ist der Kampf um die öffentliche Meinung. So sendet das
israelische Fernsehen seit einigen Wochen einen Teil seines
Programms auf Arabisch, und "Nile TV" sendet auf Hebräisch dagegen
an.
"Wir haben ja nichts gegen die
Israelis als Menschen", sagt Hassan Ali, der Redakteur: "Sie haben
nur die falsche Regierung." Nur wenn sich Israel hinter die Linien
von 1967 zurückziehe, internationales Recht respektiere und sich an
die Resolutionen der UN halte, könne es dauerhaft in Frieden und
Sicherheit leben. "Wir versuchen ihnen halt die ägyptische Sicht der
Dinge zu vermitteln", sagt er.
Was ist ein
Terrorist?
Ein Stockwerk höher, im
Redaktionsraum, treffen die ersten Redakteure ein. 35 Mitarbeiter
hat das hebräische Programm. Sie schalten die Computer ein, checken
die Agenturen. Die Anschläge werden natürlich das wichtigste Thema
des Tages sein. Wann schlägt Israel zurück? "Wir stützen uns
zunehmend auf unsere eigenen, arabischen Quellen. Eure westliche
Medien werden ja immer einseitiger", meint Hala Haschisch, die sich
besonders über die Verwendung des Begriffs "Terrorist" ärgert: "Ihr
könnt doch nicht die Kinder der Intifada mit den Al-Qaida-Typen
gleichsetzen." In der arabischen Nachrichtensprache heißen
Selbstmordattentate "Märtyreraktionen". "Das heißt doch noch lange
nicht, dass wir die Anschläge gut finden", verteidigt die Chefin.
Auf eine Diskussion, ob der Begriff Märtyrer nicht zur Nachahmung
einlädt, will sie sich nicht einlassen: "Terroristen sind das auf
jeden Fall nicht. Wenn einer hier den Namen verdient, dann ist das
Scharon mit seiner terroristischen Politik."
Viele der Journalisten hier kommen
vom Rundfunk. Schon seit 1954 sendet das ägyptische Radio auf
Hebräisch: Es war Gamal Abdel-Nassers Idee gewesen. Er setzte schon
damals auf Überzeugung des Feindes. Hassan Ali beispielsweise ist
ein Veteran. Er hat sein Studium der hebräischen Sprache 1967
abgeschlossen. Einen Tag, bevor der Krieg gegen Israel begann. Er
wurde Soldat und dann Moderator. In mancher Hinsicht zwei sehr
ähnliche Berufe.
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12-11-2002 |